Karriere dank Eigenwerbung – auch Pflegekräfte brauchen einen „USP“

Inspiriert von der faszinierenden Welt der Medizin und Pflege, möchte unser Redaktionsteam sich mit Fachkräften austauschen, Perspektiven aufzeigen mit Interviews und Reportagen, um die Vielfalt des Pflegealltags zum Ausdruck bringen.

Die erfolgreiche Unternehmerin und Autorin Tijen Onaran erklärt im Interview, warum Sichtbarkeit auch im Pflegejob wichtig ist und warum jede Pflegekraft einen Markenkern braucht.

Pflegekraft und Personal Branding – das klingt, als würde es so gar nicht zusammenpassen. Der Berufsalltag im Gesundheitsbereich ist von anpacken, Schichtarbeit und viel Liebe zu den Patient:innen geprägt und nicht von Modewörtern, in denen es darum geht, sich selbst möglichst gut zu vermarkten. Doch Tijen Onaran belehrt uns mit ihrem neuen Buch „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt” eines Besseren. Die bekannte Unternehmerin gründete das internationale Netzwerk „Global Digital Women“ und setzt sich speziell für Sichtbarkeit und Empowerment von Frauen ein. Im Interview erklärt sie uns, warum es auch in der Pflegebranche vorteilhaft ist, einen „Unique Selling Point“ (USP), also einen Markenkern, zu haben.

Personal Branding klingt nach Influencer, USP und Elevator Pitch nach Startup. Du schreibst in deinem Buch aber, dass jede:r im Berufsleben diese Dinge braucht. Ist das nicht etwas übertrieben, wenn jemand zum Beispiel als Pflegekraft arbeitet?

Das höre ich häufiger. Personal Branding löst bei ganz vielen Menschen Hautausschlag aus, weil sie sehr schnell an die Vermarktungs-Maschinerie von großen Brands denken. Und sich dann fragen: Als Mensch bin ich doch keine Marke? Aber das Credo des Buches lautet ja: Positioniere dich, bevor es andere für dich tun. Das Thema Sichtbarkeit und Positionierung ist etwas, was jede:n da draußen angeht. Da ist die Frage, nehme ich das selber in die Hand oder überlasse ich es anderen? Ein Beispiel: Ich gehe auf eine Party und der Gastgeber stellt mich auf eine Art und Weise vor, bei der ich finde, dass die beschriebenen Talente oder Charakteristika gar nicht zu mir passen. Meine Eigenwahrnehmung klafft weit mit der Fremdwahrnehmung auseinander. Das liegt offensichtlich daran, dass ich vorher nicht gut genug kommuniziert habe, wie ich mich darstellen will und was mich ausmacht. Das gilt auch in einem beruflichen Kontext.

Warum sollte sich etwa eine Krankenschwester im Job positionieren?

Wir werden alle an einen Punkt in unserer beruflichen Laufbahn kommen, wo wir verhandeln müssen, zum Beispiel unser Gehalt. Oder wir müssen einen Job suchen und sind darauf angewiesen, dass einen Leute kennen und wissen, worin wir wirklich gut sind oder vielleicht auch, worin nicht. Gerade in Krisenzeiten ist das Thema Positionierung wichtig. Apropos Krise: Gerade während der Corona-Pandemie konnten die Pflegekräfte beispielsweise über die sozialen Medien dem Gesundheitssystem ein Gesicht geben, etwaige Missstände kommunizieren. Und noch wichtiger: Sie konnten mitreden, statt dass nur über sie gesprochen wurde.




Was bedeutet es für dich, im Job sichtbar zu sein?

Das hängt stark davon ab, was das Ziel in meiner Positionierung ist. Wenn ich weiß, dass ich meine Karriere in dem Unternehmen die nächsten Jahre fortsetzen will, dann ist es wichtig, meinen Fokus auf die interne oder branchenspezifische Positionierung zu legen. Das fängt an mit 1:1 Treffen mit der Kollegin, wo ich beim Mittagessen eben nicht nur über Familie, Wind und Wetter spreche, sondern auch über meine Projekte. Was ist gut gelaufen, was habe ich auf die Beine gestellt, woran war ich beteiligt? All das ist das Persönliche im Branding. Ich kann mich auch bei internen Veranstaltungen sichtbar machen. Das können Newsletter sein, das Intranet, wo ich was posten oder teilen kann. Der nächste Schritt wäre zu überlegen, ob nicht auch eine externe Öffentlichkeit spannend für mich wäre. Könnte ich zum Beispiel jemand sein, der dem Pflegeberuf auf Instagram ein anderes Image verleiht oder eine Nahbarkeit gibt? Und dann kann es natürlich sein, dass ich vielleicht einmal die Branche wechseln will und meine Talente branchenübergreifend sind. Das kann ich über eine gute Positionierung viel besser zeigen, als wenn ich eben nicht sichtbar bin. Daher mein Tipp: Ich muss mir sehr klar über mein Ziel in der Positionierung sein und wo ich konkret beruflich hin will und mir dann überlegen, wer die drei Menschen sind, die mich unbedingt auf dem Zettel haben müssen. Die müssen nicht nur wissen, dass es mich gibt, sondern was ich gut kann.

Hört sich nach einem extra Stück Arbeit an, die ich dann auch noch nach meiner Arbeit erledige.

Ich würde es vor allem als beste Arbeit für mich selbst definieren. Wir sind super darin, unseren Job gut zu machen, aber wir nehmen uns ganz wenig Zeit für unsere Persönlichkeit und deren Entwicklung und Transparenz. Ich sage immer, es ist eine ziemlich romantische Vorstellung, davon auszugehen, dass meine Leistung von allen gesehen wird. Es ist schon so, dass ich darüber reden muss. Oder wir denken, wenn wir in einem Team arbeiten, ist alles Teamarbeit. Trotzdem ist es relevant, was ich als Einzelne dazu beigetragen habe und das kann ja nur ich kommunizieren. Mein Tipp wäre also, sich eine Erinnerung im Kalender zu installieren, wann man wieder an seiner Positionierung und Sichtbarkeit arbeiten sollte. Das muss nicht unbedingt sein, dass ich auf Social Media irgendwelche Selfies poste. Ich kann mir etwa überlegen, wie ich an die drei Menschen rankommen könnte, die mich auf dem Zettel haben sollten oder mit wem ich mich vernetzen muss, damit sie auf mich aufmerksam werden.



Sollte man in jedem Job seinen Markenkern haben, wie du es in deinem Buch schreibst? Was bedeutet das zum Beispiel im Berufsalltag einer Anästhesieschwester oder Altenpflegekraft?

Mein Markenkern muss gar kein fachliches Thema sein. Ich muss mich nicht über Anästhesie positionieren oder in der Pflegebranche an sich. Ich muss nicht unbedingt nur über Gesundheitsthemen sprechen. Es kann auch ein Talent oder eine Fähigkeit sein. Vielleicht bin ich ein Organisationsgenie oder ich bin gut darin, Leute zu vernetzen. Das sind Talente, die jeden Job überdauern, egal in welcher Branche ich bin. Wenn ich etwas gut kann, muss ich mich so positionieren, dass genügend Leute es mitbekommen. Und das mache ich, indem ich darüber erzähle, es teile, auch mal sage: „Wenn du jemanden brauchst, der organisieren kann, ich habe darin Erfahrung, ich habe schon die letzten Betriebsfeste organisiert. Ich kann das richtig gut.” Nur so entsteht der Eindruck, auch intern im Unternehmen, dass man ein Organisationstalent ist. Branding bedeutet, also nicht nur das Fest zu organisieren, sondern auch darüber zu erzählen. So gesehen ist also eine Positionierung für jeden spannend. Talente und Fähigkeiten sind ja unabhängig vom Hierarchielevel und davon, ob ich Akademiker:in bin, Berufsanfänger:in oder der Top CEO eines großen Unternehmens.

Viele tun sich schwer, sich selbst für einen Job vorzuschlagen. Da fehlt es oft an Selbstbewusstsein.

Selbstbewusstsein kann man trainieren wie einen Muskel. Wer sich schwertut, sich selbst vorzuschlagen, sollte Kolleg:innen, die einen sehr schätzen, fragen, ob sie nicht mal eine Beschreibung über einen verfassen könnten. Wie würden sie eine Empfehlung für einen Job formulieren? Sich das durchzulesen, anzunehmen und sich dann damit zu bewerben, ist was ganz Tolles. Dein Gegenüber wird Dinge in dir sehen, die du noch gar nicht gesehen hast. Deswegen ist das Thema Positionierung auch eng mit dem Netzwerk verknüpft. Dein Netzwerk gibt dir diese Aufmerksamkeit und Selbstbewusstsein, das du selbst vielleicht nicht mitbringst.

Du schreibst in deinem Buch, dass der Markenkern die Schnittmenge aus der Eigen- und der Fremdwahrnehmung ist…

Absolut, denn ich werde mich selbst ganz anders sehen, als mein Gegenüber. Deswegen ist es so wichtig, sich damit zu beschäftigen, wie ich gesehen werden will oder wie ich mich positionieren möchte. Es ist hilfreich, wenn ich aufschreibe, was meine Fähigkeiten, Talente und mein Charakter sind. Mit dieser Liste würde ich dann an mein Umfeld herantreten und fragen „Was davon wäre auf Platz eins?”. Diese Ehrlichkeit hilft, den Markenkern zu definieren. Danach kann ich überlegen, welches Talent von mir im Vordergrund stehen soll. Da würde ich immer raten, sich auf eins zu fokussieren. Generell muss man sagen, je mehr ich weiß, wie ich sein möchte und wie ich wahrgenommen werden will, desto mehr habe ich die Agenda meines Lebens selber in der Hand, desto mehr bin ich selbst- und nicht fremdbestimmt.



Wie wichtig findest du im Berufsleben Mentor:innen?

Extrem wichtig. Mir haben sie sehr geholfen. Ich habe mir selber meine Mentor:innen gesucht und nie darauf gewartet, dass ein Mentor auf einem weißen Schimmel dahergeritten kommt. Ich habe immer geguckt, wer Vorbilder für mich sind und welche Menschen mich inspirieren. Es muss nicht unbedingt jemand sein, der in der Hierarchie übergeordnet ist. Man kann sich auch gegenseitig inspirieren. Auf Social Media kann ich Menschen treffen, die außerhalb meines Netzwerkes und Wirkungskreises sind. Ich muss nur den Mut haben, sie anzuschreiben. Das kann ich nur allen raten, es lohnt sich.

Sollte man in den sozialen Medien aktiv sein, um im Beruf weiterzukommen?

Das würde ich allen raten. Nicht der Sichtbarkeit oder des Brandings wegen, sondern, wenn andere Menschen mich googeln. Da will ich wenigstens auf einem Kanal sein und diesen zu einer guten Visitenkarte machen. Für die, die nicht wissen, was sie posten sollten, empfehle ich: Erstens, sich Inspiration auf anderen Kanälen zu suchen und zweitens, sich mit einem Kommentar oder Like zu positionieren. Ich kann auch bei anderen in deren Netzwerken präsent sein und darüber Sichtbarkeit erreichen. Man sollte aber aufpassen, denn jeder Like hinterlässt eine digitale Fußspur.

Ist es wichtig, dabei positiv zu bleiben? Viele beschweren sich ja auf Social Media, was alles in ihrem Job schief läuft oder was mit der Branche nicht stimmt.

Im Buch beschreibe ich den Laut- und Leise-Test. Ich würde mir überlegen, ob ich das, was ich im Internet von mir gebe, genauso auf einem großen Schild an einer Bushaltestelle zeigen würde. 80 bis 90 Prozent der Menschen würden das dann nicht machen, weil so die Scham viel, viel größer ist. Das Internet schläft nicht nur nie, sondern es vergisst auch nie. Es werden heute superschnell Screenshots gemacht, bevor ich etwas gelöscht habe.

Interview: Julia Wagner

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