Anlässlich des Vatertages haben wir uns die Zahlen angesehen: Männer in Care-Berufen sind auch 2020 noch immer unterrepräsentiert. Nur 12 Prozent der Beschäftigten in ambulanten Pflegediensten sind männlich, in Pflegeheimen beträgt der Anteil, laut Pflegestatistik, 15 Prozent. Gerade die Corona-Krise hat aktuell gezeigt, dass es vor allem Frauen in systemrelevanten Berufen tätig sind. So sind in einem durchschnittlichen deutschen Krankenhaus mehr als drei Viertel aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten weiblich.
Für Männer gelten Berufe in der Pflegebranche unattraktiv. Alte Rollenbilder sind hier noch tief verankert, zum Beispiel dass Pflege etwas Feminines, Unmännliches wäre. Also warum sollte man als Mann in die Pflege gehen? Ganz einfach: Weil Care-Berufe echt gute Zukunftsaussichten haben, wie uns Elli Scambor erklärt. Sie leitet das Institut für Männer- und Geschlechterforschung in Graz. Als Soziologin hat sie unter anderem das EU-Projekt „Boys in Care” durchgeführt.
Die wichtigste Frage gleich zuerst. Warum sollte ein Mann einen Pflegeberuf ergreifen?
Wir haben das Problem, dass Care-Berufe weniger gesellschaftlich anerkannt sind als andere Erwerbsberufe und auch nicht so gut bezahlt. In der Regel sind zum Beispiel technische Berufe mit höheren Löhnen verbunden. Was ist also der Benefit eines Jobs, der ökonomisch deutlich geringer bewertet wird als andere? Einen Vorteil sehen wir jetzt in der Corona-Krise: Es sind Berufe, die auch weiterhin von zentraler Bedeutung sein werden. Pflege-Jobs sind in Gesellschaften wie unserer, die demographisch immer älter wird, ungemein wichtig. Wenn ich als Mann plane, was ich in den nächsten zehn bis 15 Jahren mache, ob ich Familie haben werde oder nicht, ob ich eine Wohnung kaufen kann oder nicht, dann macht es Sinn, in einen Beruf zu gehen, der relativ sicher ist. Das ist wohl der wichtigste Benefit eines Care-Berufes.
Spielt es auch eine Rolle, dass viele typische Männerberufe immer mehr wegfallen durch die Automatisierung?
Absolut. Der Dienstleistungssektor gewinnt an Bedeutung, das produzierende Gewerbe verliert an Bedeutung. Wir haben das ganz deutlich bei der letzten Entlassungswelle 2009/2010 gesehen. Wir haben damals eine große EU-Studie gemacht, an der alle Länder beteiligt waren: „The Role of Men in Gender Equality”. Damals war klar zu sehen, dass die ersten, die bei so einer Entlassungswelle rausgefallen sind, Hilfsarbeiter waren und angelernte Arbeiter im produzierenden Gewerbe mit eher niedrigem Bildungslevel. Hilfsarbeit in der Produktion ist ganz schlecht in solchen Situationen, diese verlieren immer stärker an Bedeutung. Viele Jobs gehen aber auch verloren durch die Digitalisierung oder aufgrund der Tatsache, dass Produktionen in andere Länder verlegt werden.
Trotzdem scheint es noch viel Überzeugungsarbeit zu brauchen, damit mehr Männer in die Pflege-Branche wechseln. Warum ist das so, wenn diese Jobs ja eigentlich gute Zukunftschancen haben?
Uns fehlen noch ganz stark Role Models, also genug Männer, die in Kitas arbeiten oder als Pfleger, sprich jene, die in den Care-Bereich gegangen sind und über ihre Arbeit erzählen. Die den Kids zeigen, dass auch Männer diese Arbeit machen. Wenn ich groß werde mit Männern in Care-Berufen, dann werde ich später mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Problem damit haben, wenn Männer diese Jobs ausüben. Aber wenn ich das nie gesehen habe in meiner Jugend, dann wird das nicht ganz einfach. Gerade, wenn ich mich als Junge dafür interessiere, aber mich noch stark von meinem Umfeld beeinflussen lasse.
Wie kann man junge Männer bei der Berufsorientierung unterstützen, um sie für den Pflegeberuf zu begeistern?
Bei dem EU-Projekt „Boys in Care” haben wir das Material ausgewertet, das in Schulen zur Berufsorientierung genutzt wird. Wir haben uns angesehen, welche Bilder hier vermittelt werden. Frauen in technischen Berufen sind ein Thema, es wird aber keine Mann im Care-Beruf abgebildet. Da ist noch viel nachzuholen auf struktureller Ebene. Da müssen auch Lehrkräfte gender-sensibel arbeiten. Bei Frauen sehen wir bereits statistisch, dass hier viel in Gang gekommen ist, dank Maßnahmen wie „Frauen in Technik” oder „Mädchen in Technik”, die bereits seit den 1980er und 1990er Jahren laufen. Die Maschinenschlosserin ist bei den Lehrberufen bei Mädchen bereits unter den ersten zehn. Diesen Fokus gibt es umgekehrt nicht, wir beschäftigen uns erst seit Kurzem mit Themen wie „Boys in Care”.
Sehen Sie aktuell auch eine positive Entwicklung Richtung Rollenverständnis?
Ich sehe hier die Corona-Krise tatsächlich als Chance. Männer werden gerade von traditionellen Geschlechterrollen entlastet. Wir haben derzeit ein Projekt, wo wir uns mit der aktiven Vaterschaft beschäftigen und haben Leute gebeten, uns Videos zu senden und über ihre Situation zu sprechen. Das sind Väter, die jetzt zuhause sind und unbezahlte Care-Jobs übernehmen. Es gibt den interessanten Effekt dieser Corona-Pandemie, dass Männer sich nicht mehr rechtfertigen müssen, dass sie bei ihren Kindern sind und auch Care-Arbeit machen und nicht in die bezahlte Erwerbsarbeit gehen. Was jetzt gerade nicht passiert ist, dass dein Nachbar sagt, „Warum bist du zuhause? Verdient deine Frau so viel besser?”. Diese negative Reaktionen, die Männer, die in Karenz gehen, durchaus erleben, fallen aktuell komplett weg.
Aber ein Vater in Karenz hilft leider noch nicht gegen den Pflegenotstand…
Wir haben in Interviews mit Männern im Care-Bereich immer wieder gesehen, dass sie oft aus einer unbezahlten eine bezahlte Care-Arbeit gemacht haben. Dass sie nach einer Väter-Karenz dann in eine entsprechende Ausbildung gegangen sind. Die Karenz kann da ein guter Einstieg sein.
Wäre es auch für Patient:innen wichtig, dass es mehr Männer in der Pflege gibt?
Geschlechter-Vielfalt ist immer gut. Auch damit den Bedürfnissen der Patient:innen besser entsprochen werden kann.
Interview: Julia Wagner


%20(1).png)




.png)