Mit Suchtkranken im Altenheim richtig umgehen – Tipps & Hinweise

Inspiriert von der faszinierenden Welt der Medizin und Pflege, möchte unser Redaktionsteam sich mit Fachkräften austauschen, Perspektiven aufzeigen mit Interviews und Reportagen, um die Vielfalt des Pflegealltags zum Ausdruck bringen.

Das Thema „Sucht im Alter“ ist in der Öffentlichkeit kaum präsent. In der Altenpflege triffst du als Fachkraft jedoch höchstwahrscheinlich auch auf Bewohner:innen, die einen auffälligen oder sogar problematischen Gebrauch von Nikotin, Alkohol oder Medikamenten zeigen. Dann ist Fingerspitzengefühl gefragt.Die knapp 80-jährige Inge W. ist seit einem halben Jahr Bewohnerin einer Hamburger Senioreneinrichtung. Den Pflegekräften fiel auf, dass die mobile alte Dame überraschend viel Alkohol trinkt. „In ihrem Zimmer fanden wir ständig leere Flaschen“, erklärt Altenpflegerin Sabine K. Angemerkt habe man der Bewohnerin nichts. Aber sie hätte abends zum Einschlafen regelmäßig ein bis zwei Gläser Wein zu sich genommen.Die 71-jährige Karin L. bereitet sich aktuell auf den Einzug in ein betreutes Wohnen vor. „Allein leben, geht nicht mehr.“ Ihre Tochter, die mit ihrer Familie 500 Kilometer entfernt lebt, hilft ihr dabei, ihre Wohnung leerzuräumen und zu säubern. Seit ihrem Unfall leidet Karin L. unter chronischen Schmerzen. Die ließen sie abends nicht einschlafen. Manchmal litt sie unter Angstattacken. Sie bekam Schmerzmittel und Schlafmittel von verschiedenen Ärzten. Das sei mit der Zeit einfach zu viel geworden. Aufgefallen ist das Problem erst, als die Tochter bei einem Besuch in eine vermüllte Wohnung kam und dort auf die ganzen leeren Medikamentenschachteln stieß.# Pflege und Sucht Der Konsum von Suchtmitteln kann ein Risiko für die Gesundheit der Betroffenen bedeuten und ihre Lebensqualität beeinträchtigen. Bei alleinlebenden älteren Menschen bleibt ein übermäßiger Alkohol- oder Medikamentengebrauch möglicherweise über Jahre hinweg unentdeckt.## Alkoholprobleme im AlterÄltere Menschen leiden häufig unter mehreren Krankheiten. Kommt eine Suchterkrankung dazu, ist das also oft ein Problem von vielen. Nehmen Pflegebedürftige wegen Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Arthritis, Diabetes oder Krebserkrankungen Medikamente ein, kann es allerdings zu Wechselwirkungen mit Alkohol kommen. Das ist den Senior:innen nicht unbedingt bewusst.Ältere Menschen vertragen Alkohol ohnehin schlechter. Das liegt daran, dass der Wassergehalt in den Zellen mit zunehmendem Lebensalter abnimmt. Darum geht der Alkohol nach einem Glas Wein, Bier oder Schnaps schneller ins Blut als bei jüngeren Menschen. Die Leber ist als Entgiftungsorgan ebenfalls stärker gefordert: Sie muss Medikamente und Alkohol abbauen.Selbst wenn frühere Konsumgewohnheiten im Alter beibehalten werden, kann es durch die sinkende Toleranz für Alkohol schwierig werden. Kommt es zu Schicksalsschlägen und belastenden Lebensereignissen wie einer schweren Erkrankung oder dem Tod des Lebenspartners, ist der Übergang von einem gesundheitlich unbedenklichen zum riskanten Alkoholkonsum meist fließend. Alkohol ist billig und einfach zu beschaffen. Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen zufolge ist der Alkoholkonsum bei 15 Prozent der Männer und Frauen über 60 als riskant einzustufen. Als abhängig gelten bis zu drei Prozent der Männer und bis zu ein Prozent der Frauen. ### Abstinenz unterstützenIst bei Pflegebedürftigen bekannt, dass es sich um trockene Alkoholiker:innen handelt? In dem Fall sollten die in der Einrichtung angebotenen Mahlzeiten keinen Alkohol wie Weinsaucen beinhalten. Auch Schnapspralinen und Kuchenspezialitäten mit Alkohol sind tabu. Wichtig ist, bei besonderen Ereignissen oder Feiern alkoholfreie Getränke als Alternative anzubieten. Außerdem sollten ehemalige Alkoholabhängige ihr Zimmer nicht mit Bewohnern oder Bewohnerinnen teilen, die dort Alkohol trinken. Es ist besser, Versuchungen aus ihrem direkten Umfeld fernzuhalten.## Medikamentenabhängigkeit bei SeniorinnenAuch diese Form der Suchterkrankung ist im Alter keine Seltenheit. Senior:innen leiden häufig unter mehreren chronischen Erkrankungen. Laut der Berliner Alters-Studie nimmt ein Viertel der Menschen über 70 Jahren Psychopharmaka gegen Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und Erregungszustände. Mögliche Nebenwirkungen dieser Präparate lassen sich von Alterserscheinungen schwer unterscheiden. Das gilt besonders, falls beispielsweise eine Demenz vorliegt.Typisch sind Stürze, Schwindel und Gangstörungen, Benommenheit, Antriebsminderung und Interesselosigkeit. Diese Symptome können altersbedingt sein. Ebenso kommen Nebenwirkungen durch einen längeren Benzodiazepinkonsum infrage.Kläre Folgendes ab:* Steigert die Seniorin/der Senior die Höhe der Dosis?* Kommen die Rezepte von unterschiedlichen Ärzten und Apotheken?* Findet die Medikamenteneinnahme heimlich statt?* Gibt es einen Vorrat?* Wird die pflegebedürftige Person unruhig oder sogar ängstlich, wenn die Tabletten zur Neige gehen?Falls ein/e Bewohner:in auffällig viel Schlafmittel, Schmerzmittel oder Beruhigungsmittel konsumiert, dürfen diese in der Regel nicht von heute auf morgen abgesetzt werden. Eine Reduktion der Dosis sollte – wenn überhaupt – unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, denn dabei kann es zu psychischen und körperlichen Entzugserscheinungen kommen. Die Entscheidung darüber, ob die Dosis reduziert werden oder das Mittel irgendwann komplett abgesetzt werden sollte, treffen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte.## Illegale Drogen und Sucht im AlterDer Missbrauch von Heroin, Kokain, Opium, Morphium, LSD und synthetischen illegalen Drogen kommt bei Seniorinnen und Senioren selten vor. Bis vor wenigen Jahrzehnten erreichten die meisten Drogenabhängigen, die diese Substanzen konsumierten, kaum das 40. Lebensjahr. Durch den medizinischen Fortschritt und die Substitutionsbehandlung hat sich diese Situation verändert. Inzwischen gibt es ältere Drogenabhängige, für die Plätze in Pflegeheimen gebraucht werden. Das Besondere an ihrer Situation: Sie leiden oft bereits in jungen Jahren unter typischen Alterserkrankungen wie Demenz, Osteoporose und Arthrose. Dazu kommen weitere Krankheiten wie HIV, Leberschäden, Hepatitis und Lungenkrankheiten, die eine Unterstützung durch ambulante oder stationäre Pflege nötig machen.In der Regel wird die Versorgung mit Methadon im Pflegeheim beibehalten. Benjamin Löhner vom Nürnberger Drogenhilfeverein Mudra erklärt gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: „Wer seit 30, 40 Jahren schwerstabhängig ist, für den ist Abstinenz kein realistisches Ziel mehr.“ Außerdem sei eine Hinwendung von illegalen zu legalen Drogen zu beobachten, was vermutlich mit Beschaffungsschwierigkeiten zusammenhängt. Das heißt, wer früher Opiate konsumiert hat, greift möglicherweise im Alter zu Alkohol und Medikamenten.Darum ist auch hier Wachsamkeit geboten.

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Einschreiten oder nicht?Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, wie er leben möchte. Das schließt selbstschädigendes Verhalten ein. Möchten Seniorinnen und Senioren Suchtmittel konsumieren, haben sie dazu prinzipiell das Recht. Die Freiheit der Person ist unverletzlich (Art. 2 Grundgesetz).Nicht in jedem Fall ist ein Einschreiten nötig. Solange der Konsum unschädlich ist, gibt es kein Problem. Allerdings sinkt beispielsweise durch einen verstärkten Alkoholkonsum möglicherweise die Lebensqualität. Es kommt unter Alkoholeinfluss höchstwahrscheinlich vermehrt zu Stürzen. Auch Einsamkeit ist eine reale Gefahr, weil sich die Bewohner:innen zurückziehen, um ungestört trinken zu können.Besteht ein Risiko für das Umfeld, ist ein Eingreifen zur Abwehr von Gefahren unvermeidbar. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein alkoholisierter Bewohner mit einem Rollstuhl am Straßenverkehr teilnehmen möchte. Vergleichbar ist diese Situation mit einem Gastwirt, der einem angetrunkenen Gast sicherheitshalber die Autoschlüssel abnimmt. Eine vollständige Abstinenz ist bei schwerkranken und/oder betagten Pflegebedürftigen nicht das oberste Ziel. Im Zentrum der Intervention steht die Verbesserung ihrer Lebensqualität. Durch eine Reduzierung des Nikotin-, Alkohol- oder Medikamentenkonsums lassen sich gesundheitliche Risiken bereits verringern. Möglicherweise ist die Abgabe einer kontrollierten Alkoholmenge eine Alternative. # Hilfe bei SuchtproblemenSuchtberatungsstellen sind die ersten Anlaufstellen bei Suchtproblemen. Allerdings sind diese in der Regel nicht auf ältere und alte Menschen spezialisiert. Pflegebedürftige mit einem problematischen Suchtmittelkonsum, die ambulant oder stationär betreut werden, sind deutlich älter als die übliche Klientel.Von sich aus wenden sich Seniorinnen und Senioren selten an Suchtberatungsstellen. Nicht alle halten ihren Konsum für bedenklich. Dazu kommt die Scham. Die Abhängigkeit von Suchtmitteln ist gesellschaftlich stigmatisiert. Darum halten viele die regelmäßige Einnahme von Alkohol und Medikamenten geheim.Aber auch praktische Schwierigkeiten können die Kontaktaufnahme zu einer Suchtberatungsstelle erschweren: * Nicht alle Beratungsstellen sind barrierefrei zugänglich oder einfach mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. * Dazu kommen möglicherweise Öffnungszeiten, die dem Lebensrhythmus älterer Menschen entgegenstehen. (Nach Einsetzen der Dämmerung verlassen viele ihre Wohnung oder ihre Einrichtung nicht mehr.)* Und die Hürde, dort tatsächlich anzurufen und hinzugehen, muss überwunden werden.Eine Möglichkeit, falls es in deiner Senioreneinrichtung keinen Suchtbeauftragten gibt, ist die Einladung einer externen Expertin/eines externen Experten, um gemeinsam Hilfsangebote zu entwickeln.## Alkohol- und Medikamentenkonsum ansprechenEin Gespräch ist der erste Schritt: Wenn dir in der Altenpflege jemand mit einem intensiven Alkohol- oder Medikamentenkonsum auffällt, sprich die/den Bewohner:in darauf an. Ideal ist ein ruhiger Moment, in dem du den älteren Menschen allein antriffst. Gespräche über Suchtprobleme können sehr unterschiedlich verlaufen. Möglicherweise reagieren die Angesprochenen verärgert („Das geht Sie überhaupt nichts an!“). Oder sie fühlen sich beleidigt („Dass Sie so etwas von mir denken!“), verletzt oder ertappt. Manchmal sind die Angesprochenen aber auch erleichtert, weil das Thema endlich einmal offen angesprochen wird. Karin L. beispielsweise ist dankbar, jemandem offen berichten zu können, wie sehr sie eigentlich unter der Dauermedikation gelitten hat. „Ich hätte es ja dem Arzt gesagt. Aber der hätte mir dann nichts mehr aufgeschrieben.“ Ohne Unterstützung habe sie aber nicht einschlafen können. In diesem Kreislauf war sie lange Zeit gefangen. Jetzt kann sie kaum aufhören, darüber zu sprechen. Sie erzählt, wie ihr die Hausarbeit über den Kopf gewachsen ist. Dass die Einsamkeit sie immer trauriger und depressiver werden ließ. Dass sie es kaum erwarten kann, ins betreute Wohnen umzuziehen. Ihren Medikamentenkonsum möchte sie reduzieren. Sie sieht ein, dass es zu viel geworden ist. So einfach ist es allerdings nicht immer.### Risikoeinschätzung vornehmen und gemeinsame Strategie festlegenWichtig ist, dass sich das Team gemeinsam auf eine Strategie einigt. Das zeigt den Bewohnerinnen und Bewohnern, dass die Pflegekräfte als Einheit handeln. Außerdem entlastet es die Mitarbeiter:innen im Alltag: Sie wissen genau, woran sie sind.Am Anfang steht die Risikoeinschätzung: * Welche Folgen hat der Konsum von Alkohol oder Medikamenten für die pflegebedürftige Person?* Besteht eine akute Gefahr für ihre eigene Gesundheit oder für das Umfeld? * Falls ja: Wie kann die Gefahr reduziert/unter Kontrolle gebracht werden? Eine Veränderung des Konsums ist nur mit der betroffenen Person gemeinsam erreichbar. ### Tipps für das GesprächFalls du den pflegebedürftigen Menschen bereits länger kennst, besteht bereits ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen euch. Das kann den Gesprächseinstieg erleichtern. Es geht dabei nicht darum, den Seniorinnen ihren Alkohol- oder Medikamentenkonsum wie ein Detektiv nachzuweisen oder um jeden Preis Recht zu bekommen.* Nähere dich den Pflegebedürftigen wertschätzend, einfühlsam und ohne Wertung. * Akzeptiere die Sichtweise der betroffenen Person. * Erwarte nicht zu viel: Eventuell gibt es zunächst keine Gesprächsbereitschaft. Vielleicht fehlt auch die Einsicht oder die Bereitschaft, irgendetwas an der Situation verändern zu wollen. * Sieh es als Anfang. Gib dem älteren Menschen Zeit, um nachzudenken und sich mit dem Thema zu beschäftigen.* Möglicherweise kannst du in einem Folgegespräch erneut an den Alkohol- oder Medikamentenkonsum anknüpfen. Wichtig ist, niedrigschwellige Angebote zu machen. Das Ziel muss erreichbar und zugleich erstrebenswert sein. Es ist ein großer Erfolg, dass Inge W. nicht mehr jeden Abend ein bis zwei Gläser Wein trinkt, sondern nur noch jeden zweiten Tag ein Glas Wein zu sich nimmt. ### Ideen für den Gesprächseinstieg* „Mir ist aufgefallen, dass Ihre Blutwerte schlechter geworden sind. Möglicherweise vertragen Sie Alkohol nicht mehr so gut.“* „Wir kennen uns ja schon eine ganze Weile. Mir fällt auf, dass Sie öfter Schmerzmittel und Schlafmittel einnehmen als früher. Das macht mir Sorgen.“* „Ich habe wirklich Angst um Sie, weil Sie jetzt schon zweimal gestürzt sind. Möglicherweise liegt es daran, dass Sie Alkohol schlechter vertragen als früher.“Es ist bereits ein großer Erfolg, wenn jemand von sich aus Auskunft über seinen Konsum gibt und bereit ist, darüber zu sprechen. Darauf lässt sich weiter aufbauen.Michaela Hövermann

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