
Dr. Marian Fritzen wurde mit 37 Jahren die jüngste Chefärztin Deutschlands. Die Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie weiß, vor welchen Herausforderungen junge Frauen stehen, wenn sie eine Karriere als Ärztin antreten. Im Interview gibt sie Tipps, wie Ärztinnen den Weg zum Chefarztposten erfolgreich meistern und wie man dumme Kommentare einfach an sich abperlen lässt.
Zu den beliebtesten Fachrichtungen bei Ärztinnen zählen Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie die Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Die Orthopädie und Unfallchirurgie belegt hingegen Platz drei der beliebtesten Fachgebiete der Ärzte. Dr. Marian Fritzen war trotzdem immer klar, dass sie genau auf diesem Gebiet arbeiten wollte. Dies ist nur eines von vielen Dingen, das die 45-Jährige zu einer Ausnahme macht. Leider, muss man sagen. Denn eigentlich sollten wir nicht darüber reden müssen, warum Dr. Fritzens Karriere besonders ist. Es sollte selbstverständlich sein, dass sie als junge Ärztin genauso gefördert wurde, wie ihre männlichen Kollegen, dass sie Mutter und Chefärztin ist und dass Frauen auf ihrem Weg nach oben heute nicht mehr an die „gläserne Decke“ stoßen. Ist es aber nicht und deshalb haben wir Dr. Fritzen nach ihren Erfahrungen und Tipps für die Karriere als Chefärztin gefragt.
Warum haben Sie sich für das Fachgebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie entschieden?
Dr. Marian Fritzen: Ich finde schön, dass man einen kompletten Querschnitt durch die Gesellschaft betreuen darf. Wir haben alles, vom Säugling, dem wir die Hüften schallen, bis zum Hundertjährigen, der sich das Bein bricht. Wir sehen jede Altersklasse und Lebensphase – das habe ich von Anfang an total spannend gefunden.
Sie waren bereits mit 30 Jahren Oberärztin – ein Alter, in dem viele vielleicht gerade mal in der Assistenzzeit stecken oder ihren Facharzt machen. Wie haben Sie das so schnell geschafft?
Dr. Marian Fritzen: Zunächst einmal habe ich in der Schule eine Klasse übersprungen und mit 18 Jahren Abitur gemacht. Dann bekam ich durch den Mediziniertest, der damals für alle verpflichtend war, sofort einen Studienplatz. Ich habe in Mindeststudienzeit studiert und auch meinen Facharzt in der Mindestzeit gemacht. Dafür bin ich in die Schweiz gegangen, weil ich unbedingt gut weitergebildet werden wollte. Ich war in meinem praktischen Jahr schon in der Schweiz und habe dort eine andere Qualität der Weiterbildung erlebt. Dort mussten wir viel mehr leisten, aber bekamen auch viel mehr geboten. Wir konnten OP-Kurse machen und durften als Assistent:innen mit auf die Kongresse fliegen und Vorträge halten. In vielen Häusern in Deutschland war das nicht so. In dieser Zeit habe ich viel operieren gelernt und mich getraut, mich nach dem Facharzt nur noch auf Oberarztstellen zu bewerben. Ein Oberarzt in St. Gallen hat mich dazu ermutigt. Ich habe es gemacht und sofort eine Oberarztstelle bekommen. Ich hatte also eine gute Ausbildung und eben auch jemanden, der an mich geglaubt hat.
Hatten Sie Angst, nicht ernst genommen zu werden?
Dr. Marian Fritzen: Natürlich kenne ich Selbstzweifel, aber Angst hatte ich nicht. Erstens wusste ich, dass ich gut bin. Zweitens haben meine Eltern mein Selbstbewusstsein herausgekitzelt und gefördert. Ich bin schon in der siebenten und achten Klasse teilweise im Ausland zur Schule gegangen. Dank ihnen wusste ich schon früh, ich kann alles schaffen, was ich mir vornehme. Man muss den Anspruch an sich haben und seinen Ehrgeiz in den Beruf legen.
Sie gehörten wahrscheinlich zu den Jüngsten im Team…
Dr. Marian Fritzen: Es gab drei andere Oberärzte, alle 10 Jahre älter und zwei Köpfe größer als ich. Mein erster Arbeitstag als Oberärztin: Ich komme in den Raum rein, nur Männer, keine einzige Frau. Einer fragte: „Kann die Kleine das überhaupt?“ Ich habe geantwortet, „das werdet ihr ja sehen, wenn wir gleich in den OP gehen.“ Das ist ein Schock, wenn man das gefragt wird, aber man tritt immer jemanden auf die Füße, wenn man so eine Stelle kriegt. Diesen Machtkampf gibt es und man darf sich nicht beirren lassen. Viele Frauen wollen diesen Kampf nicht kämpfen. Doch er ist kurz. Wenn man schnell klarmacht: Ich kann das und ich rufe nicht beim ersten Nachtdienst an und frage nach.
Nicht zu glauben, dass diese Frage so unverhohlen an Sie gerichtet wurde.
Dr. Marian Fritzen: Ich glaube, das war gar nicht böse gemeint, sondern die waren überrascht. Die männlichen Kollegen konnten sich nicht vorstellen, dass da jemand kommt, der nicht dem Stereotyp entspricht. Wenn Sie sich einen Unfallchirurgen vorstellen, sehen Sie eben keine blonde, 1,63 Meter große Frau. Weil noch nicht genügend Frauen diesen Weg gefunden haben. Das ist in unseren Köpfen drin. Mit dem Kollegen, der das damals zu mir gesagt hat, habe ich später wunderbar zusammengearbeitet.
Eine zweite Anekdote: Als ich in der zweiten Oberarztstelle mein erstes Kind bekommen habe, hat mein Chefarzt mir empfohlen, zugunsten eines Mannes von der Stelle zurückzutreten. Das war sein Weltbild und ich habe es zerstört, als ich sagte, dass das für mich nicht infrage kommt. Die gläserne Decke entsteht, weil Männer gerne Männer befördern. Es ist für sie einfacher, wenn der Typ so ähnlich ist, wie sie.
Mit 37 Jahren wurden Sie gefragt, ob Sie Chefärztin einer Reha-Klinik werden wollen. Was haben Sie gedacht, als das Angebot kam?
Dr. Marian Fritzen: Ich hielt es erst für einen Scherz. Das war so ein Headhunter und ich war hochschwanger mit meinem zweiten Kind. Ich hatte deshalb gerade eine Oberarztstelle abgesagt. Ich habe den Headhunter gebeten, mich in sechs Wochen wieder anzurufen. Das hat er gemacht. Mein Sohn war wenige Wochen alt und ich dachte, anschauen schadet ja nichts. An meinem Hochzeitstag habe ich mit meinem Mann und den beiden Kindern einen Ausflug dorthin gemacht. Dann erschien mir die Idee gar nicht schlecht. Mein Mann ist viel in der Welt unterwegs und mit meiner Oberarztstelle konnte ich den Alltag mit zwei Kindern nicht so gut planen. Ich habe sehr gerne operiert und war nicht sicher, ob Reha mir gefallen würde. Aber aufgrund der besseren Planbarkeit von Familie und Beruf habe ich mich dafür entschieden.
Kinder und Karriere geht also, aber mit Kompromissen…
Dr. Marian Fritzen: Ein Elternteil muss einen gewissen Kompromiss machen, wenn Sie die Kinderbetreuung nicht komplett aus der Hand geben wollen. Meine Chefarzt- und Oberarztkollegen in der Akutmedizin haben in aller Regel die Ehefrau, die zu Hause ist oder weniger arbeitet. Für mich ist es in der Reha jetzt wunderbar. Es ist kein Aufgeben von Medizin, sondern im Gegenteil: Wenn Sie einen Patienten drei oder vier Wochen behandeln und auf seine Bedürfnisse reagieren können, ist das etwas völlig anderes, als wenn Sie im OP stehen und ihn vorher nur einmal kurz zur Aufklärung sehen. Die Beziehung, die man aufbaut und zu sehen, wie viel Verbesserung die Therapien bringen, fasziniert mich. Es war ein guter Kompromiss.
Sie sind acht Wochen nach der Geburt Ihrer Kinder wieder arbeiten gegangen. Bei Männern wird es als normal betrachtet, nur kurze Elternzeiten zu nehmen, um die Karriere nicht zu unterbrechen. Frauen, die das Gleiche tun, treffen oft auf Irritation. Wie war das bei Ihnen?
Dr. Marian Fritzen: Ich habe alles gehört. Über „Vermisst du deine Kinder nicht?“, „Wie kannst du nur?“ bis zu „Wow, ist das toll.“ Eine Geschichte dazu: Meistens hat mein Mann die Kinder in den Kindergarten gebracht und sie sind ihm von anderen Müttern regelrecht aus der Hand genommen worden. Andere Mütter haben unseren Kindern die Hausschuhe angezogen, weil mein Mann ja zur Arbeit müsste. Wenn ich ausnahmsweise mal kam, haben sie das nicht gemacht.
Was raten Sie jungen Ärztinnen für ihren Karriereweg?
Dr. Marian Fritzen: Vorbilder nehmen und die Zweifel, die man hat, mit jemanden besprechen. Es gibt viele Frauennetzwerke, die leider gar nicht so bekannt sind. Zum Beispiel den Verein „Die Chirurginnen“, dem schon Medizinstudentinnen beitreten können. Oder die „Soroptimistinnen“ oder „Zonta“. Dort bekommt man Kontakt zu Frauen, die in ähnlichen Situationen waren. Diese Netzwerke empfinde ich als extrem wertvoll und es hat mir geholfen, Ansprechpartnerinnen zu haben. Und dann müssen sich junge Ärztinnen klarmachen: Ich habe genauso Abitur gemacht, ich habe genauso das Studium abgeschlossen und eine Facharztprüfung absolviert wie ein Mann. Also was bringt mich zu der Annahme, dass ich irgendetwas nicht kann? Dann kommt man ganz schnell zu der Antwort: Klar kann ich das.
Was können Krankenhäuser in Sachen Frauenförderung verbessern?
Dr. Marian Fritzen: Ich glaube, dass Mentorenprogramme sehr sinnvoll sind. Das gibt es ja durchaus in großen Kliniken. Dass es Vorbilder gibt und dass es ganz früh anfängt. Eine Studentin kann eine Assistenzärztin an die Hand bekommen, diese eine Oberärztin und so weiter. Früher kannten sich die Abteilungen noch sehr gut. Das ist durch die Änderung der Strukturen heute nicht mehr so möglich. Doch Kliniken können gezielt Netzwerke schaffen. Assistenzarzttreffen oder Fortbildungen nur für Assistenzärzt:innen, sodass Frauen sehen, dass sie gar nicht die einzigen sind. Auf Dauer ist es für den Arbeitgeber sehr sinnvoll, weil die Mitarbeiter:innen gerne bleiben, weil sie einen Mehrwert für sich haben und sich gefördert fühlen.
Einen Großteil der ärztlichen Führungspositionen haben Männer inne. Das ungleiche Geschlechterverhältnis hat nichts mit der Kompetenz der Frauen zu tun, sondern mit der abschreckenden Wirkung, die veraltete Rollenvorstellungen und diskriminierende Verhaltensweisen auf junge Ärztinnen haben können. Umso wichtiger sind Mentor:innen und Unterstützer:innen – sowohl in der eigenen Familie als auch im beruflichen Umfeld. Mit dem Glauben an sich selbst und Menschen, die sie bestärken, kann jede Ärztin die Karriere verfolgen, die sie verdient und wie Dr. Fritzen selbst zum Vorbild werden.
Interview: Friederike Bloch


%20(1).png)




.png)