Alpakas werden zunehmend als tierische Therapeuten und Coaches eingesetzt. Sie begleiten Pflegefachkräfte beim Trainieren von Achtsamkeit, fördern das Teambuilding und stärken die Führungskompetenz. In Pflegeheimen besuchen sie Seniorinnen und Senioren.
Und sie unterstützen Menschen wie Silvia dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die 56-jährige Online-Marketerin lebt mit einer Autismus-Spektrums-Störung (ASS). MEDWING gab sie einen kleinen Einblick in ihre Therapie und in ihr Leben.
Alpakas gehören – genau wie Lamas – zur Familie der südamerikanischen Kleinkamele (Neuweltkameliden). Allerdings sind sie kleiner und leichter als Lamas: Die freundlichen Herdentiere erreichen nur eine Größe von bis zu 90 cm und ein Gewicht von rund 80 kg. Überwiegend werden sie wegen ihrer Wolle gezüchtet. Aber ihre ruhige Ausstrahlung hat eine positive Wirkung auf Menschen. Sie passen sich sogar ihrer Stimmung und der jeweiligen Situation an.Zwar ist die Tiertherapie auch mit anderen Tieren wie Hunden, Katzen, Pferden oder Delfinen möglich. Aber Alpakas bieten einen entscheidenden Vorteil: Sie beißen und spucken nicht.Außerdem kostet die Therapie mit den Mini-Kamelen nur einen Bruchteil dessen, was etwa eine Delfintherapie kosten würde.
„Zuerst hatte ich Angst vor den Tieren“, erzählt die 56-jährige Silvia. Sie kam zum ersten Mal in ihrem Leben mit Alpakas in Kontakt, als sie in einer Werkstatt für seelisch Behinderte arbeitete.Silvia lebt mit einer Autismus-Spektrums-Störung (ASS). „Seit 2017 gibt es die Bezeichnung Asperger-Syndrom nicht mehr.“ Soziale Beziehungen aufzubauen und mit Menschen zu sprechen, fällt ihr schwer.Ihre Betreuer in der Werkstatt rieten ihr, die Therapie mit Alpakas auszuprobieren. Damals sprach Silvia so gut wie gar nicht. Manchmal sagte sie „Ja“ und „Nein“. Das war alles.Neue Situationen machten ihr Angst. „Ich hatte kein Selbstvertrauen.“Sie entschied sich dafür, der tiergestützten Therapie eine Chance zu geben.
Dieser mutige Beschluss veränderte ihr Leben: „Es ist kaum zu glauben, aber ich habe nach über 40 Jahren Sprachlosigkeit endlich gelernt zu sprechen, dank der Tiere.“Silvia fand nicht nur ihre Stimme, sondern auch den Mut, ihre Träume zu verwirklichen: „Dadurch habe ich den Schritt in die Selbstständigkeit geschafft.“ Sie baute sich eine Existenz als Online Marketer auf. Heute bietet sie Texte und SEO-Dienstleistungen an. Dazu zählen Ratgeber, Produkt- und Kategorie-Beschreibungen für Online-Shops sowie Office-Tutorials.Auch in ihrem Privatleben hat sich einiges verändert: „Ich habe es endlich geschafft, zu Hause auszuziehen und allein zu leben.“
Silvia lernte zunächst, das Vertrauen der Alpakas zu gewinnen. „Mit Futter gelingt es fast immer.“ Bei Apfelstreifen werden die freundlichen Paarhufer schwach. Silvia fütterte sie und näherte sich ihnen an. Behutsam. In ihrem eigenen Tempo.„Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich mich erstmals getraut habe, ein Tier zu berühren“, berichtet die Online Marketerin.Darin liegt eine Stärke der geduldigen Kleinkamele: Sie passen sich an ihre menschlichen Klientinnen und Klienten an. Als ausgebildete Therapie-Tiere sind sie zutraulich, neugierig und zeigen keine Scheu. Den Umgang mit Menschen sind sie gewöhnt. „Sie sind superweich. Sie fassen sich fast wie Watte an.“Seit acht Jahren hält Silvia an der Therapie mit Alpakas fest. „Mir persönlich hilft es, nicht rückfällig zu werden. Im Grunde kannst du ihnen alles erzählen. Nur schade, dass wir ihre Sprache nicht verstehen. Aber es beruhigt, ihre Töne zu hören.“ Inzwischen ist sie allerdings zu einem anderen Anbieter gewechselt.Alle zwei Wochen verbringt sie eine Stunde bei den freundlichen Kleinkamelen. Das kostet jedes Mal 50 Euro. „Mehr kann ich mir leider nicht leisten.“
Prinzipiell ist diese Art der Tiertherapie für Menschen aller Altersgruppen geeignet. Sie kann allein, zu zweit oder in kleinen Gruppen durchgeführt werden.Alpakas – beziehungsweise Tiere im Allgemeinen – machen keinen Unterschied zwischen Menschen. Für sie spielt es keine Rolle, ob jemand behindert, nicht behindert, groß, klein, alt, jung, übergewichtig oder untergewichtig ist.Das Gefühl, bedingungslos akzeptiert zu werden, tut gut. Von dem Kontakt profitieren Kinder ebenso wie Seniorinnen und Senioren.
Die Therapie ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Die Fachkraft für tiergestützte Therapie bildet das Bindeglied zwischen Menschen und Tieren. Sie stimmt den Verlauf der Begegnung individuell auf die Bedürfnisse und den jeweiligen Förderbedarf ab. Die Klientinnen und Klienten bekommen kleine Arbeitsaufträge, die ihnen dabei helfen, sich weiterzuentwickeln.
So unterschiedlich wie die Personen, die eine tiergestützte Therapie in Anspruch nehmen, sind auch ihre Ziele:
Es gibt Anbieter, die sich auf Achtsamkeitstraining sowie Entschleunigung spezialisiert haben. Trekking-Touren holen gestresste Pflege- und Führungskräfte aus ihrem Alltag und begleiten sie in die Natur. Der Kontakt mit den freundlichen Alpakas führt zu einem Gefühl der Ruhe und Entspannung.In unserer hektischen Zeit ist diese Burn-Out-Prävention eine Wohltat.
Meistens sind es ausgebildete Fachkräfte aus den Bereichen Psychologie, Pädagogik, Soziales sowie Medizin mit einer fachspezifischen Fortbildung zum tiergestützten Therapeuten/zur tiergestützten Therapeutin, die diese Art der Tiertherapien anbieten.Die Europäische Society for Animal Assisted Therapy (ESAAT) gibt entsprechende Standards vor. Eine Fachausbildung beinhaltet 60 ECTS beziehungsweise 1.500 Stunden theoretischen und praktischen Unterricht, einschließlich Praktika und projektbezogener Arbeit.Daran schließt sich eine kontinuierliche fachspezifische Weiterbildung mit wenigstens 16 Stunden alle zwei Jahre an.
Silvias Beispiel zeigt, was die tiergestützte Therapie leisten kann. Die Tiere schaffen etwas, was menschlichen Therapeutinnen und Therapeuten nicht ohne Weiteres gelingt: Durch ihre bedingungslose Akzeptanz, ihre Ruhe und Gutmütigkeit finden sie einen Zugang zu den Klientinnen und Klienten.
Beispiele für erfolgreiche Ergebnisse mithilfe der Tiertherapie:
Silvia hat viel vor. Mithilfe der Alpakas arbeitet sie daran, noch selbstständiger und unabhängiger zu werden: „Ich möchte gerne allein zum Arzt oder zum Einkaufen gehen können. Ohne immer auf den Pflegedienst warten zu müssen. Und vielleicht auch mal spazieren gehen. Das wäre super.“Wir sind sicher, dass sie auch diese Hürde mit Bravour meistern wird.
Michaela Hövermann