Antikörper-Therapie bei Covid-19 – „Jeder Tag ist ein Learning.”

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In den letzte Wochen wurde die Immuntherapie häufig als wirksames Mittel im Kampf gegen das Coronavirus diskutiert. Dabei werden Antikörper, die im Blut von Genesene enthalten sind, mittels Plasma-Spende an Covid-19-Erkrankte verabreicht. Auch in Südkorea kam diese Behandlung bereits zum Einsatz. In Österreich ist nun der erste Patient dank Plasma-Austausch genesen. Im Interview erzählt die behandelnde Ärztin, Univ.-Prof. Dr. Marianne Brodmann, für wen diese Therapie geeignet ist und warum sie trotzdem kein Allheilmittel ist. Sie ist Leiterin der Klinischen Abteilung für Angiologie und momentan Leiterin der COVID-Bettenstation im LKH-Univ. Klinikum Graz.

Anfang April hat man in den Medien noch gelesen, dass die Immuntherapie mit Antikörpern eine Möglichkeit ist, dass man aber nicht zu schnell zu viel erwarten soll, auch weil Forscher nicht wissen, wie wirksam diese aktuell ist. Jetzt ist einer Ihrer Covid-19-Patienten, ein 36jähriger Mann, im LKH-Univ. Klinikum Graz nach einer solchen Therapie genesen. Darf man jetzt doch schon mehr erwarten?

Wir lernen während dieser Corona-Pandemie im Moment von Tag zu Tag, wie wir mit Covid-19 erkrankten Patienten umgehen müssen. Die Skepsis bestand anfangs darin, dass Patienten sehr unterschiedlich auf einen Plasma-Austausch reagieren können. Und natürlich hat sich die Frage gestellt, ob diese Therapie überhaupt funktioniert. Wir hatten zuvor ja nur vereinzelte Berichte von sehr schweren Fällen aus dem Ausland. Solche schweren Fälle, die es ohne diese Therapie sonst nicht schaffen würden, haben wir hier im Krankenhaus auch. Dazu gehörte auch dieser Patient, der selbst keine Antikörper bilden kann. Bei Leuten, die eine Immundefizienz haben, entweder angeboren oder erworben, kann man den Plasma-Austausch einfach versuchen. Es ist eine Therapieoption, die zu funktionieren scheint. So muss ich es aktuell formulieren.

Warum kann man derzeit noch nicht sagen, dass es sicher funktioniert?

Wir kennen die Langzeitfolgen nicht, wir wissen nicht, ob die Wirkung ewig anhält, wir wissen nicht, ob der Patient dauerhaft geheilt ist. Das sind alles Dinge, die wir derzeit nicht zu hundert Prozent sagen können. Wir wissen nicht, ob nicht ein neuer Virus, ein Subtyp, diesen Patienten wieder befallen könnte. Für diese Art von Corona-Virus, das er jetzt hat, ist er sicher genesen. Aber wir wissen nicht, wenn neue Stämme kommen, ob es dann anhält. Das ist sicherlich noch eine gewisse Unsicherheit. Nicht für die Akutphase, aber für die lange Zeit danach.

Gerade sind noch Studien zur Antikörper-Therapie im Gange. Trotzdem wird diese bereits eingesetzt, wie passt das zusammen?

Derzeit sind das ausschließlich Einzeltherapien in Ausnahmesituationen. In diesen ganz speziellen, akuten Fällen kann die Therapie sofort eingesetzt werden, zum Beispiel bei erworbenem Immunmangel, wie einer Immundefizienz nach einer Chemotherapie oder bei angeborenem Immunmangel, wie im Falle unseres Patienten. Also, wenn die Patienten es nicht schaffen, selbst Antikörper gegen das Virus zu produzieren.

Können Sie den Fall Ihres Patienten näher beschreiben?

Dieser Patient hat eine angeborene Immunschwäche, das heißt, er kann überhaupt keine Antikörper, keine Immunglobuline bilden. Damit hat er extrem schlechte Voraussetzungen, wenn ein neuer Virus kommt, gegen den es keine Therapie gibt. Bei allen anderen viralen Erkrankungen gibt es ja Impfungen, die hatte er auch alle. Er hat sich in Heimquarantäne begeben, damit er sich nicht infiziert, hat sich aber trotzdem angesteckt. Seit Mitte März hatte er es nicht geschafft, seine Situation zu verbessern. Er hatte ganz klar Covid-19 Symptome, die wir so kennen mit Fieber, Husten, Luftnot und Infiltraten in der Lunge. Mit dieser Erkrankung ist er alleine nicht fertig geworden. Nachdem er eben keine Antikörper bilden konnte, ist der Zustand von Tag zu Tag schlechter geworden.

Kam er dann gleich zur Behandlung zu Ihnen ins Krankenhaus?

Nein, er war vorher in einem anderen Krankenhaus. Aber weil wir die Uniklinik sind, eine Blutbank haben und eine Intensivstation, haben wir angeboten, diese Therapieoption mit unser Transfusionsmedizin zu versuchen. Wir hatten auch gerade die ersten Rekonvaleszenten vor Ort und das Glück, dass wir Blutplasma in der Blutgruppe des Betroffenen von diesen Rekonvaleszenten hatten.

Wie lange dauert es aktuell von der Plasmaspende bis zum Einsatz als Therapie

Bei diesem Patienten haben wir es innerhalb eines Tages geschafft, also von der Plasmaspende bis zur Erzeugung und Therapie. Unsere Blutgruppenserologie macht hier einen exzellenten Job. Die Anzahl der Rekonvaleszenten wird von Tag zu Tag glücklicherweise auch mehr. Erst waren es nur Einzelne, die sich in der Akutphase gemeldet haben. Es gab auch einen Aufruf in den Medien hier in der Steiermark und die genaue Anzahl erhöht sich jetzt von Tag zu Tag. Die Bereitwilligkeit der Leute zu helfen ist groß.

Wie schnell dauert die Genesung nach so einer Antikörper-Therapie?

Wir haben dem Patienten die Plasmaspende am 10. April verabreicht, das war ein Freitag, am späten Nachmittag. Es hat dreieinhalb Tage gebraucht, bis das verabreichte Plasma auch im Körper Wirkung zeigte. Am darauffolgenden Dienstag konnte er bereits von der Intensivstation wieder auf eine Normalstation verlegt werden. Es bestand dann keine Gefahr mehr, dass er von Seiten der Lunge insuffizient wird und die Atmung nicht mehr funktioniert.

Wieviel wird bei so einer Plasmaspende verabreicht?

Das ist ganz individuell, wir haben bei ihm drei Plasmabeutel von Spendern gewonnen gehabt und haben davon zwei verabreicht. Einen haben wir in Reserve eingefroren, falls er akut noch etwas braucht, zum Beispiel wenn wir sehen würden, dass die Entzündungswerte stagnieren und wir hier noch Antikörper nachliefern müssen.

Wie sieht aktuell der Kriterienkatalog für die Antikörper-Therapie aus?

Die Therapieoptionen müssen derzeit zur Gänze ausgeschöpft sein, inklusive Studientherapien, die wir auch noch evaluieren. Wenn wir also Patienten aufgrund ihrer erworbenen oder angeborenen Immunmängel sonst nichts mehr anbieten können, dann versorgen wir sie mit Rekonvaleszenten-Plasma

Kann die Antikörper-Therapie schon bald auch präventiv eingesetzt werden?

Derzeit ist das noch in weiter Ferne, weil wir ganz klar aktuell nur mit diesen Einzelfällen arbeiten. Wir schauen, welche Patienten davon profitieren. Da sind auch Messungen von Virusmaterial notwendig. Was produziert der Patient noch an Virusmaterial, das schon abgestorben ist, inwiefern haben die Antikörper hier gegriffen? Ich sage es so: Jeder Tag ist aktuell noch ein Learning. Wir gewinnen jeden Tag neue Erkenntnisse und natürlich ist hier auch die internationale Zusammenarbeit sehr relevant. Einzelnen Leute vernetzen sich und sagen „Ich habe das hier”. Da klingt jetzt banal, aber dadurch gewinnen wir wichtige Erkenntnisse. Es ist schon sehr beeindruckend, dass es, trotz aller Grenzen, eine sehr gute internationale Zusammenarbeit gibt. Alle sehen, dass das hier ein bedrohliches Erkrankungsbild ist.

Wie sieht es mit Nebenwirkungen dieser Therapie aus?

Jeder Patient kann auf das Plasma, das er bekommt, massiv abwehrend reagieren, weil es voll Stoffen sein kann, mit denen sein Körper nicht rechnet. Deswegen muss man alles in Abstimmung mit einer immunologischen Assistenz machen, der Patient muss intensiv beobachtet werden, da es zu massiven allergische Reaktion bis hin zum allergischen Schock kommen kann.

Kann man gefährliche Antikörper ausschließen?

Nein, diese können Sie nicht herausfiltern. Das ist die mögliche gefährliche Reaktion, die Sie überwachen müssen. Das Rekonvaleszentenplasma wird speziell gereinigt, wie bei einer Blutspende. Aber es kann trotzdem sein, dass Sie einfach auf dieses Plasma als Patient reagieren. Das können Sie nie im voraus sagen. Es gibt ja auch bei Blutspenden immer wieder Abwehrreaktionen.

Wie wichtig sind laufende Studien?

Sehr wichtig. Bis wir einen Impfstoff haben werden, brauchen wir Studien, die zeigen, welche Medikamente wirken, wie wir sie einsetzen können, was die Nebenwirkungen sind und was wir bei Hochrisikopatienten einsetzen können. Gerade bei Schwerkranken mit stark angegriffener Lunge sind die Forschungen nicht abgeschlossen. Hier brauchen wir Studien und Erkenntnisse, wie wir mit diesen Patienten umgehen können, damit wir sie nicht verlieren.

Gibt es eine Studie, die Sie aktuell hervorheben können?

Es gibt eine in Wien. Hier laufen Anfragen mit verschiedenen Immunsuppressiva, auch für andere Therapien. Da werden auch HIV Medikamente eingesetzt. Aber dazu kann ich noch nichts Genaues sagen.

In der Vergangenheit wurden mit der Immuntherapie auch Erfolge bei der Spanischen Grippe und der Influenza erzielt. Kann man hier auf Erfahrungswerte zurückgreifen?

Nein, das kann man mit heute nicht vergleichen. Dieser Plasma-Austauschversuch aktuell wird ja immer nur in verschiedensten Einzelfällen eingesetzt. Der Virus ist neuartig und wenn wir im Moment keine andere Möglichkeit sehen, einen Patienten zu retten, weil alles andere aussichtslos scheint, dann setzen wir diese Therapie ein. Wir können bei dieser Erkrankung auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen, außer auf die wenigen Fälle, die wir derzeit aus dem Ausland kennen, wie Südkorea oder China. Aber auch das waren immer Einzelfälle, also Patienten in hoffnungslosen Situationen.

Halten wir nochmal fest: Der Patient in Graz ist der Erste, von dem man weiß, dass er nach der Therapie definitiv gesund ist...

Ja, er ist der Erste, der, auch aufgrund seiner Grunderkrankung, also seinem angeborenen, genetischen Defekt, hier mit dem Rekonvaleszenten-Plasma behandelt wurde und genesen ist. Bei anderen Fällen, wie z.B. in Südkorea oder China, waren das Heilversuche, die rasch publiziert wurden und wo wir aber kein Follow-up haben. In Europa sind derzeit vielleicht andere Fälle nicht publiziert oder publik gemacht worden. Es gibt auch in Salzburg einen Patienten, bei dem ein Plasmaaustausch Versuch stattgefunden hat. Da kenne ich aber den aktuellen Gesundheitszustand nicht. Ich weiß, dass es auch in der Schweiz Rekonvaleszenten-Plasma gibt, aber nur für bestimmte Blutgruppen. Die Blutgruppe ist ja immer der limitierende Faktor. Daher weiß ich nicht, ob es dann schon auch in der Schweiz zur Anwendung gekommen ist.

Was brauchen, aus Ihrer Sicht, Ärzte und Kliniken für die nahe Zukunft?

Wir brauchen erstens natürlich adäquates Rekonvaleszenten-Plasma, um zu sehen, ob das wirklich breiter eingesetzt werden könnte für Patienten, die sonst am Limit sind. Zweitens müssen wir diese Patienten länger beobachten, wie es ihnen langfristig geht. Vor allem, wenn neue Mutationen des Corona-Virus nachkommen. Und drittens brauchen wir möglichst rasch Ergebnisse von Therapieversuchen, damit wir wissen, wie wir Patienten mit antiviralen Substanzen helfen können, die nicht in so einem schweren Stadium sind, damit sie auch überhaupt nicht in so ein schweres Stadium kommen. Da ist es wichtig, dass wir uns europaweit zusammenschließen, weil es in Italien schon viel Erfahrung gibt, ebenso in Spanien, Frankreich oder Deutschland. Hier müssen wir jede Grenze überwinden, auch wenn diese aktuell geschlossen sind. Langfristig brauchen wir natürlich den Impfstoff und möglichst rasch auch passende Studien dazu. Die Immuntheraphie ist ja vor allem wichtig für den Zeitraum, bevor es einen Impfstoff gib. Für die Zeit danach hoffe ich, dass sich viele impfen lassen, mehr als bei der Influenza.

Interview: Julia Wagner

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