Anna ist Pflegekraft und kämpft für Veränderungen in der Pflege. Wie sie sich engagiert und welche Rolle die sozialen Medien dabei spielen, erklärt sie im Interview.
Wünschst du dir Veränderungen für deinen Beruf? Stellt man Pflegekräften diese Frage, antworten die meisten mit Ja. Dennoch sind die wenigsten Mitglied eines Pflege-Berufsverbandes, beteiligen sich an berufspolitischen Diskussionen auf Instagram und Co. oder demonstrieren für bessere Arbeitsbedingungen.Pflegekraft Anna möchte daran etwas ändern. Die 31-Jährige ist gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeitet als Dauernachtwache in einer stationären Altenpflegeeinrichtung. Sie nutzt ihren Instagram-Account @schwester_belladonna, um Pflegekräfte zu ermuntern, aktiv zu werden und für ihren Beruf einzutreten. In ihren Posts äußert sie sich zur Pflegepolitik, informiert über Gewerkschaftsarbeit und sagt auch zu umstrittenen Themen wie der Pflegekammer ihre Meinung. Wir haben mit ihr über ihr politisches Engagement gesprochen, über das Potential von Social Media und darüber, warum Ärztinnen und Ärzte vormachen, wie machtvoll Berufsverbände sein können.
Durch Franziska Böhler (@thefabulousfranzi) bin ich zufällig darauf aufmerksam geworden, dass es bei Instagram so eine Pflege-Bubble gibt. Ich habe mir angeguckt, was sie für Follower hat und wem sie folgt. Ich fand das dann ziemlich cool, weil dort in der Regel Pflegekräfte sind, die überdurchschnittlich engagiert sind. Ich dachte mir, das ist gerade in der Corona-Zeit eine gute Möglichkeit, in Kontakt und Austausch mit Leuten zu kommen, die auch aktiv sind.
Ich bin in einen Berufsverband eingetreten. Das wäre wahrscheinlich zu dem Zeitpunkt so nicht passiert. Und ich bin mit dem „Bündnis für Pflege Dresden“ in Kontakt gekommen, wo ich jetzt auch aktiv bin und jemanden kennengelernt habe, mit dem ich mich angefreundet habe.
Vom sozialen Aspekt her hat mich tatsächlich überrascht, wie innig die Beziehungen sein können, die zu einzelnen Leuten entstehen. Das habe ich mir vorher nicht so gut vorstellen können, dass Freundschaften entstehen, auch wenn sie nur virtuell sind.
Auf Instagram hat sich bestätigt, dass wir eine sehr geteilte Berufsgruppe sind. Unabhängig davon, dass zu wenig Leute aktiv sind, gibt es eine große Spaltung in berufspolitischen Fragen. Weswegen man kontraproduktiv gegeneinander arbeitet. Das große Thema Pflegekammer zum Beispiel. Es gibt auf der einen Seite starke Befürworter und auf der anderen Seite eine sehr starke Ablehnung. Da wird Energie aufgebracht, um bestehende Pflegekammern zu zerstören. Diese Dinge bekommt man auf Instagram gesammelter mit, weil man in seinem Berufsleben nie so viele Leute gleichzeitig kennenlernt, die aktiv sind.
Nein, tatsächlich nicht. Mit den Pflegekammern hatte ich ein kritisches Thema aufgegriffen und ich habe mich auch, unabhängig von der Pflege, zu #allesdichtmachen geäußert. Ich habe noch nie Hate bekommen. Eher konstruktiven Austausch. Leute haben mir geschrieben, dass sie anderer Auffassung sind, aber kultiviert.
Ich bin in meiner Teenagerzeit stark in die alternative Punkrock-Gothic-Richtung gegangen. Das sind oft linkspolitisch orientierte Menschen und da hat meine Politisierung stattgefunden. Im Erwachsenenalter bin ich in Die Linke eingetreten, habe dann aber festgestellt, dass Parteienarbeit ihre Grenzen hat. Eine Partei ist innerhalb ihres Programms ja relativ stark gefangen und in bestimmter Hinsicht nicht flexibel. Ich komme nicht so gut damit zurecht, wenn ich durch ein Konzept zu stark eingegrenzt werde. Berufspolitisch aktiv zu werden, hat sich vor allem in der Zeit der Pandemie herausgebildet. Durch Corona kamen wir in eine Situation öffentlicher Aufmerksamkeit, wo man am Anfang dachte, jetzt muss sich ja was ändern. Der Pflegenotstand war ja schon vor den letzten Bundestagswahlen Thema. Als mir dann klar wurde, es ändert sich doch nichts, dachte ich, ich muss gezielt was machen.
Ich denke, sowohl als auch. Ich stelle oft fest, wenn ich mich mit Pflegekräften über Berufspolitik unterhalte, dass sie wenig konkrete Inhalte kennen und sich nicht damit auseinandergesetzt haben. Auch dass Scham besteht, nachzufragen. Das merke ich bei Instagram immer wieder, dass die Leute Angst haben, als dumm dazustehen. Auf der anderen Seite gibt es eine resignative Haltung, nach dem Motto, ‚das ändere ich ja sowieso nicht‘. Das sagen ja auch viele, die nicht wählen gehen. Man verfällt in eine Starre, weil der Beruf so anstrengend ist und schwer mit dem Privatleben unter einen Hut zu bringen.
Meiner Meinung nach ja. Das kann man ganz gut an den Ärzten sehen. Die Ärzte sind zu über 70 Prozent im Marburger Bund, das ist Gewerkschaft und Verband in einem. Und wir sehen, dass sie politisch einen sehr großen Einfluss haben. Beispielsweise, dass das duale Kassensystem so immer noch besteht, hat viel damit zu tun, dass der Marburger Bund nicht möchte, dass es eine Bürgerversicherung gibt. Der starke Einfluss kommt auch daher, dass für Ärzte, genau wie für Handwerker, Kammern etabliert sind.
Seit sich die Corona-Bestimmungen ein bisschen gelockert haben, ist wieder mehr möglich. Vor allem mit dem „Bündnis für Pflege Dresden“ machen wir Kundgebungen. Darüber hinaus bin ich jetzt auch schon beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) eingebunden. Was mich nach Corona interessieren würde, wäre politische Bildungsarbeit. Ich würde gerne in Einrichtungen gehen und da aufklären.
Die Gewerkschaft macht das öfter. Ebenso der DBfK, aber bedingt durch die geringe Mitgliederanzahl nicht so weit vertreten. Die Gewerkschaften sprechen Mitarbeiter in den Häusern an, klären sie über ihre Arbeit auf und warum es wichtig ist, dass Pflege sich innerhalb der Gewerkschaft organisiert. Das ist natürlich auch davon abhängig, ob die Häuser das möchten.
Das merke ich bei Kollegen, die auch berufspolitisch aktiv sind. Es ist so, dass manche Arbeitgeber dazu tendieren, die Leute unter Druck zu setzen. Sie sprechen Drohungen aus, die letztlich so nicht umgesetzt werden könnten, aber hoffen auf die psychologische Gewalt. Sie drohen mit Kündigungen oder bringen die Pflegekräfte im Arbeitsalltag in schwierige Situationen. Genauso gibt es Häuser, die Verbände oder Gewerkschaften nicht reinlassen wollen.
Ich kann mich da schon reindenken. Es hat meiner Meinung nach viel mit Autoritätenhörigkeit zu tun – wie ich finde eine sehr deutsche Eigenschaft. Aber wenn ich emotionaler rangehe, kann ich es nicht so richtig verstehen. In der Raucherecke und beim Kaffee wird gemeckert wie furchtbar alles ist und es wird auch viel übereinander geredet. Aber es fehlt die Kultur, egal ob mit Kolleg:innen oder Vorgesetzten, offen zu sprechen. Im allerschlimmsten Fall verliert man den Job oder der Arbeitgeber macht es einem unerträglich schwer. Einer der wenigen Vorteile an unserem Beruf ist, wir haben freie Jobwahl. Wir haben genug Möglichkeiten, einen neuen Job zu finden. Es geht ja auch nicht gleich darum, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren. Es fängt viel kleiner an, indem man Ungerechtigkeiten anspricht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Vorgesetzte das viel mehr schätzen, als diese Gerede hintenrum. Es gibt bestimmt auch Arbeitgeber, die ignorant ihr Ding durchziehen. Aber ich glaube, wenn es mehr Leute machen würden, gäbe es weniger Probleme.
Ich denke schon, dass man mit diesen schnellen Medien auch politische Themen machen kann. Das Interessante daran ist, dass sie vor allem junge Leute, also eine andere Zielgruppe, erreichen. Die TikToker, mit denen ich mich unterhalten habe, kriegen allerdings sehr viel Shitstorm. Dadurch, dass es eben so schnell ist, muss man bei politischen Themen immer auf Lücke gehen und das macht einen unheimlich angreifbar. Wenn ich auf Instagram über solche Themen schreibe, bin ich ziemlich gründlich. Wenn man alle Kritikpunkte schon aufnimmt in die Art, wie man das verkauft und die Inhalte in sich geschlossen sind, macht man sich weniger angreifbar. Wahrscheinlich haben die Leute dann Angst vor den Gegenargumenten.
Mehr Engagement. Nicht erst dann, wenn man selber betroffen ist. Sondern dass gesellschaftlich eine Bereitschaft da ist, sich beispielsweise mit uns auf die Straße zu stellen, weil Pflege alle Menschen betrifft.
Auf die Gesundheitspolitik bezogen würde ich mir wünschen, dass eine Politik betrieben wird, die auf Menschlichkeit und nicht auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet ist.
Eine positivere Grundhaltung. Das Glas ist halb voll, sagt mein Vater immer und in der Pflege ist es meistens halb leer. Da würde ich mir einen Wandel wünschen, weil ich glaube, dass man so mehr erreichen kann.
Die Vorwürfe kenne ich. Ich habe mich schon in der Ausbildung entschieden, dass ich noch studieren möchte. Ich bin schon lange in der Pflege und war so realistisch zu sagen, dass das nichts ist, was man bis zur Rente machen kann. Aber ich fände es schade, der Pflege den Rücken zu kehren und da war die Pflegepädagogik perfekt. Ich bleibe in der Pflege und sorge dafür, dass es auch in Zukunft Pflegekräfte gibt. Wenn ich mit Vorwürfen konfrontiert werde, frage ich gerne, ob die Leute glauben, dass sie bis zur Rente auf Station stehen können. Und man könnte sogar sagen, ich kann als Lehrerin in der Pflege mehr bewirken, als als einzelne Person auf Station.
Meine unfassbar sinnstiftende Aufgabe. Es gibt viele Berufe, wo man in privaten oder beruflichen Krisen in die Situation kommt, sich zu fragen, wie viel Sinn das macht. Die Sinnhaftigkeit ist etwas, was man der Pflege nicht absprechen kann. Dann eben auch die Momente, die man mit den Patienten oder Bewohnern hat, die immer sehr ehrlich und menschlich sind. Gerade wenn mir ein positives Gefühl entgegengebracht wird. Das muss nicht spektakulär sein. Ich war jetzt zum Beispiel drei Wochen krank und kam dann in mehrere Zimmer rein und die Bewohner haben gefragt, warum ich so lange nicht da war und was passiert ist. Da merke ich, dass die Leute mich vermissen.
Mit ihrem berufspolitischen Engagement, das schon am eigenen Arbeitsplatz anfängt, führt Anna nicht nur Verbesserungen für sich und ihre Kolleg:innen herbei. Auch die Seniorinnen und Senioren, die ihr die Motivation für ihren Job geben, profitieren davon. Noch vor dem politischen Bewusstsein kommt dabei das Selbstbewusstsein, sich Ungerechtigkeiten nicht gefallen zu lassen und sich als kompetente:r Vertreter:in eines anspruchsvollen Fachberufs zu betrachten. Denn, wie Anna auf ihrem Instagram-Kanal schreibt: „Niemand kann so gut für uns sprechen, wie wir selbst. Und niemand kann die Lücke füllen, die wir hinterlassen, wenn wir das Feld räumen.“
Interview: Friederike Bloch
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