Ein Händeschütteln, eine Umarmung, der Austausch von Zärtlichkeiten. Vor Corona waren solche Berührungen selbstverständlich. Doch nun können sie für uns und andere gefährlich werden. Was im Arbeitsalltag von Pflegekräften eigentlich normal ist, kann im Umgang mit Risikopatienten gefährlich werden. Angesichts der wieder ansteigenden Infektionszahlen und der Gefahr der zweiten Welle denken wir wohl alle über jeden Körperkontakt zweimal nach, ob privat oder beruflich.
Dabei sind Berührungen so wichtig. Das merken viele vor allem jetzt, wo sie darauf verzichten müssen. Warum das so ist, weiß die Diplom-Psychologin Monika Eckstein. Am Institut für medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Heidelberg erforscht sie die Auswirkungen von Berührungen. Im Interview erzählt sie, was Berührungen bei uns auslösen und warum sie lebensnotwendig sind.
Frau Eckstein, kann man Sie eigentlich als Berührungsforscherin bezeichnen?
Wenn ich mich selbst zuordnen muss, dann spreche ich oft von den sozialen Neurowissenschaften oder von der sozialen Psychoneuroendokrinologie. Mich interessieren die Schnittstellen zwischen sozialen und körperlich-psychischen Prozessen, besonders im Bereich der sozialen Interaktion – also immer, wenn zwei Menschen aufeinander treffen.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Wir führen verschiedene Studien durch, die alle mit sozialer Interaktion zu tun haben, aktuell auch eine Corona-Studie. Als im Frühjahr der Lockdown kam, haben wir schnell reagiert und und gesagt, wir müssen uns anschauen, was das psychologisch mit den Leuten macht. Bisher haben wir uns darauf konzentriert, was passiert, wenn wir Sozialkontakt haben. Nun fragen wir, was passiert, wenn der Sozialkontakt weggenommen wird.
Wie läuft die Studie ab?
Die Corona-Studie ist die erste, die für uns ohne direkten Kontakt mit den Teilnehmern stattfindet. Es gab eine kurze Onlinebefragung, für die sich 2000 Leute gemeldet haben und eine biopsychologische Untersuchung, für die man sich nach der Befragung freiwillig melden konnte. 250 Leute haben sich bereiterklärt, zu Hause Speichelproben zu entnehmen. Zusätzlich beantworten die Menschen Fragen, zum Beispiel, ob sie gerade alleine sind, sich einsam fühlen oder ob sie mehr oder weniger Stress haben. Im Speichel messen wir dann das Cortisol und das Oxytocin. Cortisol ist ein Indikator für Stress und das Oxytocin für die soziale Eingebundenheit. Wenn man sozial sehr eingebunden ist, einen Partner hat, mit Freunden zusammen ist und oft Berührungen erfährt, ist das Oxytocin hoch und wirkt als Regulation der Stressachse. Dies zeigen auch Massagestudien, die wir gemacht haben. Nach einer Berührung geht das Cortisol und somit die Stressachse runter und die Leute fühlen sich besser.
Wie weit sind Sie bei der Auswertung der aktuellen Studie?
Wir haben leider noch keine Ergebnisse, da die Speichelanalysen sehr aufwendig sind.
Gibt es denn einen Richtwert für die Konzentration dieser Hormone? Sie haben ja keine Vergleichswerte aus der Normalsituation und Menschen haben doch sicher sehr unterschiedliche Stresslevel.
Das ist der Knackpunkt, dass wir es nicht vorher messen konnten. Wir wollen aber eine zweite Erhebung machen, sobald wieder so etwas wie Normalität eingekehrt ist. Dann bitten wir die Leute, eine weitere Speichelprobe abzugeben, um zu sehen, was wirklich an den Kontaktbeschränkungen lag und wer schon vorher einen besonders hohen oder niedrigen Stresspegel hatte. Bei diesen Hormonen gibt es leider keine festen Grenzwerte.
Kann man sagen, Berührungen sind lebenswichtig?
Die Tierforschung deutet darauf hin. Es gibt Versuche, zum Beispiel mit Mäusebabys, die ohne Berührungen aufwachsen sollten und dann gestorben sind. Das kann man beim Menschen natürlich nicht so untersuchen.
Berührungen können das Wohlbefinden erhöhen. Warum ist das so?
Berührungen vermitteln Sicherheit. Die Familie, der Schutz einer sozialen Gruppe und enger körperlicher Kontakt tut Menschen gut. Es gibt Dinge, die uns sehr schnell Angst machen, zum Beispiel Schlangen und Spinnen. Wir bringen sie eher mit Angst in Verbindung, als eine Steckdose oder eine Straßenbahn, die auf uns zufährt, weil unser Instinkt darauf ausgerichtet ist. Genauso ist unsere Biologie darauf ausgerichtet, bei einer sozialen Berührung viel mehr Sicherheit zu empfinden, als beim Anblick einer Notrufsäule. Die ist auch gut für die Sicherheit, aber es löst psychologisch nicht das Gleiche bei uns aus, wie eine menschliche Berührung. Bei der individuellen Entwicklung lernt das Baby von Anfang an, dass die Mutter eine Schutzfunktion hat. Es kann natürlich auch Situationen geben, wo Berührungen keinen positiven Effekt haben, wenn man zum Beispiel Angst vor jemanden hat oder wenn Menschen Traumata haben.
In Zeiten von Corona sind Berührungen plötzlich zu etwas potentiell Gefährlichem geworden. Wie wirkt sich das auf die Menschen aus?
Das finden wir hoffentlich mit unserer Studie heraus. Ich denke, dass viele Berührungen, die im öffentlichen Raum stattgefunden haben, für längere Zeit wegfallen. Aber im privaten Raum gibt es sie ja noch, in der Familie oder in kleinen Gruppen, denen man vertraut. Diejenigen, für die der Rückzug ins Private möglich ist, sind die Glücklichen. Für die Leute, die das nicht haben, könnte es ein Problem darstellen. Sie spüren die Einsamkeit noch mehr. Es bleibt zu hoffen, dass sie in das Gesundheitssystem eingebunden sind und sich Hilfe holen, wenn sie sie brauchen.
Wie viel Berührung brauchen wir denn und können kleine Berührungen im Alltag, zum Beispiel ein Händeschütteln, schon einen Unterschied machen?
Das ist leider noch nicht so systematisch erforscht, wie ich es mir wünschen würde. Was zum Beispiel das Minimum ist und wie genau eine Berührung aussehen muss, damit sie nachweislich gesundheitsförderlich ist. Es gibt Forschungen mit Tieren, beispielsweise was es bewirkt, einen Hund zu streicheln und es gibt ja auch schon ganz einfache Roboter, die man streicheln kann. Das hat sicherlich einen positiven Effekt, aber wie stark der ist und ob er einer menschlichen Berührung gleichkommt, dazu gibt es leider noch wenig.
Wie ist es bei älteren Menschen? Leiden sie mehr unter den Kontaktbeschränkungen und ist es ein Problem, dass ihnen das Bedürfnis nach Körperlichkeit oft abgesprochen wird?
Ich denke schon. Allerdings machen wir unsere Forschung meistens mit jüngeren Leuten, deshalb kann ich nur vermuten, dass es ein anderes Bedürfnis gibt. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Berührungen bei Menschen mit Demenz eine besondere Rolle spielen und es wichtig ist, herauszufinden, was derjenige angenehm findet und was nicht. Was auf jeden Fall Einfluss hat, ist die individuelle Geschichte des Menschen. Ob er es gewöhnt ist, ob er viele soziale Kontakte hat, ob es eine Umarmungskultur gibt oder es in seinem Umfeld eher beim Zunicken bleibt. Natürlich auch, ob er negative Erfahrungen gemacht hat.
Glauben Sie, dass nach Corona eine Angst vor Berührung bleibt?
Ich hoffe nicht, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass es langfristig etwas verändert und dass Sachen, wie zum Beispiel die Hand zu geben nicht mehr so gern gemacht werden. Mein Tipp ist, sich nicht zurückzuziehen und soziale Kontakte zu pflegen, weil es eben wissenschaftliche Belege dafür gibt, dass man dann psychisch und körperlich gesünder ist.
Friederike Bloch


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