Sexuelle Belästigung: Wie du dich als Pflegekraft vor Übergriffen schützt

Friederike Bloch
August 20, 2024

Viele Pflegekräfte haben schon sexuelle Übergriffe an ihrem Arbeitsplatz erlebt. So reagierst du auf Belästigungen.

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    Eindeutige Blicke, obszöne Bemerkungen, Griffe in den Intimbereich. SexuelleBelästigung am Arbeitsplatz ist für viele Pflegekräfte leider Alltag. Wir geben Tipps, wie du auf diese Übergriffe richtig reagierst.

    Zunächst einmal: Du bist nicht alleine. Eine Studieder Antidiskriminierungsstelle des Bundes ergab letztes Jahr, dass sexuelleBelästigung im Gesundheits- und Sozialwesen besonders häufig vorkommt.Knapp ein Drittel der betroffenen Arbeitnehmer:innen arbeitet in diesen Branchen, die immer noch vor allem weiblich besetzt sind. Und Frauen erleben laut der Studie weitaus häufiger sexuelle Übergriffe, als ihre männlichen Kollegen.

    Erschreckende Tweets unter #respectnurses

    Auf Twitter solidarisieren sich Pflegekräfte unter dem Hashtag #respectnurses,um auf Missstände an ihren Arbeitsplätzen aufmerksam zu machen. Darunterfinden sich auch zahlreiche Tweets, die von sexueller Belästigung berichten. Sieerinnern an die #MeToo-Debatte oder an den Männerwelten-Beitrag von Jokound Klaas, der kürzlich für Aufsehen gesorgt hat.


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    „Stell dich nicht so an“, bekommen viele Pflegerinnen und Pfleger dann oft auchnoch zu hören, wenn sie sich überhaupt trauen, mit der Stationsleitung oderKollegen darüber zu reden. Doch solche Erlebnisse stehen in direktemZusammenhang mit psychischen Beeinträchtigungen wie Schlaflosigkeit,Konzentrationsproblemen, Angstgefühlen und Depressionen. Das ergab eineBefragung von über 300 Pflegekräften im Auftrag der Berufsgenossenschaft fürGesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW).

    Sexuelle Belästigung – Das Gefühl trügt nicht

    „Gerade Frauen geben sich oft selbst die Schuld und fragen sich, ob sie falscheSignale gesendet haben“, stellt Gabriela Koslowski fest. Sie ist psychologischeund systemische Beraterin und arbeitet hauptsächlich mit Berufsgruppen derPflege- und Gesundheitsbranche. Früher war sie selbst Krankenpflegerin undhat sexuelle Belästigung am eigenen Leib erfahren – von lüsternen Blicken bishin zu Griffen unter den Kittel.

    Sie rät, sich auf das eigene Gefühl zu verlassen und betont: „Ich habe das Recht, mich zu wehren und Hilfe zu bekommen.“ Dazu gehört es, abzulehnen, mitzudringlichen Patienten allein zu sein, ebenso wie respektlose Ärzte undKollegen in die Schranken zu weisen und die Vorgesetzten in die Pflicht zunehmen. Vorfälle müssen ernst genommen und gemeldet werden. Denn:„Niemand, egal auf welcher Hierarchiestufe er steht, darf mich anfassen, wennich das nicht will.“ Dieses Selbstbewusstsein vermittelt Gabriela Koslowski auch auf den Seminaren, die sie in Kliniken, Pflegeeinrichtungen und Akademien zum Thema sexuelle Belästigung durchführt.

    So reagieren Pflegekräfte richtig auf Übergriffe am Arbeitsplatz

    „Das Allerwichtigste ist eine klare Haltung und Körpersprache und das auch bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder Demenz“, erklärt die psychologische Beraterin. So bietest du so wenig Angriffsfläche wie möglich.

    Ist es zu einer verbalen Attacke oder einer ungewollten Berührung gekommen, rät sie Folgendes:

    • Die Dinge benennen. Beschreibe, was gerade passiert ist.
    • Gefühle aussprechen. Sag der Person, was die Situation mit dir gemacht hat und dass du dich unwohl fühlst.
    • Keine Diskussion. Fordere die Person mit klaren Worten auf, dies in Zukunft zu unterlassen.

    Gabriela Koslowski empfiehlt Pflegekräften, Sätze wie „Halt, diese Aussage will ich nie wieder hören“, „Ich dulde nicht, dass Sie so mit mir sprechen“ oder „Nehmen Sie die Hände weg“ zu üben. So kannst du schnell und routiniert reagieren. Körperliche Belästigungen solltest du, wenn möglich, zusätzlich mit ausgestrecktem Arm und offener Handfläche abwehren.

    Ignoriere niemals das Geschehene, sondern dokumentiere alles schriftlich. Fordere Hilfe ein, entweder von einer Vertrauensperson aus dem Team oder von Arbeitnehmervertretern wie dem Betriebsrat, Gleichstellungs- oder Frauenbeauftragten. Manche Gesundheitseinrichtungen bilden auch Deeskalationstrainer aus.

    Wehre dich, denn du bist im Recht

    Was viele nicht wissen: sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz, egal ob verbal oder körperlich, gilt als Arbeitsunfall, wenn sie einen psychischen oder physischen Schaden nach sich zieht. Opfer haben also Anspruch auf Kostenübernahme bei ärztlicher oder psychologischer Behandlung, zum Beispiel durch Unfallversicherer wie die BGW.

    Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtet Arbeitgeber auch rechtlich, ihre Arbeitnehmer:innen vor jeglicher Diskriminierung zu schützen und betriebsinterne Beschwerdestellen einzurichten. Leider gibt es an dieser Stelle noch einigen Nachholbedarf. Bisher verfügt nur etwa die Hälfte aller Unternehmen über Beschwerdestellen.

    In vielen Einrichtungen fehlen Leitlinien zum Umgang mit sexueller Gewalt. Gabriela Koslowski schlägt daher vor, interdisziplinäre Teamsitzungen anzuregen, sexuelle Belästigung auch in Fallbesprechungen zu thematisieren und zu fragen, wie gehen wir damit um? Sie unterstützt Betriebe dabei, Präventionsprogramme zu entwickeln.

    Auch die BGW empfiehlt, das Thema zum Teil der betrieblichen Präventionskultur zu machen und es in das Arbeitsschutz-Konzept und die Hausordnung zu integrieren. Eine Leitlinie ist sinnvoll. Sie zeigt auf, wer Ansprechpartner ist, welche Schutzmaßnahmen es gibt und wie mit sexueller Belästigung umgegangen wird. Die medizinische Hochschule Hannover geht hier mit gutem Beispiel voran.

    Der Ort, an dem du täglich für andere da bist, Überstunden schiebst und oft an körperliche und emotionale Grenzen gehst, sollte ein Ort sein, an dem du dich sicher fühlst. Zögere nicht, anzügliche Anspielungen sofort zu kontern, melde jeden Übergriff und sensibilisiere deine Kolleg:innen und Vorgesetzten für das Thema. So stärkst du dich und dein Team und sorgst dafür, dass sexuelle Belästigung an deinem Arbeitsplatz keine Chance hat.

    Friederike Bloch

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