Im ersten Teil unserer Übersicht erfährst du, welche berufspolitischen Institutionen es für die Pflege gibt und wie du dich dort engagieren kannst.
Warnstreiks, starke Berufsverbände und -kammern helfen vielen Berufsgruppen im Kampf um gerechte Arbeitsbedingungen. In der Pflege existieren solche Instrumente und Institutionen für berufspolitisches Engagement jedoch nur bedingt oder treffen, wie die Pflegekammer, sogar auf Ablehnung. So erscheint es Pflegekräften häufig schwierig oder wenig aussichtsreich, Veränderungen ihrer Arbeitssituation zu fordern. Die Pflege hat keine Lobby, heißt es oft. Also keine geschlossene Interessenvertretung, die Entscheidungsprozesse beeinflussen kann. Manche Pflegekräfte wissen gar nicht, was sie einfordern können oder haben Angst vor Konsequenzen, wenn sie sich am Arbeitsplatz stark machen. Doch gerade weil die Pflege keine Lobby im eigentlichen Sinne hat, kommt es auf jede und jeden einzelnen der über 1,7 Millionen Alten- und Krankenpfleger:innen an.
Die Rechnung ist einfach: Je mehr Menschen auf die Probleme in der Pflegebranche aufmerksam machen und sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, desto lauter wird ihre Stimme. Wir stellen dir acht Möglichkeiten vor, dies zu tun. Unsere Redaktion hat außerdem in der Facebook-Gruppe „Wir sind die Pflege“ bei den Pflegekräften nachgefragt, was sie selbst zum Thema berufspolitisches Engagement zu sagen haben. Ihre Antworten fließen mit ein.
In diesem ersten Teil unserer Übersicht geht es um
Im zweiten Teil folgen
Berufsverbände vertreten gegenüber Arbeitgeber:innen, der Öffentlichkeit und der Politik die Interessen der jeweiligen Berufsgruppe. Diese berufspolitischen Institutionen sind ein wichtiges Sprachrohr für die Belange und Forderungen der Arbeitnehmer:innen. Sie stehen im Dialog mit nationalen und internationalen Entscheidungsträgern sowie anderen gleichgesinnten Organisationen. Außerdem geben sie Stellungnahmen ab und organisieren Aktionen, die für Aufmerksamkeit sorgen. Viele Berufsverbände arbeiten an einer fachlichen und wissenschaftlichen Weiterentwicklung sowie Professionalisierung des Berufs. Um dieses Potential zu entfalten, brauchen Berufsverbände jedoch viele Mitglieder und daran hapert es in der Pflege noch. Weniger als zehn Prozent der Pflegekräfte sind in Berufsverbänden organisiert.
Die größten Berufsverbände der Pflege- bzw. Heilberufe sind:
Daneben gibt es noch viele weitaus kleinere berufspolitische Verbände wie:
Auch für Arbeitgeber:innen und Unternehmen in der Pflege gibt es spezielle Verbände, zum Beispiel:
16 Pflege-Berufsverbände gehören dem Deutschen Pflegerat (DPR) an, der sie als Dachverband vertritt.
Mitglied eines Berufsverbandes zu sein, hat für dich nicht nur den Vorteil, dass du damit eine wichtige Interessenvertretung deines Berufsstandes unterstützt und dazu beträgst, bessere Rahmenbedingungen für den Pflegeberuf zu schaffen.
Je nach Verband sind dies weitere mögliche Vorteile:
Um vollwertiges Mitglied eines Pflege-Berufsverbandes zu werden, musst du in der Pflege arbeiten oder einen pflegerelevanten Beruf gerade durch eine Ausbildung oder ein Studium erlernen. Oft gibt es auch die Möglichkeit der inaktiven Mitgliedschaft, wenn du den Beruf nicht bzw. nicht mehr ausübst. Auf den Webseiten der jeweiligen Verbände findest du entsprechende Formulare, die du online ausfüllen kannst.
Die Mitgliedschaft in einem Berufsverband ist nicht umsonst, denn sie trägt dazu bei, die Arbeit des Verbandes zu finanzieren. Du kannst den Mitgliedsbeitrag jedoch als Werbungskosten von der Steuer absetzen. Die Kosten sind je nach Berufsverband unterschiedlich. Beim DbfK und beim DPV ist der monatliche Mitgliedsbeitrag zum Beispiel nach Einkommen gestaffelt und beträgt zwischen elf und 31 Euro. Bei den Rotkreuzschwestern zahlst du monatlich ein Prozent des Nettoverdienstes.
Auch Gewerkschaften sind Berufsverbände und haben ähnliche Aufgabenschwerpunkte. Allerdings bündeln sie meist die Interessen der Arbeitnehmer:innen mehrerer Berufsgruppen. Nach der Industriegewerkschaft Metall ist die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mit zwei Millionen Mitgliedern die zweitgrößte Gewerkschaft Deutschlands. Sie ist in mehrere Fachbereiche unterteilt, darunter auch „Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen“. So können sich beruflich Pflegende ver.di anschließen.Gewerkschaften engagieren sich für gerechte Arbeitsbedingungen, indem sie sich beispielsweise für Tarifverträge stark machen und diese aushandeln, Betriebs- bzw. Personalräte beraten sowie Lobbyarbeit betreiben. Sie sind wichtige Akteure in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen. Auch hier gilt: je mehr Mitglieder, desto höhere Erfolgschancen.
Das machtvollste Instrument der Gewerkschaften ist der Streik. Nur sie dürfen zur Arbeitsniederlegung aufrufen. In der Pflege kommt es seltener zu Streiks, als in Berufen mit hoher gewerkschaftlicher Organisation. Doch auch Krankenhäuser und Pflegeheime können bestreikt werden. In der Facebook-Gruppe „Wir sind die Pflege“ antworteten uns einige Pflegekräfte, dass sie ver.di-Mitglieder sind. Ein Nutzer berichtet: „Vor 4 Jahren haben wir mit unseren Kollegen einen Streik mit ver.di in unserem PFLEGEHEIM durchgeführt- und dies mit Erfolg. (…) Unser Tarifabschluss ist der Beweis- es lohnt sich, sich gewerkschaftlich zu engagieren.“Unter Beachtung der Gewerkschaftsregeln können auch Pflegekräfte streiken, wenn sie keine Gewerkschaftsmitglieder sind, das regelt das Streikrecht im Grundgesetz. „Wilde Streiks“ einzelner Angestellter oder Gruppen können vom Arbeitgeber dagegen mit Kündigungen, Abmahnungen oder Schadensersatzforderungen geahndet werden. Pflegekräfte scheuen sich oft vor Streiks, denn sie wollen ihre Patient:innen nicht im Stich lassen. Doch die Versorgung ist gewährleistet, denn die Gewerkschaften schließen im Vorfeld meist Notdienstvereinbarungen mit den Krankenhäusern.Ob Mitarbeiter:innen kirchlicher Einrichtungen streiken dürfen, wird seit Jahren debattiert. Grundsätzlich gelten für Kirchen arbeitsrechtliche Sonderregelungen, die unter anderem Streiks ausschließen.
Die erste Gewerkschaft nur für Pflegekräfte ist der Bochumer Bund. Er wurde im Mai 2020 von den Gesundheits- und Krankenpfleger:innen Benjamin Jäger und Heide Schneider gegründet. Somit hat die größte Berufsgruppe des Gesundheitswesens endlich eine eigene Gewerkschaft und eine neue Plattform, um sich gezielt berufspolitisch zu engagieren. Als Gewerkschaft kann auch der Bochumer Bund zum Streik aufrufen. Die Ziele des Bundes sind unter anderem mehr politische Mitbestimmung und Mitspracherecht für die Pflege, eine reduzierte Wochenarbeitszeit und höhere Gehälter, die gezielt und ausschließlich für die Pflege ausgehandelt werden. Um diese zu erreichen, braucht es jedoch mehr Mitglieder. Bisher beteiligen sich nur ca. 1.500 Pflegekräfte.
Gewerkschaftsmitglied zu sein, kann für dich folgende Vorteile haben:
Auf den Webseiten der Gewerkschaften findest du entsprechende Formulare, um dich als Mitglied einzutragen.Gut zu wissen: Du musst deinem Arbeitgeber beim Vorstellungsgespräch und auch später nicht mitteilen, ob du Mitglied einer Gewerkschaft bist. Wirst du danach gefragt, darfst du lügen. Wenn Tarifverträge in deinem Betrieb nur für Gewerkschaftsmitglieder gelten, musst du deine Mitgliedschaft allerdings offenlegen.
Meistens zahlst du einen monatlichen Mitgliedsbeitrag, bei ver.di zum Beispiel ein Prozent deines Bruttolohns. Beim Bochumer Bund zahlen Erwerbstätige 12,50 Euro und Auszubildende, Studierende sowie Personen in prekären finanziellen Situationen vier Euro.
Du willst Gewerkschaften und Berufsverbände mit mehr als deinem Mitgliedsbeitrag unterstützen? Dann kannst du dich an Protestaktionen und Kundgebungen beteiligen, die oft von ihnen organisiert werden. Bei diesen werden zum Beispiel Klinikvorstände dazu aufgefordert, mehr Personal einzustellen oder eine Bezahlung nach Tarifvertrag gefordert. Du kannst auch an Infoständen oder direkt an den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen über die Arbeit deiner Gewerkschaft bzw. deines Verbandes informieren. Auf den Webseiten der Organisationen findest du weitere Möglichkeiten, wie du dich engagieren kannst.
Betriebsräte in der Privatwirtschaft, Personalräte im öffentlichen Dienst und Mitarbeitervertretungen in kirchlichen Einrichtungen vertreten die Interessen der Arbeitnehmer:innen auf Unternehmensebene. Weiterhin gibt es Jugend- und Auszubildendenvertretungen. Obwohl in allen Betrieben mit mindestens fünf volljährigen Arbeitnehmer:innen ein Betriebsrat gewählt werden kann, haben nur wenige Einrichtungen diese Instanz. Viele Pflegekräfte wollen sich diese ehrenamtliche Aufgabe nicht aufbürden und fürchten Konflikte mit dem Arbeitgeber.
Seine Kolleg:innen zu vertreten, mag zusätzliche Arbeit sein. Doch sie lohnt sich, nicht nur, weil du als Betriebsrat das Recht auf Kündigungsschutz genießt. Die Existenz von Betriebsräten und Co. hat folgende Vorteile, welche die Rahmenbedingungen für Pflegekräfte verbessern können:
Wenn du in deiner Einrichtung einen Betriebsrat bzw. eine Mitarbeitervertretung gründen oder wählen möchtest, findest du Informationen und Unterstützung bei ver.di. Fallen bei der Betriebsratstätigkeit Kosten an, muss diese der Arbeitgeber übernehmen. Teilweise hat der Betriebsrat das Recht auf Freistellung von der eigentlichen Arbeit, um seine Aufgaben wahrnehmen zu können.Doch du musst nicht offiziell zur Arbeitnehmervertretung in deiner Einrichtung gehören, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Sprich offen an, wenn es Probleme gibt, aufgrund derer du deine Arbeit nicht nach deinen Maßstäben durchführen kannst oder wenn du etwas als ungerecht empfindest. Oft wissen deine direkten Vorgesetzten oder die Leiter:innen der Einrichtungen nicht über mangelhafte Abläufe oder Konflikte im Team Bescheid. Nur konstruktive Kritik, am besten verbunden mit Lösungsvorschlägen, kann Veränderungen herbeiführen. Bedenke, dass ein hohes Fehlerpotential aufgrund von Personalnot oder Überarbeitung das Wohl der Patient:innen und Bewohner:innen gefährdet. Scheue dich nicht, das Gespräch zu suchen und wenn das nichts hilft, eine Überlastungsanzeige zu schreiben.
Einer Partei beizutreten, kann ebenfalls eine Option sein, der Pflege Gehör zu verschaffen. Unser Kolumnist Stefan Heyde, der sich unter anderem in einer Partei politisch engagiert, sagt über seine Teilnahme an parteiinternen Veranstaltungen: „Ich konnte mich als Teilnehmer aktiv an der Entstehung und Verabschiedung der damaligen Parteischwerpunkte für das Wahlprogramm der Partei in Sachen Gesundheits- und Pflegepolitik mit einbringen.“ Er gibt zu bedenken, dass Parteien ihre Zielsetzung hinsichtlich des Pflegeberufes nur verändern oder verstärken, wenn sich mehr Pflegekräfte als Mitglieder mit ihren Erfahrungen einbringen.
Berufspolitische Teilhabe ist einfacher, als du denkst. Wie du dich beteiligen kannst, ohne Mitglied einer Interessenvertretung oder einer Partei zu werden, erfährst du im zweiten Teil unserer Übersicht:
Friederike Bloch
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