Suchtkranke in der Klinik erkennen, pflegen und versorgen

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Auch süchtige Menschen kommen mit Verletzungen oder Erkrankungen ins Krankenhaus. Dort erleben sie möglicherweise einen unfreiwilligen Drogen- oder Medikamentenentzug. Allerdings sind die Symptome nicht unbedingt auf Anhieb zu erkennen. Dieser Artikel beleuchtet, wie du als Pflegekraft Suchtkranke erkennen kannst.

Konkrete Daten zum Thema Sucht zu ermitteln, ist nicht einfach. Die Dunkelziffer ist gerade bei illegalen Substanzen hoch. Wer sich selbst nicht als süchtig erkennt und keine Hilfe sucht, wird nicht erfasst.

Das Bundesministerium für Gesundheit nennt folgende Zahlen:

  • 12 Millionen Menschen in Deutschland rauchen
  • 1,6 Millionen Frauen und Männer sind alkoholabhängig
  • Schätzungen zufolge gibt es 2,3 Millionen Menschen, die von Medikamenten (vor allem von Schlaf- und Beruhigungsmitteln) abhängig sind
  • 600.000 Menschen konsumieren illegale Drogen

Wenn jemand mit einer Alkoholvergiftung oder einer Überdosis illegaler Drogen in die Klinik eingeliefert wird, liegt der Gedanke an ein Suchtproblem nahe. Aber manchmal kommt es durch Erkrankungen wie einen Bänderriss, eine Blinddarmentzündung oder einen Herzinfarkt zum Krankenhausaufenthalt.

Was, wenn die Betroffenen ihr Suchtproblem aus Scham oder Angst verschweigen?

Warum Patientinnen und Patienten ihr Suchtproblem nicht ansprechen

Dafür gibt es verschiedene Gründe:

  • Manchen ist ihr Suchtproblem unangenehm.
  • Häufig fehlt das Vertrauen, um darüber mit dem Klinikpersonal zu sprechen.
  • Andere befürchten, gegen ihren Willen zu einer Therapie gedrängt zu werden.
  • Oder sie haben die Sorge, dass ihr Problem überhaupt ans Tageslicht kommt.
  • Teilweise spielen suchtkranke Menschen ihren Konsum – vor anderen und vor sich selbst – herunter. Häufig erkennen sie ihre eigene Krankheit nicht als solche an.

Wie du Patienten mit einer Suchtproblematik erkennen kannst

Anamnese und körperliche Untersuchung

Manche Spuren lassen sich nicht verbergen. Langjährig alkoholabhängige oder drogensüchtige Menschen befinden sich in einem schlechten Allgemeinzustand. Sie wirken ausgezehrt, ungepflegt und leiden unter vielfältigen gesundheitlichen Problemen. Anzeichen von Alkoholeinfluss bei der Aufnahme in die Klinik oder auffällig viele Injektionsstellen deuten auf Alkoholprobleme und eine Abhängigkeit von intravenösen Substanzen hin. Klarheit verschafft eine Urinuntersuchung.

Steht eine Drogenproblematik im Raum, ist es wichtig, dem suchtkranken Menschen die Angst vor negativen Konsequenzen zu nehmen. Empathie, Verständnis und versprochene Hilfe beim Abfedern der Entzugserscheinungen schaffen die Voraussetzung dafür, dass er offen über seine Sucht sprechen kann. Süchtige wissen in den meisten Fällen, wie verheerend sich Entzugserscheinungen auswirken können. Hilfe bekommen sie allerdings nur, wenn sie Ärzte und Pflegepersonal rechtzeitig darüber informieren. Sonst werden hinter den Symptomen möglicherweise zunächst andere Krankheiten vermutet und differentialdiagnostisch abgeklärt. Das kostet Zeit.

Allerdings gibt es ein Risiko: Manchmal nennen suchtkranke Menschen bewusst höhere Konsummengen. Auf diese Weise wollen sie sicherstellen, dass sie genug Suchtmittel erhalten. Das birgt jedoch das Risiko einer Überdosierung.

Entzugssymptome erkennen, wenn Patienten ihr Suchtproblem verschweigen

Verheimlicht ein:e Patient:in die Sucht, sind Entzugserscheinungen zu erwarten. Unterschieden wird zwischen körperlichen, vegetativen/neurologischen sowie psychischen Entzugserscheinungen. Typischerweise kommt es zum sogenannten Craving (Suchtdruck), Reizbarkeit und Aggressionen, Muskelschmerzen, Unruhe und Schlafstörungen. Süchtige, die das zum ersten Mal erleben, werden davon möglicherweise selbst überrascht.

Die Frustrationstoleranz von Süchtigen ist gering. Bedingt durch den unfreiwilligen Entzug kommt es vermehrt zu Aggressionen. Missverständnisse, Konflikte, verbale und körperliche Auseinandersetzungen sind mögliche Folgen. Wenn du die Entzugssymptome als solche erkennst, vereinfacht das die Diagnosestellung, Behandlung und Pflege enorm. Vor allem ist es dann möglich, die Symptome zu lindern.

Symptome bei Alkoholentzug

Als Beispiel gehen wir hier auf die Symptome bei Alkoholentzug ein. Alkoholabhängigkeit ist nach Nikotinkonsum die in Deutschland häufigste Sucht. Seit 1968 ist die Krankheit in Deutschland anerkannt. Das ICD-10 spricht hier von „psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“.

Der Schweregrad und die Art der Entzugserscheinungen sind individuell unterschiedlich. Manche alkoholabhängige Patienten zeigen starke Symptome. Bei anderen fallen die Beschwerden milder aus.

Körperliche Entzugserscheinungen:

  • Herz-Kreislaufstörungen und ungewöhnlicher Blutdruck
  • Artikulationsschwierigkeiten
  • Durchfall, Übelkeit und Erbrechen
  • Magenschmerzen
  • Allgemeines Unwohlsein und Schwäche
  • Herzrasen
  • Krampfanfälle

Vegetative und neurologische Entzugserscheinungen:

  • Schwitzen
  • Mundtrockenheit
  • zitternde Hände
  • Juckreiz
  • Schlafstörungen und Albträume
  • Koordinations- und Sehstörungen
  • Kopf- und Muskelschmerzen

Psychische Entzugserscheinungen:

  • Angst, Unruhe und Nervosität
  • geringe Konzentrationsfähigkeit
  • Gedächtnisstörungen
  • Depressionen
  • Reizbarkeit
  • Wahrnehmungsstörungen
  • Halluzinationen
  • Mögliche Komplikationen: Delir Tremens (Alkoholdelirium)

Bei etwa 15 Prozent der Alkoholiker:innen kommt es durch die Abstinenz zu einem Alkoholentzugssyndrom mit Delirium. Wenn Patienten mit einer Lungenentzündung, einer Pankreatitis oder einer Leberzirrhose in der Klinik aufgenommen werden, erhalten sie keinen Alkohol mehr. Das erhöht die Gefahr eines sogenannten „Delirium tremens“. Es tritt 48 bis 72 Stunden nach dem letzten vorausgegangenem Alkoholkonsum auf. Betroffene sind verwirrt, desorientiert und motorisch unruhig (Zittern, Krämpfe). Dazu kommen Halluzinationen oder epileptische Anfälle.

Wird das Alkoholdelirium rechtzeitig im Anfangsstadium als solches erkannt, kann intravenös Alkohol verabreicht werden. Klingen die Symptome dadurch ab, bestätigt sich die Diagnose. Die Behandlung erfolgt in der Regel auf der Intensivstation.

Süchtige pflegen und versorgen

Der Kontakt mit Süchtigen ist anspruchsvoll, selbst wenn sie oder er offen über die Sucht spricht. Du brauchst fundiertes Hintergrundwissen über die jeweilige Sucht, um das richtige Maß an Einfühlungsvermögen und Akzeptanz (ohne Wertung!) aufzubringen. Ein Risiko besteht darin, zu viel von einem suchtkranken Menschen zu erwarten. Sein Verhalten ist nicht rational. Das macht es schwer bis unmöglich, ihn zu verstehen. Selbst wenn er einerseits weg will von der Sucht, hält er andererseits daran fest. Hinter dem Substanzmissbrauch steht ein ungelöster Konflikt.

Das Verlangen (Craving) nach der Suchtsubstanz ist groß. Möglicherweise versucht der Patient während seines Klinikaufenthalts andere Suchtmittel zu konsumieren. Wachsamkeit, ein gesundes Misstrauen und Krankenbeobachtung sind hier sinnvoll. Stell dich auf Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und verbale Aggressionen ein. Mach dir bewusst, dass Süchtige nicht die Beherrschung besitzen wie andere Erkrankte. Ihr Leben dreht sich um die Sucht. Um ihr Suchtmittel zu bekommen, würden sie nahezu alles tun.

Am Ende eines Klinikaufenthalts sollten suchtkranke Patientinnen und Patienten über Behandlungsmöglichkeiten und Hilfen informiert werden. Neben einer Entzugsbehandlung können ambulante Unterstützungsmöglichkeiten wahrgenommen werden, zum Beispiel die Suchthilfe bzw. Selbsthilfegruppen oder eine Psychotherapie und betreutes Wohnen. Auch stationäre Entwöhnungstherapien, bei denen Menschen mit Suchtproblemen über mehrere Monate hinweg begleitet werden, können eine Option sein.

Michaela Hövermann

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