Pflegekräfte oder Ärzte – wer ist hier eigentlich der Chef?

MEDWING
August 20, 2024

In seinem Gastbeitrag appelliert Facharzt Bernd Jakob an seine Kollegen: „Wir sitzen doch alle in einem Boot“.

Themen auf dieser Seite

    Bernd Jakob


    Wir sitzen doch alle in einem Boot. Na gut, vielleicht eher in einem Schiff, denn in einem Boot findet nicht das ganze Krankenhauspersonal Platz. Bis hierhin würden mir bestimmt alle zustimmen. Erfahrungsgemäß gibt es jedoch einige, die meinen, dass oben in der Kommandozentrale des Schiffes Kapitäne im weißen Kittel den Ton angeben und unten im Maschinenraum austauschbare Pflegekräfte in rußverschmierter Uniform, die Kohle nachschieben. Ein vieldiskutierter Blick, den ich gerne in meinem ersten Gastbeitrag näher beleuchten möchte.

    Wer in einem Krankenhaus arbeitet, weiß: Es gibt Ärzte, die der oben dargestellten Auffassung sind. Gelegentlich kursiert sogar die Ansicht, dass ein guter Arzt nicht Freund der Pflege sein kann. Ab und zu müsse man den Pflegern die Leviten lesen, damit wieder Ordnung im Schiffsbauch einkehrt. Was der Sinn dieser – meiner Meinung nach völlig veralteten – Hierarchie-Vorstellung sein soll, konnte mir noch kein Kollege erklären.



    Ich jedenfalls habe in acht Jahren Dienstzeit immer die eine Erfahrung gemacht:Die Pflegenden sind nicht nur unersetzlich wertvoll, sondern haben mir unzählige Male das Sitzfleisch gerettet! Ich erinnere mich noch gut an einen meiner ersten Nachtdienste:

    Eine Dame, die sich aufgrund einer Behinderung nicht äußern konnte, war unbeobachtet auf einer Treppe gefallen und hatte sich einen offenen Bruch am Unterarm zugezogen. Ich machte alles für den OP fertig und war zufrieden mit mir. Der aufmerksame Pfleger jedoch nahm mich beiseite und erklärte mir, dass er beim Anziehen des OP-Hemdes den Bauch und einen Oberschenkel auffällig fand. Es stellte sich eine Beckenfraktur und ein Oberschenkel-Bruch heraus. Ich hatte im Stress den Bodycheck vergessen und nur das Offensichtliche gesehen. Die Patientin hätte innerlich verbluten können und ohne den smarten Pfleger hätte ich meine kleine Kabine auf dem Dampfer schnell wieder verlassen müssen.



    Dies ist nur eines von vielen Beispielen, durch das ich die Pflege zu schätzen gelernt habe. Einen Laborwert hier übersehen, ein Medikament dort falsch angeordnet – die wachsamen Augen einer wohlgesonnenen Stationsschwester können den Arzt vor Leid bewahren. Und an dieser Stelle sei betont, dass dies absolut nicht zum Aufgabenbereich der Pflegekräfte gehört.

    Wenn mir eine Pflegekraft bei der Chefvisite etwas ins Ohr flüstert, um mich vor peinlichem Unwissen vor dem Chef zu bewahren, ist dies nicht selbstverständlich. Oder wenn mir die Operationstechnische Assistentin nicht das Instrument anreicht, welches ich nenne, sondern jenes, das ich wirklich brauche. Sie hätte mich genauso gut „ins Messer“ laufen lassen können. Wie im echten Leben gilt hier einmal mehr: Wie du in den Wald hinein rufst, so schallt es heraus. Ist der Arzt als überhebliches Biest bekannt, muss er sich nicht wundern.



    Wo wir gerade bei wundern sind: Ich für meinen Teil bewundere nicht nur die Fähigkeit der Pflege, widrigste Körpersäfte fremder Menschen aufzufangen und dabei den eigenen Ekel zu überwinden. Ich habe Hochachtung davor, wenn Pflegekräfte trotz maximalem Personalmangel und Stress immer noch ein gutes Wort für den schwer kranken Patienten übrig haben.

    Die Pflegenden sind Profis und haben einen professionell fordernden Job. Genauso wie die Ärzte. Wir arbeiten zusammen, nebeneinander und nicht über- oder untereinander! Es gibt hier keinen Chef oder den Ansagen-Macher. Wir können einander helfen, wenn wir sehen, dass die andere Berufsgruppe gerade Hilfe braucht. Auch Ärzte dürfen zum Beispiel eine Infusion anhängen oder einem Patienten beim Lagern helfen.

    Mein Fazit ist ein Tipp an alle ärztlichen Kollegen: Seid nett zur Pflege und eure Reise an Bord des Krankenhaus-Dampfers wird sonniger und ihr fallt nicht über Bord.

    Bernd Jakob


    Das könnte Dich auch interessieren:

    Alle Artikel ansehen