Stefan Heyde: Wie mein Pony Harry zum „Demenzbesuchspferd“ wurde

Inspiriert von der faszinierenden Welt der Medizin und Pflege, möchte unser Redaktionsteam sich mit Fachkräften austauschen, Perspektiven aufzeigen mit Interviews und Reportagen, um die Vielfalt des Pflegealltags zum Ausdruck bringen.

Stefan Heyde


Alltagsbegleiter Stefan Heyde hat eine Fortbildung zur Fachkraft für tiergestützte Intervention gemacht und sein Pony Harry zum „Demenzbesuchspferd“ ausgebildet. Hier berichtet er von dem spannenden Weg dorthin.

Schon vor einigen Jahren, damals noch in einem Pflegeheim, konnte ich die ersten Erfahrungen sammeln, wie sich Tiere auf das Verhalten von Bewohnern auswirken. Zu dieser Zeit hatten wir in diesem Pflegeheim mehrere Hunde, welche ihre Besitzer:innen bei ihren Schichten begleiteten.

Die Effekte waren immer sehr ähnlich. Es gab viele Bewohner:innen, die sehr positiv auf die Tiere reagierten und ihr Verhalten verbesserten. Eine Bewohnerin, die durch ihre Krankheit das Bett nicht mehr verlassen konnte und ansonsten sehr ruhig war, wenig sprach, keinen Augenkontakt suchte und meist depressiv an die Decke blickte, blühte bei diesen Besuchen auf. Der Hund legte sich in ihr Bett, sie streichelte ihn und kuschelte mit ihm. Dabei veränderte sich ihre ganze Ausstrahlung und sie wurde jedes Mal fröhlich. Dann erzählte sie, wie sie damals selbst Hunde hatte, wie sehr sie diese mochte und kommunizierte offen mit mir. Die eisige Barriere und Distanz waren weg.

Warum ich euch diese Geschichte in der Kurzfassung erzähle?

Ganz einfach, ein Tier kann oftmals ein Türöffner für uns Pflegekräfte sein. Mit ihm lassen sich Barrieren in der Kommunikation und teilweise sogar im Verhalten aufweichen. Tiere können Ängste mindern und Spannungen abbauen.

Aber warum hat diese Methode bis jetzt keinen festen Platz im Pflegeheim? Ich denke, es liegt daran, dass es auch einiges zu beachten gibt.

Eine Weiterbildung von Pflegekraft und dem jeweiligen Tier ist eine Grundvoraussetzung. Ebenso die Impfungen, ein guter Gesundheitszustand und das entsprechende Wesen des Tieres.

Tierische Helfer im Pflegeheim sind also mit Kosten verbunden, die im Vergleich zum Ergebnis für das Pflegeheim wahrscheinlich zu hoch sind. Wird mit dieser Entscheidung nicht auch der Altenpflege ein Hilfsmittel, gerade im Umgang mit demenziell erkrankten Menschen, genommen?

Haustiere tun alten Menschen gut

Studien aus anderen europäischen Ländern, in denen es teilweise Haustiere (hauptsächlich Katzen und Hunde) in den jeweiligen Wohnbereichen gibt, zeigen, dass dort die Bewohner:innen zugänglicher sind. Sie zeigen öfter Gefühle und Streitigkeiten sowie Gewalt untereinander oder gegen Pflegekräfte nehmen ab.

Basierend auf diesen Erkenntnissen wollte ich in meiner Alltagsbegleitung diesen Schritt wagen. So habe ich letztes Jahr ausgiebig recherchiert, welche Möglichkeiten es gibt, sich in diesem Bereich fortzubilden und welchen „Tierapeuten“ ich dazu gerne auswählen wollte.

Das Schicksal hat uns ein wenig in die Hände gespielt. Meine Frau und ich bekamen ein Pferd. Dabei handelt es sich um einen Isländer mit dem Namen Harry in seinen besten Lebensjahren, der den Weg aus Baden-Württemberg nach Rheinland-Pfalz zu uns fand.

Dadurch begann ich mich mit Pferden weiter auseinanderzusetzen und mich faszinierte dieses tolle, ausgeglichene Wesen sofort. Gab es die Möglichkeit auch Pferde für meine Idee einzubinden?

Harrys Weg zum Demenzbesuchspferd

Wieder führte die Suche mich ins Internet und zu vielen unterschiedlichen Anbietern, mit unterschiedlichen Preisen und Längen der Fortbildung. Ich fand die Seite von Marion Jettenberger und ihre Fortbildungen und stieß auf die Fortbildung „Fachkraft für tiergestützte Intervention“ und auch die Möglichkeit, sein Tier als „Demenzbesuchspferd“ zu qualifizieren.

Eine aufregende Entdeckung für mich. Ich nahm Kontakt mit Frau Jettenberger auf und erklärte ihr die Situation. In kürzester Zeit waren die Rahmenbedingungen abgesteckt und die Fortbildung startete. Ich fand es klasse, dass es eine Mischung aus Lehrbriefen, dazugehörigen Tests und auch praktischen Übungen war.

So lernte ich die Grundzüge der tiergestützten Intervention, erarbeitete mir mein Wissen und konnte gleichzeitig auch schon Materialien und notwendige Unterlagen vorbereiten, die ich später alle brauche.

Der Abschlusstest orientierte sich sehr an der Praxis und ich konnte hier schon sehr gut die Verknüpfung legen, wie es mit meinem „Tierapeuten“ laufen sollte. Danach ging es an die Qualifizierung von unserem Pferd. Diese war sehr auf die Praxis aufgelegt und umfasste unter anderem das Gewöhnen an Gehstützen, Rollstühle und Rollatoren.

Jede Übung dauerte seine Zeit und langsam kamen auch hier die Fortschritte. Der sanfte, entspannte, aber neugierige Charakter von Harry spielte da mit rein. Wir erarbeiteten uns ein paar kleine Kunststücke, mit denen er das Eis brechen sollte. Zwischendurch bauten wir eine engere Beziehung zu ihm auf und stärkten die Bindung.


Stefan Heyde und sein Demenzbesuchspferd


Ich konnte es nach diesen Monaten des Lernens kaum glauben und war stolz auf alles, was wir als Team geleistet hatten. Die Abschlüsse waren damit geschafft und ich war Fachkraft für tiergestützte Intervention und unser Harry durfte sich Demenzbesuchspferd nennen.

Der praktische Teil der Prüfung bestand dann aus einigen Aufgaben und Übungen mit Harry und wir hatten einen Kunden, an dem wir das Erlernte bei einem kleinen Spaziergang demonstrieren durften.

Hier musste natürlich im Vorfeld die Erlaubnis des Kunden eingeholt werden. Harry war ein Traum von einem Pferd und man sah, dass ihm die neue Aufgabe sehr viel Spaß machte (auch weil er für einige Kunststücke mit Obst belohnt wurde).

„Zeit & Hufe“ – Alltagsbegleitung mit Pferd

Danach ging es in die spannende Phase der Namensfindung. Wie sollte das Angebot denn in Zukunft heißen? Viele Namen schwirrten mir durch den Kopf. Am Ende wurde es das, was ich auch in Verbindung mit meiner Alltagsbegleitung dem Kunden gerne bieten möchte und sich als authentisch bewährt hat: „Zeit & Hufe“.

Der Anruf beim Gewerbeamt brachte allerdings Ernüchterung: die Zustimmung des Veterinäramtes war notwendig. Die Anrufe dort führten mich abermals in die Ernüchterung: der Sachkundenachweis fehlte, dieser ist notwendig für die Anerkennung.

Also ging es wieder auf die Suche nach Anbietern, die diesen Kurs durchführen. Es war schon Herbst und Corona machte damals wieder viele Präsenzveranstaltungen unmöglich, wodurch sich kein Kurs fand oder nur ausgebuchte.

Ich war schlichtweg zur falschen Zeit am falschen Ort. Es ging nicht weiter. So verging der Herbst und erst im Frühling diesen Jahres kam ich durch Glück als Nachrücker in einen Kurs.

Damit erhalte ich bald endlich das fehlende Puzzlestück, die Sachkundeprüfung. Im Juli werde ich diese nun ablegen und dann den nächsten Schritt gehen und meine tiergestützte Intervention mit unserem Pferd Harry bei Zeit & Hufe anbieten können. Für Senior:innen, Menschen mit Demenz sowie Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Um nicht aus der Übung zu kommen, hatten wir vor kurzem noch die Gelegenheit einer Seniorin einen ihrer letzten Wünsche zu erfüllen und haben sie mit Harry bei sich zu Hause besucht.

Es war ein schönes, rührendes Ereignis, wenn man sieht, wie sehr sich jemand über ein Tier freut und für kurze Zeit alles um sich herum vergisst. Harry freute sich über die Aufgabe, stupste die Seniorin sanft mit seiner Nase an und führte seine Übungen und Kunststücke vor. Für einen Moment stand die Welt etwas still. Nur die Seniorin und Harry. Kurze Zeit darauf verstarb sie leider schon.

Genau diese Begegnung hat mir gezeigt, wie wichtig unsere Sache ist und wie man mit tiergestützter Intervention die Menschen glücklich machen kann. Egal wie lange es noch dauert, welche Hürden es noch geben sollte und wie viel es kostet.

Ich werde diesen Weg weitergehen, denn wir brauchen nicht nur Zeit für die Senior:innen, sondern auch Hufe!

Stefan Heyde


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