Zeitarbeit in der Pflege – Ungleichheit oder Chance?

Zeitarbeit in der Pflege ist ein Thema, das für Diskussionen sorgt. Die Politik überlegt ein Verbot. Warum?

Zeitarbeit in der Pflege hat Vorteile, polarisiert aber auch. Wir geben Infos zur aktuellen Lage und worum es in der Diskussion um dieses Arbeitsmodell geht.

Zeitarbeit ist ein Thema, das die Pflege bewegt und für Diskussionen sorgt, vor allem, weil es eben nicht nur schwarz oder weiß ist. Denn einerseits kann Zeitarbeit den Pflegekräften flexibles Arbeiten ermöglichen und dafür sorgen, dass der Personalbedarf der Arbeitgeber kurzfristig angepasst werden kann. Andererseits wird aktuell immer wieder über ein Verbot der Zeitarbeit diskutiert, um die „Flucht in die Leiharbeit” zu verhindern. Es ist also an der Zeit, dieses Thema mal von allen Seiten zu beleuchten.

Was genau ist Zeitarbeit?

Das Gesetz ist hier ganz klar:„Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn ein Arbeitgeber (Verleiher) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) Dritten (Entleihern) zur Arbeitsleistung überlässt, diese in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und dessen Weisungen unterliegen (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG). Sie erschöpft sich also im bloßen Zurverfügungstellen geeigneter Arbeitskräfte, die der Dritte nach eigenen betrieblichen Erfordernissen in seinem Betrieb einsetzt.“

Im Gesetz wird Zeitarbeit als Arbeitnehmerüberlassung bezeichnet. Weitere übliche Begriffe sind Leiharbeit, Leasing oder flexibles Arbeitszeitmodell. Das Prinzip ist einfach: Man wird bei der Zeitarbeitsagentur sozialversicherungspflichtig angestellt, hat Kündigungsschutz, erhält Kranken-, Pflege- sowie Unfallversicherung und bekommt sogar Weihnachts- oder Urlaubsgeld. Im Detail heißt das, dass man seinen Dienstplan selbst gestalten kann, weil man in wechselnden Einrichtungen, je nach Verfügbarkeit und Bedarf, eingesetzt wird. Somit arbeitet man selbstständig, ist aber trotzdem abgesichert und in seiner Berufsausübung frei. Die Einrichtungen können, dank Zeitarbeit, ihren Personalbedarf kurzfristig an Auftragsschwankungen anpassen.

Warum gehen Pflegekräfte in die Zeitarbeit?

Die Arbeitsbedingungen in der Pflege gelten bekanntermaßen als hart. Das liegt an Schichtdiensten, Wochenenddiensten und Überstunden. Das macht diesen Beruf nicht nur anstrengend, sondern wirkt sich auch stark auf das Privatleben des Personals aus, weil die Freizeit oft aufgrund dieser Bedingungen schwer planbar ist. Auch die geringe Bezahlung, die in der Branche üblich ist, ist natürlich ein großes Thema. In einer Umfrage von MEDWING nannten Pflegekräfte, welche die Branche komplett verlassen hatten, genau diese Gründe. 40 Prozent gaben an, dass ein zu niedriges Gehalt ein wichtiger Grund war, die Branche zu verlassen. 23 Prozent gaben als wichtigen Grund zu viele Nacht-, Feiertags- und Wochenenddienste an. Die Zeitarbeit ist hier also eine Möglichkeit, die Pflegebranche nicht ganz zu verlassen – und unter besseren Bedingungen zu arbeiten.

Während früher die Zeitarbeit in der Pflege eine Nische war, wird sie von qualifiziertem Personal jetzt immer öfter als attraktive Alternative gesehen. Flexible Zeitarbeitsmodelle versprechen bis zu 30 Prozent mehr Gehalt, Mitbestimmungsrechte bei Dienstplänen und bezahlte Überstunden. Gut ausgebildeten Pflegefachpersonen mit stark nachgefragten Zusatzqualifikationen, Berufserfahrung, hoher Leistungsbereitschaft und großem Engagement kann man also nicht verdenken, dass sie nach besseren Arbeitsbedingungen suchen. Fakt ist: Gut Fachkräfte können sich aufgrund des Pflegenotstands selbstbewusst geben und sich die Jobs aussuchen.

Zeitarbeit – wie ist die aktuelle Lage?

Laut einer 2022 veröffentlichten Analyse gibt es im Bereich Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe in Deutschland rund 29.000 Leiharbeitnehmer:innen. Ein Anstieg von gut 30% im Vergleich zu 2019. Die Beschäftigung von Zeitarbeitskräften in der Pflege steigt, lag aber im vergangenen Jahr immer noch niedriger als die Leiharbeit bei allen Beschäftigten. Während in der Pflege gut zwei Prozent der Beschäftigten Leasingkräfte sind, sind es in der Gesamtwirtschaft fast drei Prozent.

Ein echtes Massenphänomen in der Arbeitswelt der Pflege ist die Zeitarbeit also weiterhin nicht, auch wenn sie nachweislich wächst. Gerade erst berichtete Tagesspiegel Background, dass, laut einer Auswertung der Bundesagentur für Arbeit, der Anteil der Zeitarbeit in der Pflege stetig steigt. Besonders in Berlin ist der Anteil hoch, am geringsten ist er in Mecklenburg-Vorpommern und im Saarland.

Doch während der Corona-Krise häuften sich die Schlagzeilen, dass der Bedarf an Leasingkräften überraschend gesunken ist. Die rückläufige Nachfrage nach Leasingpfleger:innen ist einfach zu erklären: Krankenhäuser hatten zu diesem Zeitpunkt viele Stationen geschlossen, um Intensivbetten und personelle Kapazitäten bereitzustellen. Das bedeutete teilweise sogar Kurzarbeit für die Pflegekräfte von Zeitarbeitsfirmen.

Warum wird über ein Verbot der Zeitarbeit diskutiert?

„Durch Leiharbeit sind Patientensicherheit, Pflegequalität und Versorgungssicherheit gefährdet. Die Belastung für die festangestellten Pflegekräfte steigt“, sagt die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci. Sie fordert Maßnahmen, weil Zeitarbeit insbesondere in Berlin ein Thema ist. Auf manchen Stationen in Berliner Kliniken ist jede dritte Pflegekraft von einer Leasingfirma entsandt. Jetzt hat sich die Politik dem Thema angenommen und reagiert. Die Bundesratsinitiative zur Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege wurde am 13. März 2020 in den Bundesrat eingebracht und in die Ausschüsse überwiesen. Aufgrund der Corona Krise pausieren diese allerdings.

Um die Vorwürfe genauer zu verstehen, muss man wissen, dass das Selbstverständnis der professionellen Pflege Kontinuität und Beziehungsaufbau zu den Patient:innen ist. Außerdem Vertrauen, gemeinsames Gestalten von Prozessen und Qualitätssicherung sowie das Arbeiten im Team. Vielen sehen dies gefährdet, wenn Pflegefachpersonal mal hier und mal dort arbeitet.

Hinzu kommt, dass Leiharbeit früher als Instrument gesehen wurde, um Lohndumping zu betreiben und Personal in Zeitarbeit auszubeuten. Heute gilt die Sorge aber eher der festangestellten Stammbelegschaft. Diese muss die unattraktiven Dienste und Schichten übernehmen für geringere Entlohnung als das Leasingpersonal. So heißt es gerne, dass sich Zeitarbeitskräfte in der Pflege die ”Rosinen rauspicken würden”, weil sie ihre Dienstpläne frei gestalten können. Bei großem Zeitdruck muss ständig neues Personal eingearbeitet und überwacht werden, was immer mehr Verantwortung für immer weniger Stammpersonal bedeutet. Für die Dokumentation z.B. fehlen den Zeitarbeitspfleger:innen oft die Zeit und die Zugänge auf das elektronische Dokumentationssystem.


Dienstplan in den händen einer krankenschwester


Was sagt eine Krankenschwester, die in Zeitarbeit tätig ist, zur aktuellen Situation?

Nina Böhmer ist Krankenschwester in Zeitarbeit und hat sich dafür entschieden, um ihr Privatleben besser planen zu können. Über mehrere Jahre führte sie eine Fernbeziehung, ein Lebensmodell, das mit herkömmlichen Dienstplänen nicht zu vereinbaren ist. Sie lässt es sich aber offen, nicht doch irgendwann mal wieder fest angestellt zu arbeiten.

...über die Gründe, warum Zeitarbeit für Pflegekräfte attraktiv ist:

„Die meisten Pflegekräfte wechseln nicht wegen des Geldes in die Zeitarbeit, sondern weil ihnen die Dienstplangestaltung als Festangestellte in einer Klinik oder in einem Altenheim zu unflexibel ist. Die sind nicht per se unzufrieden mit dem Krankenhaus, sondern mit den starren Systemen dort, die nicht auf ihre geänderten Lebensumstände eingehen. Eine Mutter, die ein Kind bekommen hat, will dann nicht mehr im Schichtdienst arbeiten oder an drei Wochenenden im Monat und kann auch nicht mehr ständig für Kollegen einspringen. Alleinerziehende müssen dann klären, wer abends auf das Kind aufpasst. Eine Kita hat ja nicht bis 23 Uhr geöffnet. Nur in der Früh- oder Spätschicht zu arbeiten ist nicht üblich und Kliniken lassen sich darauf nicht ein, weil ja alle Schichten abgedeckt werden müssen. ”

“Als ich meinen Freund kennengelernt habe, wollte ich auch flexibler sein. In der Klinik muss man ja ein Jahr im voraus den Urlaubsplan schreiben, auch die Dienstpläne werden zwei, drei Monate zuvor geschrieben, das ist dann schwierig zu tauschen. Jetzt kann ich ganz flexibel sagen, wann ich arbeiten möchte und wann nicht.”

...über den Vorwurf, die Qualität der Pflege leide unter der Zeitarbeit:

„Den Vorwurf, dass die Qualität von Leasingkräften nicht so hoch sein soll, kann ich nicht bestätigen. Jeder Kollege will doch gut ankommen und wieder gebucht werden. Man gibt oft sogar mehr, als wenn man immer an einem festen Ort arbeitet. Das einzige Problem, das ich sehe, ist das Administrative, weil überall unterschiedliche Systeme verwendet werden. Wichtiger ist es für mich, dass die Leute gut versorgt sind.”

...über das Verbot von Zeitarbeit:

”Wenn man Leasingfirmen verbieten würde, würde der Gesundheitsbereich zusammenbrechen. Wir sind oft diejenigen, die alles am Laufen halten. Ich hatte schon die Situation, dass ich als Fachkraft im Krankenhaus ganz alleine auf einer Station eingesetzt wurde. Wäre ich nicht da gewesen, hätte man die Station für diesen Tag schließen können. Hinter dem Verbot der Zeitarbeit steckt wohl ein bisschen der Gedanke, dass, wenn man Leasing verbietet, alle gezwungen sind, wieder zurück ins Krankenhaus zu gehen. Ich denke aber, dass das nicht funktionieren würde, sondern, dass der größte Teil sich was anderes suchen würde. Es gibt meistens einen Grund, warum man in der Zeitarbeit ist und das ist nicht unbedingt das Geld, sondern die Flexibilität, welche die Krankenhäuser seltsamerweise nicht bringen können.”

...Über die Ungleichheit zur Stammbelegschaft:

”Klar sind Zeitarbeitskräfte auf manchen Stationen unbeliebt. Da heißt es schnell: ,Du verdienst ja mehr Geld”. Das ist aber eher die Ausnahme. Kommt man mit der Stammbelegschaft ins Gespräch, heißt es meistens: ,Für mich wäre das nichts. Ich brauche ein festes Team. Die ganze Zeit rumfahren, immer woanders sein, da hätte ich keine Lust, mich immer neu einfinden zu müssen." Die Situation ist also nicht so schlimm, wie dargestellt, denn Zeitarbeit ist oft auch eine Typsache. Das kommt nicht für jeden in Frage. Man darf auch nicht vergessen, dass wir in der Zeitarbeit uns dauernd wo neu zurechtfinden, aber genauso gut funktionieren müssen wie das Stammpersonal.”

Welche Chancen birgt die Diskussion um Zeitarbeit in der Pflege?

Konzentrieren wir uns auf die positiven Seiten: Richtig genutzt, kann diese Diskussion sogar einiges in der Pflege verbessern. Als Beispiel: Zeitarbeitsfirmen wird gerne vorgeworfen, dass die Qualität der Pflege in der Leiharbeit sinkt, weil weniger qualifiziertes Personal zu günstigeren Preisen vermittelt würde. Die Digital-Plattform InSitu hat dies zum Anlass genommen, die Qualitätsoffensive ”Gesunde Zeitarbeit” zu starten. Ab Anfang November 2020 bietet InSitu ihren Kooperationspartnern viele neue Möglichkeiten, die Qualität der eigenen Leistungen zu messen und anschaulich zu präsentieren. Qualifikationsnachweise, Leistungsspektrum, vorgeschriebene und freiwillige Fortbildungen, etc. werden künftig deutlich präsenter angezeigt und auffindbar sein. Das Auswahlkriterium Preis spielt weiterhin eine Rolle, wird jedoch neben und nicht über der Qualität stehen.

Insgesamt kann man sagen, dass Zeitarbeit nur dann zurückgedrängt werden kann, wenn sich gleichzeitig die Arbeitsbedingungen und die Gehälter in der Pflege verbessern. Dazu gehört auch eine allgemeinverbindliche, tarifliche Bezahlung. Gerade in der Altenpflege mangelt es bisher daran. Ein erster Schritt dazu wurde nun gesetzt, ver.di und BVAP haben einen Tarifvertrag vereinbart. Die Situation der Pflegekräfte muss aber mit weiterer solcher Schritte gestärkt werden, damit sich die Situation in der Pflege endlich verbessert. Somit ist eine Diskussion um die Zeitarbeit Anlass, hier noch viel mehr zu bewegen.

Julia Wagner


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