Corona und Arbeitsrecht - 9 wichtige Fragen und Antworten

MEDWING
August 20, 2024

Was darf dein Arbeitgeber in der Corona-Krise von dir verlangen, was nicht? Wir beantworten die häufigsten Fragen.

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    Die kalte Jahreszeit hat begonnen und Corona greift mit aller Macht um sich. Die Infektionszahlen sind in den letzten Wochen mit rasender Geschwindigkeit weit über die Werte zu Beginn der Pandemie gestiegen. Die Pflegekräfte sehen sich nicht nur mit einer großen Arbeitsbelastung, sondern auch mit arbeitsrechtlichen Fragen konfrontiert. Wir haben die 9 wichtigsten Fragen für euch beantwortet.

    1. Welche Maßnahmen muss mein Arbeitgeber ergreifen, um mich vor einer COVID-19-Infektion zu schützen und was, wenn er sie nicht einhält?

    Das Arbeitsschutzrecht verpflichtet den Arbeitgeber, die Gesundheit seiner Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz bestmöglich zu schützen. Dazu gehören gerade im Bereich von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen natürlich vor allem die wesentlichen Schutzmaterialien wie Masken, Desinfektionsmittel und Handschuhe. Sie müssen in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Sind die Schutzmaßnahmen unzureichend, hast du ein Leistungsverweigerungsrecht und kannst zum Beispiel ablehnen, ohne Schutzausrüstung in Bereichen mit hohem Infektionsrisiko zu arbeiten. In der Realität machen allerdings die wenigsten Pflegekräfte davon Gebrauch und vielleicht hast du dich selbst schon öfter entschieden, ein erhöhtes Risiko einzugehen, um anderen zu helfen. Dann solltest du aber eine Gefährdungsanzeige stellen und dokumentieren, dass die Situation eine Gefährdung für dich und andere darstellt. So kannst du im Falle einer Corona-Erkrankung möglicherweise auch die gesetzliche Unfallversicherung beanspruchen.Wenn du dir unsicher bist, kannst du auch den Betriebsrat bzw. deine Mitarbeitervertretung zu Rate ziehen.

    2. Ich gehöre zur Risikogruppe. Darf mein Arbeitgeber mich trotzdem zur Versorgung infizierter oder potenziell infizierter Personen einsetzen?

    Wenn du zur Risikogruppe gehörst, hast du das Recht, in einem Bereich mit möglichst geringem Infektionsrisiko zu arbeiten. Dazu musst du deinem Arbeitgeber ein ärztliches Attest vorlegen, das bestätigt, dass du zur Risikogruppe gehörst und keinen Kontakt mit Infizierten haben solltest. Das kann sogar soweit gehen, dass der Arbeitgeber dich bei Lohnfortzahlung freistellen muss, wenn es keinen Arbeitsbereich ohne bzw. mit niedrigem Infektionsrisiko gibt.

    3. Kann ich weiterarbeiten, wenn ich selbst positiv auf COVID-19 getestet wurde?

    Grundsätzlich musst du dich bei einem positiven Testergebnis sofort in häusliche Quarantäne begeben. Du darfst also gar nicht zur Arbeit gehen. Allerdings hat das Robert Koch-Institut (RKI) schon im März vorgeschlagen, dass Pflegekräfte, die in Krankenhäusern arbeiten und positiv getestet wurden, in "absoluten Ausnahmefällen" und bei akuten Personalengpässen weiterarbeiten können, sofern sie keine Symptome aufweisen und nur ebenfalls infizierte Patienten versorgen.In Belgien, das aktuell noch viel stärker von dem Virus betroffen ist, werden bereits regelmäßig infizierte Pflegekräfte weiter eingesetzt. Auch an einigen deutschen Lebenshilfe-Einrichtungen in Bremen und Bayern haben im Oktober erstmalig Corona-positive Pfleger weitergearbeitet. Dies geschieht natürlich auf freiwilliger Basis und unter sehr strengen Auflagen. Außer für die Arbeit dürfen die Pflegekräfte ihre Quarantäne nicht unterbrechen.

    Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe lehnt dies jedoch ab, da es die Gesundheit der Pflegenden gefährde. Die Pflegekammer Niedersachsen bezeichnet die Vorgehensweise als grob fahrlässig und fordert stattdessen, Betten zu reduzieren und Patienten in andere Kliniken zu verlegen. Auch ver.di lehnt den Einsatz infizierter Gesundheits- und Krankenpfleger ab. Dennoch seien der Gewerkschaft Mitglieder bekannt, die im Frühjahr und auch jetzt wieder trotz positivem Testergebnis gearbeitet haben.

    Im Moment ist es also eine Ermessensfrage, die nicht pauschal entschieden werden kann. Wenn du aber Krankheitssymptome hast, egal ob Corona oder nicht, und von einem Arzt krankgeschrieben wurdest, darf der Arbeitgeber in keinem Fall verlangen, dass du zur Arbeit kommst.

    4. Bekomme ich meinen Lohn, wenn ich mich in Quarantäne begeben muss?

    Ja. Wenn das Gesundheitsamt dir ein temporäres Berufsverbot erteilt, hast du laut Infektionsschutzgesetz Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung. Bis zu sechs Wochen muss dir dein Arbeitgeber dein Gehalt zahlen und kann bei der zuständigen Behörde die Erstattung des Betrags beantragen. Anschließend würdest du Krankengeld erhalten.

    Aber Achtung: Wenn du bewusst Urlaub in einem vorher ausgewiesenen Risikogebiet gemacht hast und deshalb in Quarantäne musst, hast du keinen Lohnanspruch. Auch wenn du danach an Corona erkrankst, hast du möglicherweise keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung.

    5. Darf mein Arbeitgeber kurzfristig meinen Schichtplan ändern oder Überstunden anordnen?

    Wenn die Versorgung der Pflegeempfänger nur durch eine kurzfristige Dienstplanänderung gewährleistet ist, kann dein Arbeitgeber diese ausnahmsweise auch unangekündigt durchführen und auch Überstunden einplanen, wenn es der Personalbedarf erfordert. Dies kann jedoch nicht in unbegrenztem Maß geschehen und sollte, soweit möglich, in enger Absprache mit den Mitarbeitern geschehen.

    6. Kann mein Arbeitgeber bereits gewährten Urlaub wieder ablehnen?

    Ja, wenn er seinen Betrieb und die Versorgung der Patienten und Bewohner nicht anders aufrechterhalten kann. Dein Arbeitgeber sollte aber nur im extremen Notfall zu diesem Mittel greifen, denn grundsätzlich dient der Urlaub der Erholung und sollte zum verabredeten Zeitpunkt gewährt werden. Sobald du dich in deinem Urlaub befindest, kann dein Arbeitgeber nicht von dir verlangen, auf Abruf bereitzustehen.

    7. Kann mein Arbeitgeber mich beurlauben, mir für Überstunden freigeben oder Minusstunden planen, weil er Betten nicht belegen kann und daher weniger Personal braucht?

    Dein Arbeitgeber ist nicht berechtigt, dir Urlaub zu „verordnen“, den du nicht selbst beantragt hast. Er kann jedoch anordnen, dass du deine Überstunden durch freie Tage abbaust.

    Dein Arbeitgeber kann dich auch ins Minus planen. Allerdings kann er nicht von dir verlangen, diese Stunden nachzuleisten, da du nichts dafür kannst, dass es nicht genügend Arbeit gibt, weil beispielsweise Betten für Intensivpatienten freigehalten werden.

    Aber: Wenn in deinem Arbeitsvertrag festgehalten wurde, dass es ein Arbeitszeitkonto gibt und der Dienstplan schwankende Arbeitszeiten und ein Defizit zulässt, kann der Arbeitgeber Minusstunden anordnen, die du später ausgleichen muss, solange dies aufgrund der Menge der Stunden nicht unzumutbar ist.

    8. Werden die Personaluntergrenzen wie im Frühjahr wieder ausgehebelt, um den Krankenhäusern eine flexiblere Personalplanung zu ermöglichen?

    Im Moment scheint das Bundesgesundheitsministerium keine erneute Aussetzung zu planen, wie es dem Ärzteblatt mitteilte. Die Gewerkschaft ver.di spricht sich auch strikt dagegen aus, da die Personaluntergrenzen schon jetzt nur eine Versorgung auf Mindestniveau sichern würden.

    9. Kann mein Arbeitgeber von mir verlangen, die gesetzliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden täglich bzw. 48 Wochenstunden für Pflegekräfte zu überschreiten?

    Im Frühsommer lockerte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) das Arbeitszeitgesetz - Pflegekräfte konnten bzw. mussten in dringenden Fällen bis zu 12 Stunden täglich oder 60 Wochenstunden arbeiten. Die Ruhezeit wurde auf neun Stunden verkürzt.

    Die Verordnung galt bis zum 30. Juni - nun hat Niedersachsen als erstes Bundesland im November in einer Allgemeinverfügung des Sozialministeriums erneut 12-Stunden-Schichten bei maximal 60 Wochenstunden erlaubt. Dies soll zunächst bis zum 31. Mai 2021 gelten. Nadya Klarmann, die Präsidentin der Pflegekammer Niedersachsen kritisiert das in einer Pressemitteilung scharf: "Monatelang hat das Land verschlafen, die medizinischen Einrichtungen auf die zweite Welle der Corona-Pandemie vorzubereiten. Jetzt sollen wieder die Beschäftigten in den systemrelevanten Berufen unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit die Situation retten." Das Gesundheitssystem werde nicht zusammenbrechen, weil Betten oder Beatmungsgeräte fehlen, sondern weil die Pflegefachpersonen in einer nie zuvor da gewesenen Art und Weise verheizt werden, so die Kammerpräsidentin.

    Dein Arbeitgeber kann also nur auf Grundlage entsprechender Verordnungen auf Landes- oder Bundesebene deine Arbeitszeit über einen längeren Zeitraum erhöhen. Ob es andere Bundesländer Niedersachsen gleichtun oder ob das BMAS das Arbeitszeitgesetz erneut lockert, ist im Moment noch nicht abzusehen.

    Friederike Bloch

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