Die Psychologin Kimberly Breuer gibt praktische Tipps, wie Betriebe und Beschäftigte im Gesundheitswesen mentale Gesundheit am Arbeitsplatz fördern können.
Mentale Gesundheit und psychische Erkrankungen sind längst keine Tabuthemen mehr. Immer mehr Betroffene sprechen in der Öffentlichkeit über Depressionen, Burnout und Co.
Auch im Arbeitsleben spielt die mentale Gesundheit zunehmend eine Rolle. Schließlich verbringen die meisten Menschen sehr viel Zeit an ihrem Arbeitsplatz.
Gerade Menschen in Gesundheitsberufen, insbesondere Pflegekräfte, sind einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt. Zahlreiche Studien befassen sich mit den Folgen von Personalmangel und emotionalen Herausforderungen für Gesundheitsfachkräfte.
Dauerhafte Überlastung am Arbeitsplatz kann zu seelischen Erkrankungen führen
So zeigt beispielsweise der DAK-Gesundheitsreport 2023, dass Beschäftigte in Branchen mit Personalnot ein höheres Gesundheitsrisiko haben. Die Studie basiert auf Befragungen von rund 7.000 Erwerbstätigen sowie Daten von 2,4 Millionen Versicherten der DAK.
Dem Report zufolge leiden ein Viertel der Betroffenen unter Schmerzen, ein Drittel hat Schlafstörungen und mehr als die Hälfte ist erschöpft. In der Pflege ist der Krankenstand bereits überdurchschnittlich hoch.
Der Bericht zeigt weiterhin, dass drei Viertel der befragten Gesundheits- und Krankenpflegenden regelmäßig Phasen erleben, in denen die Arbeit aufgrund des Personalmangels nur mit großer Anstrengung bewältigt werden kann. Die Betroffenen berichten von starkem Termin- und Leistungsdruck, Überstunden und fehlenden Pausen. Viele gehen krank zur Arbeit.

Prävention zahlt sich für Arbeitgeber aus
Die DAK fordert ein verstärktes Engagement der Arbeitgeber im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Denn viele Beschäftigte gaben an, dass ihr Betrieb sich nicht ausreichend um das Wohlbefinden der Mitarbeitenden kümmert und dass Gesundheitsaspekte in der täglichen Arbeit kaum berücksichtigt werden.
Dabei profitiert auch der Arbeitgeber von seelisch gesunden Mitarbeitenden. Psychische Erkrankungen verursachen lange Fehlzeiten oder sogar Frühverrentung. Beides ist im Gesundheitswesen schon jetzt ein Problem.
Wie können Arbeitgeber und Arbeitnehmer psychische Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz fördern?
Zum Glück erkennen immer mehr Betriebe, dass Gesundheitsförderung wesentlich zur Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung beiträgt. Auch im Gesundheitswesen können Arbeitgeber vielfältige Maßnahmen ergreifen, um Beschäftigte gesund und lange im Beruf zu halten.
Ein Unternehmen, das sie dabei unterstützt, ist Likeminded. Die Plattform bietet innovative Lösungen und Ressourcen rund um die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz. Auch Unternehmen im Gesundheitswesen zählen zu den Kunden.
Mitarbeitende können über ihren Arbeitgeber anonymen Zugang zu verschiedenen Formaten der psychologischen Unterstützung erhalten - von Einzelgesprächen mit ausgebildeten Psycholog:innen, hin zu Gruppenworkshops, Webinaren sowie digitalen Übungen.
Wir haben mit Kimberly Breuer, Psychologin und Geschäftsführerin von Likeminded, gesprochen. Sie erklärt, was für ein gesundes Arbeitsumfeld wichtig ist und wie sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer mentale Gesundheit fördern können.

Das Thema mentale Gesundheit am Arbeitsplatz gewinnt zunehmend an Bedeutung. Warum ist es für Arbeitgeber im Gesundheitswesen wichtig, sich damit auseinanderzusetzen?
Kimberly Breuer: Viele Mitarbeitende im Gesundheitswesen stoßen an Belastungsgrenzen. Sie sind mit anspruchsvollen und belastenden Situationen konfrontiert, wie zum Beispiel Schichtarbeit, hoher Arbeitsdruck oder emotional belastende Situationen mit Patient:innen. Dazu kommt ein steigender Personal- und Kapazitätsmangel und im Zuge der Digitalisierung viel Veränderung.
Das spiegelt sich in der mentalen Gesundheit der Beschäftigten wider und führt zu Ausfällen, Produktivitätsverlusten und dazu, dass Mitarbeitende häufiger bzw. früher kündigen.
Eine Studie von PwC zeigt, dass nicht einmal ein Drittel der Ärzt:innen und Pflegekräfte es sich vorstellen können, ihren Beruf bis zur Rente auszuüben. Arbeitsunfähigkeitstage durch Burnout sind in Pflegeberufen fast doppelt so hoch wie in anderen Branchen.
Das heißt, dass Arbeitgeber:innen jede Menge Kosten vermeiden können, wenn sie sich um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter:innen kümmern. In mentale Gesundheit zu investieren ist eine Win-Win-Situation - das Ergebnis sind glücklichere und motiviertere Mitarbeiter:innen und ein erfolgreicheres Unternehmen.
Wie sieht ein „gesundes“ Arbeitsumfeld aus?
Kimberly Breuer: Ein gesundes Arbeitsumfeld stellt vor allem sicher, dass die körperliche, psychische und soziale Gesundheit der Mitarbeitenden gesichert ist und gefördert wird. Wichtige Aspekte sind vor allem:
- Psychologische Sicherheit als Grundlage für eine effektive Zusammenarbeit
- Eine offene Kommunikation, die eine positive Arbeitsatmosphäre schafft
- Eine gute Unternehmenskultur, die Mitarbeitenden Orientierung gibt
- Ausreichend Wertschätzung, vor allem durch Führungskräfte
- Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln
- Ein physisches Arbeitsumfeld, das produktives Arbeiten möglich macht z. B. durch die richtige Arbeitsausstattung
Viele Gesundheitsfachkräfte haben das Gefühl, dass ihre mentale Gesundheit oder die ihrer Teammitglieder leidet, aber wissen nicht, wie sie es beim Arbeitgeber ansprechen sollen. Was rätst du ihnen?
Kimberly Breuer: Das Thema mentale Probleme im Unternehmen anzusprechen ist für fast niemanden leicht. Viele haben Angst vor entsprechenden Gesprächen - vor der Reaktion oder davor, dass das einen negativen Einfluss auf ihr Arbeitsverhältnis hat.
Wenn sich etwas ändern soll, kommt man um genau diese Gespräche aber nicht herum. Nur durch ein gemeinsames Gespräch kann eine Lösung gefunden werden. In den meisten Situationen ist das auch der Fall, da beide Seiten das gleiche Ziel verfolgen: Dass es Mitarbeitenden so gut geht, dass sie nachhaltig motiviert, produktiv und erfolgreich sein können.
Als Mitarbeiter:in hilft es, sich genau das klar zu machen. Beide Seiten profitieren, wenn es einem gut geht. Im Gespräch mit der Führungskraft ist es deswegen auch okay, das anzusprechen. Das kann zum Beispiel so aussehen: „Ich möchte hier meine beste Leistung einbringen, damit wir zusammen so erfolgreich wie möglich sind. Aktuell kann ich das nicht, weil es mir mental nicht gut geht. Mir würde es helfen, wenn…/Ich würde mir wünschen, dass wir eine gemeinsame Lösung finden.“
Ist der Leidensdruck sehr hoch und der Chef oder die Chefin nicht bereit ins Gespräch zu gehen, sollte man sich fragen, ob das langfristig das richtige Arbeitsumfeld für einen ist. In so einem Fall kann ein Jobwechsel sinnvoll sein.
Was ich Mitarbeitenden darüber hinaus raten kann, ist:
- Sich für die eigenen mentalen Probleme externe, professionelle Hilfe holen bzw. Teammitglieder bei der Suche danach zu unterstützen.
- Einen guten Zeitpunkt für das Gespräch mit der Führungskraft finden und das Thema zum Beispiel bei einem Kaffee oder einem Spaziergang ansprechen.
- Sich vorab Gedanken machen, was man sich vom Unternehmen oder der Führungskraft wünscht. Gibt es konkrete Veränderungs- oder Maßnahmenvorschläge, die man machen kann?

Was können Menschen in Gesundheitsberufen selbst tun, um ihre mentale Gesundheit zu erhalten bzw. zu verbessern?
Kimberly Breuer: Sich um seine mentale Gesundheit zu kümmern, sollte im Idealfall als Teil einer täglichen Routine verstanden werden. Es ist ein wichtiger Teil der Selbstfürsorge. Welche Werkzeuge hier am besten für einen funktionieren, ist individuell.
Neben wichtigen Grundlagen wie gesunder Ernährung, ausreichend Bewegung und Schlaf gibt es einige weitere hilfreiche Strategien, die auch in stressigen Gesundheitsberufen möglich sind. Beispielsweise:
- Sich selbst zu reflektieren, z. B. durch Tagebuchschreiben oder Gespräche mit einem oder einer Therapeut:in. Das kann helfen, eigene Stressoren und Bedürfnisse besser zu verstehen.
- Die eigenen physischen und mentalen Warnsignale für Überlastung zu identifizieren und das Bewusstsein für diese zu schärfen.
- Lernen, Grenzen zu setzen und diese zu kommunizieren.
- Routinen aufzubauen, die helfen, nach der Arbeit abzuschalten. Zum Beispiel ein Spaziergang, Sport oder Meditation.
- Kleine Pausen in den Arbeitsalltag einzubauen.
- Ausgleichende Aktivitäten zu planen, die einem Spaß machen - ob es ein gutes Buch, ein Wellnesstag oder ein Essen mit Freund:innen ist.
Wie können Führungskräfte dazu beitragen, eine gesunde Arbeitsumgebung zu schaffen, die die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden fördert?
Kimberly Breuer: Führungskräfte spielen eine essentielle Rolle für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. Sich dessen bewusst zu sein ist ein wichtiger erster Schritt.
Darauf aufbauend sollten Führungskräfte:
- Eine offene und transparente Kommunikation fördern und ihren Mitarbeitenden das Gefühl geben, dass sie gehört werden und dass ihre Meinungen und Bedürfnisse wichtig sind.
- Regelmäßig Feedback geben und ihre Wertschätzung für gute Arbeit ausdrücken, um das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl ihrer Mitarbeitenden zu stärken.
- Einen offenen Umgang mit mentaler Gesundheit fördern, indem sie das Thema proaktiv ansprechen und vielleicht auch eigene Erfahrungen teilen. Das hilft, das Bewusstsein für mentale Probleme zu stärken.
- Achtsam für und interessiert am Wohlbefinden der Mitarbeitenden sein. Das geht, indem man das Thema beispielsweise in regelmäßigen kurzen Check-ins anspricht.
- Sich dafür einsetzen, dass Mitarbeitende Zugang zu Unterstützung und Ressourcen haben, wenn sie diese benötigen.
Welche Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten sollten Arbeitgeber im Gesundheitswesen ihren Mitarbeitern anbieten?
Kimberly Breuer: Mögliche Maßnahmen gibt es viele. Im Idealfall sollten Arbeitgeber:innen mit ihren Mitarbeitenden darüber sprechen, welche Art der Unterstützung sie sich wünschen würden.
Das geht auch über anonyme Umfragen. Diese können ein wichtiges Werkzeug sein, um einen regelmäßigen Einblick in den Status Quo des mentalen Wohlbefindens der Mitarbeiter:innen zu bekommen.
Ein paar Beispiele für mögliche Maßnahmen sind:
- Experteninhalte zum Thema mentale Gesundheit über Webinare, Lunch & Learn Sessions, (e-)Booklets oder ähnliche Formate bereitstellen.
- Eine Austauschgruppe für Mitarbeitende ins Leben rufen. Diese kann durch eine:n HR Verantwortliche:n oder eine:n psychologische:n Expert:in fazilitiert werden.
- Stressmanagementtrainings anbieten. Das geht virtuell und vor Ort.
- Zugang zu professioneller Unterstützung zum Beispiel durch Inhouse Psycholog:innen, ein Employee Assistance Program oder eine digitale Plattform wie Likeminded.
Beschäftigte im Gesundheitswesen tragen eine hohe Verantwortung für das Wohlergehen anderer. Die Arbeit in dieser Branche erfordert nicht nur körperliche Belastbarkeit, sondern auch eine starke geistige Resilienz. Umso wichtiger ist es, dass der Arbeitgeber das seelische Wohlbefinden durch Prävention und Unterstützungsangebote fördert. Nur so können Gesundheitsfachkräfte ihren Beruf langfristig und motiviert ausführen.


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