Wiedereinstieg in die Pflege: Ja, wenn die Umstände stimmen

Begeistert von der Vielfältigkeit des Pflegeberufs möchte Friederike wissen, was Pflegekräfte bewegt. Dazu tauscht sie sich gern persönlich mit ihnen aus und lässt das Pflegepersonal in Interviews und Reportagen selbst zu Wort kommen.

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Heute ist der internationale Tag der Pflegenden. Anlässlich des Geburtstages der Pflegepionierin Florence Nightingale wird jedes Jahr am 12. Mai ein Licht auf all diejenigen geworfen, die andere Menschen privat oder beruflich pflegen. Im Rampenlicht gestanden hat der Pflegeberuf in den letzten beiden Jahren viel. Doch die Aufmerksamkeit, die Corona den Pflegekräften verschafft hat, führte kaum zu einer Verbesserung ihrer Lage.

„Pflexit“ auf Platz 3 der Wörter des Jahres

Im Dezember belegte „Pflexit“ den dritten Platz der Wörter des Jahres 2021. Durch den anhaltenden „Pflege-Exit“ der Branche verschärft sich der Pflegenotstand im deutschen Gesundheitswesen immer mehr. Das Krankenhaus-Barometer des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) ergab Ende 2021, dass vier von fünf Krankenhäusern Probleme haben, Pflegekräfte zu finden. Im Vergleich zu 2016 seien dreimal so viele Pflegestellen unbesetzt – das DKI spricht von rund 22.300. Jedes zweite der 291 befragten Krankenhäuser rechnet mit einer weiteren Verschlechterung der Personalsituation in den nächsten drei Jahren.

Pflegekräfte verlassen ihren Beruf. Die Gründe: der Teufelskreis aus Personalmangel und Personalflucht, die dadurch entstehenden hohen Belastungen und eine entmenschlichende Pflege im Akkord sowie die unzureichende Entlohnung.

Auch bei einer MEDWING-Umfrage aus dem Jahr 2020 unter 386 ehemaligen Pflegekräften spielten diese Gründe eine Rolle. Unter den Mehrfachantworten nannten jeweils 40 Prozent der Pflegefach- und Pflegehilfskräfte zu wenig Personal und zu wenig Zeit für die Patient:innen sowie zu niedriges Gehalt als Ausstiegsgrund. Etwas mehr als 20 Prozent gaben zudem die ungünstigen Dienst- und Arbeitszeiten an.


Älterer weibliche Patienten im Rollstuhl mit Krankenschwester


Die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz gab im letzten Jahr eine Allensbach-Umfrage in Auftrag, die aufzeigte, dass 58 Prozent der Teilnehmenden sehr oft oder oft aus dem Frei einspringen müssen. Die befragten Pflegekräfte hatten durchschnittlich 71 Überstunden. Eine Anfrage der Linken an die Bundesregierung ergab 2019 eine Gesamtzahl von 14,8 Millionen Überstunden in der Altenpflege, von den fast sechs Millionen unbezahlt waren.

Oft verlassen Pflegekräfte den Beruf aufgrund dieser Arbeitsbedingungen und der Überforderung schon bevor sie ihn richtig begonnen haben. Viele Einrichtungen und Pflegeschulen verzeichnen hohe Abbruchquoten unter den Pflege-Auszubildenden.

Teilzeitquote in kaum einem Beruf so hoch wie in der Pflege

Bleiben die Pflegekräfte im Beruf, arbeiten sie oft in Teilzeit. In der stationären und ambulanten Altenpflege sind laut Statistischem Bundesamt knapp zwei Drittel der Pflegekräfte teilzeitbeschäftigt. Der Durchschnitt aller Berufe liegt bei einer Teilzeitquote von 30 Prozent.

Die Anzahl der Pflegekräfte reicht schon jetzt nicht aus, um den vier Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland gerecht zu werden – mindestens 200.000 Pflegekräfte fehlen bereits. Laut BARMER-Pflegereport wird der Bedarf an Pflegekräften bis 2030 auf zusätzlich 182.000 steigen.



Wiedereinsteig für viele ehemalige Pflegekräfte vorstellbar

Doch es gibt Zahlen, die Hoffnung geben. Neben der vergleichsweise guten Entwicklung der Gehälter steigt auch die Zahl der Pflegekräfte ambulanter und stationärer Einrichtungen. Waren es 2009 noch 679.000, konnte im Jahr 2019 mit 954.000 Beschäftigten ein Zuwachs von 40 Prozent verzeichnet werden.

Vor wenigen Tagen wurden die Ergebnisse der Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ veröffentlicht. Die bundesweite Online-Umfrage unter 12.700 Berufsaussteiger:innen und Teilzeitkräften in der Pflege wurde in Kooperation der Arbeitnehmerkammer Bremen, der saarländischen Arbeitskammer und des Instituts Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen durchgeführt. Die Befragung ergab, dass mindestens 300.000 Pflegekräfte ganz oder von einer Teilzeit- in eine Vollzeitstelle zurückkehren könnten. Wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Also Faktoren wie mehr Personal, verlässliche Arbeitszeiten und mehr Lohn. Weiterhin mehr Respekt durch Ärzt:innen und Führungskräfte und vereinfachte Bürokratie sowie die Förderung von Weiterbildungen. Unter diesen Umständen könnten sich laut der Studie 60 Prozent der ehemaligen Pflegekräfte und die Hälfte der Teilzeit-Pflegekräfte eine Rückkehr bzw. ein Aufstocken vorstellen.

Die Studie ergab außerdem, dass ein Drittel der Befragten sich Stellenangebote ansehen würde und die meisten ab und an über die Rückkehr nachdächten. Dies zeigt, dass Pflegekräfte ihrer Profession verbunden bleiben und sie als erstrebenswerten, sinnstiftenden Beruf betrachten, selbst wenn sie sie verlassen.

Nach der Auszeit zurück in die Pflege

Rico Eichberger kennt den Zwiespalt zwischen dem Spaß am Beruf auf der einen und dem Gefühl des Ausbrennens auf der anderen Seite. Der gelernte Hauswirtschaftshelfer aus Mecklenburg-Vorpommern kam zufällig in die Pflege, als er ein Jobangebot des Arbeitsamtes als ungelernter Pflegehelfer annahm. „In den ersten Tagen, an denen ich mitgelaufen bin, gab es mehrere Tote. Ich habe gemerkt, dass ich damit gut umgehen konnte. Ich habe mich für den Job geeignet gefühlt und bin in der Pflege geblieben“, sagt der 33-Jährige. Einige Jahre arbeitete er bundesweit in Pflegeeinrichtungen, unter anderem in der Zeitarbeit. Doch irgendwann ging es nicht mehr.

„Ich stand kurz vorm Burnout und litt unter emotionalen Tiefs und Antriebslosigkeit. Das Interesse für den Beruf war nicht mehr da und ich bin nur noch wegen des Geldes arbeiten gegangen, obwohl das eigentlich nicht meine Art ist.“



Rico erlebte, was viele Pflegekräfte erleben. „Das Negative ist, dass das Personal immer weniger wird und die Leute, die noch da sind, verheizt werden. Teilweise ist die schlechte Laune der anderen ansteckend. Wenn man den alten Menschen mit einer Scheißegal-Haltung begegnet, merken sie das und werden unruhig. Man merkt, wie entspannt der Dienst sein kann, wenn man mit Leuten zusammenarbeitet, die wissen, warum sie da sind.“

Nach einer Auszeit startete Rico einen neuen Versuch. Nicht ganz unschuldig daran war sein ehemaliger Kollege John Victor Lopez, der auf Instagram bewusst für die Pflege wirbt. „Ich hatte noch Kontakt zu John und fand toll, dass er die guten Seiten der Pflege zeigt. Ich habe mir das Ganze durch den Kopf gehen lassen und mich entschieden, der Pflege nochmal eine Chance zu geben. Ich habe mich auch mit anderen Pflegekräften mein Problem geschildert. Sie haben gesagt, dass es normal ist, dass man mal eine Pause braucht.“

Nach einigen Monaten Zeitarbeit ist Rico seit Januar in seinem alten Betrieb wieder festangestellt „Was ich echt toll finde ist, dass man durch die Pflege den Menschen besser kennenlernt. Du lernst jeden Tag dazu“, sagt er.

Rückkehr in die Pflege, aber nicht in Deutschland

Auch Sabine Schroeder gerät ins Schwärmen, wenn man sie fragt, was das Tolle an ihrem Job als Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin ist: „Egal wie schlimm die Dienste sind, der Kontakt zu den Patient:innen bleibt. Für sie da zu sein, sie zu beruhigen. Über die kritische Phase auf der Intensivstation hinwegzuhelfen und zu sehen, dass die schlimmste Reanimation manchmal einen tollen Ausgang hat.“

Trotzdem arbeitete die 49-Jährige lange Zeit nicht in ihrem Beruf. „Ich war alleinerziehend. Die Intensivstation, auf der ich zehn Jahre gearbeitet hatte, war nicht gewillt, mir diensttechnisch entgegenzukommen, als mein Sohn in die Schule kam. Das habe ich sehr bedauert. Ich bin dann in die Hochschulambulanz mit Zeiten von neun bis 13 Uhr gewechselt. Dort war ich leider total unterfordert und konnte dann als Study Nurse in den Studienbereich wechseln. Die Bedingungen waren deutlich familienfreundlicher.“

Nach einigen Jahren bekam sie nochmals zwei Kinder und entschied sich, in der Elternzeit eine Heilpraktikerausbildung zu machen. Erst die Corona-Pandemie brachte sie 2021 von der Selbstständigkeit als Heilpraktikerin wieder auf die Intensivstation zurück. „Durch Corona war mein Umsatz eingebrochen, weil die Patient:innen alle zu Hause geblieben sind. Eine Freundin schrieb mir, in der Charité suchen sie dringend Pflegefachkräfte für die neue Corona-Intensivstation. Also habe ich mich dort beworben. Meine Kinder waren in dem Alter, wo Frühdienste wieder möglich waren. Innerhalb von zwei Stunden haben sie mich zurückgerufen und zwei Tage später fing ich an.“



So sehr sie die Herausforderungen der Intensivmedzin und die Teamarbeit liebt, der Fachkräftemangel macht auch Frau Schroeder zu schaffen. „Das geht schon sehr an die Substanz.“ Mittlerweile arbeitet sie wieder als Heilpraktikerin und hat eine 30-Prozent-Stelle in einem kleinen Krankenhaus in Berlin. Noch. Denn Frau Schroeder hat sich entschlossen, nicht der Pflege, sondern Deutschland den Rücken zu kehren. „Ich war gerade in der Schweiz und habe den krassen Unterschied erlebt. Dem Pflegeberuf fehlt es in Deutschland an Anerkennung. Wir leisten täglich unglaubliche Arbeit. Zu sehen wie das in der Schweiz läuft, wie viel man dort verdient und was dieser Beruf dort an Stellenwert hat, war für mich unglaublich. Deshalb werde ich im Sommer umziehen.“

Mit Frau Schroeder verliert Deutschland eine weitere Pflegekraft, die vielleicht geblieben wäre, „wenn die äußeren Umstände stimmen würden.“ Ihre Entscheidung war auch beeinflusst durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die im März in Kraft getreten ist und die viele Pflegekräfte als weiteren Affront der Politik betrachtet haben.

Streiks und Proteste für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege

Es gibt auch Pflegekräfte, die selbst dafür sorgen wollen, dass sich die Umstände bessern. So wie die Pflegerinnen und Pfleger, die im Herbst letzten Jahres an den Berliner Kliniken Charité und Vivantes gestreikt haben oder diejenigen, die gerade an den sechs Unikliniken in NRW streiken. Auch sie machen Erfahrungen, die sie nicht länger hinnehmen möchten: nicht da sein können, für Menschen, die im Sterben liegen, Verantwortung für zu viele intensivpflichtige Patient:innen und Gewissensbisse.

Wenn sich Pflegekräfte entschließen, zu streiken, muss die Not schon sehr groß sein. Dabei geht es oft nur am Rand um den eigenen Geldbeutel. Selbstverständlich drückt sich die Wertschätzung des Arbeitgebers durch eine angemessene Bezahlung aus. Die Hauptforderung der Streikenden lautet jedoch meist mehr Personal und zeitlichen Ausgleich für Überstunden. Die Charité- und Vivantes-Pfleger:innen hatten Erfolg und haben Entlastungstarifverträge durchgesetzt. Auch die NRW Unikliniken könnten mit der Gewerkschaft Verdi schon bald in Tarifverhandlungen treten.

Heute, am Tag der Pflegenden, gehen Pflegekräfte auf die Straße und protestieren. Zum Beispiel die Mitglieder der Pflegegewerkschaft Bochumer Bund oder des „Walk of Care“. Diese Initiativen kämpfen, genau wie der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe und andere Verbände, dafür, dass sich endlich etwas tut, Kliniken sich von profitorientierten Wirtschaftsbetrieben wieder in am Menschen oritentierte Gesundheitsbetriebe verwandeln können und die Politik statt Lippenbekenntnissen echte Maßnahmen liefert.

Die Politik muss neue Strategien gegen die Pflegekrise liefern

Dazu zählen die Einführung bzw. Entwicklung der verbindlichen Personalbemessung im Krankenhaus bzw. in stationären Pflegeeinrichtungen. Auch muss der Pflegeberuf eine deutlichere Aufwertung erfahren, zum Beispiel mittels einer Ausweitung der Verantwortungsbereiche, der Förderung der Akademisierung und der Einführung zeitgemäßer Berufsbilder wie Advanced Practice Nurse. Natürlich auch ein weiterer und noch deutlich positiver Trend nach oben bei den Gehältern. Denn diese motivieren vor allem junge Menschen, sich überhaupt erst für den Pflegeberuf zu entscheiden.

Teilweise sind diese Vorhaben im Koalitionsvertrag erwähnt. Doch die Finanzierung langfristiger Verbesserungen für Pflegepersonal und Pflegeempfänger:innen steht auf wackligen Füßen, wie beispielsweise die „Initiative für eine nachhaltige und generationengerechte Pflegereform“ bemängelt. Der demografische Wandel bedingt, dass immer mehr Menschen die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen und immer weniger in diese einzahlen. So müssen laut dem Positionspapier der Initiative aus verschiedenen Verbänden des Gesundheits- und Sozialwesen neben Finanzierungskonzepten, die dies berücksichtigen auch neue Ideen zur Eigenvorsorge sowie Strategien für Gesundheitsprävention und -förderung her. Vor allem letztere seien maßgeblich, um Pflegebedürftigkeit im Alter vorzubeugen und die Pflegekassen so zu entlasten, damit Pflege finanzierbar bleibt.

Kliniken müssen Pflegekräften etwas bieten, um sie zu gewinnen und zu halten

Immer mehr Kliniken und Pflegeeinrichtungen erkennen, dass sie sich etwas einfallen lassen müssen, um Pflegekräfte zum Kommen, Bleiben und Rückkehren zu bewegen. Sie führen Springerpools und flexiblere Arbeitszeitmodelle ein, legen von sich aus strengere Personaluntergrenzen fest oder fördern Weiterbildung sowie interprofessionelle Zusammenarbeit. Betriebe, die dies noch nicht tun, haben es schwer, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren und Personal zu gewinnen.

Das Potential der prinzipiellen Rückkehrbereitschaft der Berufsaussteiger:innen kann durch Wiedereinstiegsprogramme, Auffrischungskurse und spezielle Schichten, zum Beispiel für alleinerziehende Mütter, ausgeschöpft werden. Zusätzlich sollten Einrichtungen die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden ernster nehmen, als sie es bisher tun und Supervision, Gesundheitsprogramme und psychologische Betreuung anbieten.

Letztlich sitzen die Pflegekräfte (berufs-)politisch am längeren Hebel. Sie müssen sich vermehrt der Mittel bewusst werden, die sie haben, um sich für ihren Beruf stark zu machen. Neben dem Engagement in Verbänden und Gewerkschaften können sie Überlastungsanzeigen schreiben, gezielte Gespräche mit Führungskräften und ihren Teams führen, im Notfall auch streiken. Steter Tropfen höhlt den Stein – bevor man den Pflexit wählt, sollte man es zumindest versucht haben.

Friederike Bloch

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