Die eigene Krankheitsgeschichte samt aller Befunde, Diagnosen und Gesundheitsdaten zentral in einem digitalen Aktenschrank gespeichert – die elektronische Patientenakte hält schon bald Einzug bei rund 13,5 Millionen Versicherten. Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Das erfährst du in diesem Artikel:
Diagnosen, Röntgenaufnahmen, Blutwerte und Medikamentenlisten – die übergreifende Dokumentation der eigenen Krankheitsgeschichte kann in Zukunft via Smartphone oder Tablet von überall aus abgerufen werden. Möglich macht das die elektronische Patientenakte (ePA), die als zentrales Element der vernetzten Gesundheitsversorgung spätestens ab Januar 2021 von den gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden muss. So steht es im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). Damit können künftig rund 13,5 Millionen Versicherte ganz einfach online auf ihre Gesundheitsdaten zugreifen.
Vereinfacht gesagt, kann man sich die elektronische Patientenakte als digitalen Aktenschrank vorstellen. Hier ist alles hinterlegt, das mit der eigenen Gesundheit und Krankheitsgeschichte zu tun hat. Abgerufen werden können also Diagnosen, Therapiemaßnahmen, Medikamentenpläne, Behandlungsberichte, Röntgenaufnahmen oder Informationen zu Befunden, Blutwerten sowie zu Impfungen. Die elektronische Patientenakte unterstützt darüber hinaus den Notfalldatensatz sowie elektronische Arztbriefe. Dabei ersetzt die ePA jedoch nicht die Kommunikation unter den Ärzten oder Einrichtungen.
Viele dieser Informationen wurden bis dato digital in den zuständigen Arztpraxen gespeichert, aber eben nur im eigenen System. Wenn ein Patient nun also die Praxis oder Klinik wechselte, woanders behandelt wurde und Einblicke in die bisherige Krankengeschichte bzw. ein Austausch mit ehemals behandelnden Ärzten nötig war, passierte das häufig noch per Brief oder Fax. Die elektronische Vernetzung fehlte. Für die Patienten bedeutete dies, dass sie ihre Befunde von einer Praxis in die nächste „tragen“ mussten. Taten sie das nicht, konnte es vorkommen, dass falsch behandelt oder erneut diagnostiziert wurde. Insbesondere die Doppeluntersuchungen sollen in Zukunft vermieden werden, indem die elektronische Patientenakte alle notwendigen Daten jederzeit zugänglich macht und somit mehr Transparenz für Ärzte als auch Patienten schafft.
Wichtig ist hierbei zu betonen, dass es nicht nur die eine digitale Patientenakte gibt. Den digitalen Aktenschrank bieten mittlerweile viele an. So kamen in den vergangenen Monaten auch einige Apps auf den Markt, wie beispielsweise DoctorBox oder Vivy. Die digitalen Gesundheitsassistenten kombinieren elektronische Gesundheitsakte mit persönlicher Assistenz. Diese digitalen Lösungen stehen bereits Versicherten diverser Krankenkassen zur Verfügung. Nach Aussage von Gesundheitsminister Jens Spahn soll bis 2021 jeder Versicherte auf seine Gesundheitsdaten zugreifen können. Dafür sollen von der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte GmbH (gematik GmbH) einheitliche Standards geschaffen werden. Zwar ist mit keiner eigenen Akte vonseiten der gematik zu rechnen, dafür aber mit Zertifikaten, die von der Gesellschaft anderen Anbietern ausgestellt werden. Zertifiziert werden unter anderem Qualitäts- und Sicherheitsaspekte.
Die Nutzung einer elektronische Patientenakte ist freiwillig. Die wichtigste Voraussetzung ist also der ausdrückliche Wunsch des Patienten zur Führung einer ePA. Einmal eingerichtet, dient sie als lebenslange Informationsquelle. Bis Anfang 2021 sollen Krankenkassen ihren Versicherten eine ePA anbieten. Pro Versichertem darf es dann nur eine elektronische Akte geben.
Sofern der Patient einwilligt, werden die Daten aus dem Praxisverwaltungssystem (PVS) vonseiten des Arztes hochgeladen – als Kopien des internen PVS. Die Hauptdokumentation bleibt davon also unberührt. Auch ist es keinem der ePA-Betreiber möglich, auf das Verwaltungssystem der Praxis zugreifen zu können. Ohne Zustimmung des Arztes werden dementsprechend keine Daten übertragen.
Grundsätzlich kann der Patient seine ePA jederzeit alleine einsehen, Informationen ergänzen oder Inhalte löschen, denn die Hauptdokumentation bleibt, wie im Vorigen erwähnt, unberührt davon. Der behandelnde Arzt wiederum greift grundsätzlich nur gemeinsam mit dem Patienten auf dessen ePA zu. Hierfür nutzt der Arzt seinen Praxisausweis und der Patient seine elektronische Gesundheitskarte. Dem Arzt kann auch eine temporäre Zugriffsberechtigung gegeben werden, so dass auch ohne die Anwesenheit des Versicherten, beispielsweise nach einem Behandlungstermin, entsprechende Befunde und Dokumente in die ePA eingestellt werden können.
Gut zu wissen: Weil es jedem Patienten selbst überlassen ist, ob er die Akte nutzt oder Daten ändert und daher die ePA in der Hoheit des Patienten liegt, kann der Arzt grundsätzlich nicht von einer medizinisch vollständigen Akte ausgehen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) setzt sich dafür ein, dass die Arztpraxen einen einfachen Umgang mit der elektronischen Patientenakte haben. Dies setzt voraus, dass es einheitliche Schnittstellen gibt, damit die Praxen einfach und unproblematisch mit den Akten unterschiedlicher Anbieter arbeiten können. Diese Schnittstellen werden wiederum von der gematik spezifiziert. Sehr wahrscheinlich ist also, dass sowohl Kassen als auch private Anbieter ihre ePA-Versionen zukünftig an die Anforderungen der gematik anpassen werden. Dadurch könnte sich eine „Basisakte“ etablieren, die ein Patient auch dann weiterhin anwenden kann, wenn er beispielsweise die Krankenkasse wechselt. Wahrscheinlich ist auch, dass bei privaten Anbietern der ePA zusätzliche Serviceangebote mit eingeschlossen sind. So zum Beispiel eine Erinnerungsfunktion, wann Vorsorgeuntersuchungen oder ähnliche Termine anstehen oder auch die Kopplung an einen Fitnesstracker.
Die Meinungen gehen auch hier auseinander. Einige Ärzte sehen in der ePA eine große Entlastung und den medizinischen Nutzen. Andere wiederum sind der Ansicht, die digitale Dokumentenführung würde überschätzt. Es könne zu weiteren Doppeluntersuchungen kommen, weil Ärzte nicht auf die Arbeit eines anderen vertrauen oder schlicht nicht auf ihr eigenes Honorar verzichten wollen. Kritik wird außerdem geäußert, wenn es um die Bedienerfreundlichkeit geht – ältere Patienten könnten benachteiligt sein, weil sie vielleicht nicht wissen, wie man mit der Technik umgeht.
Obwohl die gematik einheitliche Vorgaben schaffen will und die Anbieter um hohe Sicherheitsstandards mittels Verschlüsselung, Passwörtern oder PIN-Codes bemüht sind, zeigen sich Bedenken. So warnt beispielsweise der Ärzteverband Marburger Bund vor einer Weitergabe der Daten an Arbeitgeber oder Dritte. Zweifel kommen auch aus dem Hause des Chaos Computer Clubs. Die Zahl der Angriffe auf Smartphones steige stetig. Da Gesundheitsdaten besonders lukrativ und persönlich sind, lassen sich Hacker-Versuche nicht ausschließen. Viren oder Trojaner könnten Zugang zu den Daten finden. Gesundheitsminister Spahn aber entwarnt: Man müsse präventiv handeln. Er sieht den Schlüssel in einem umfangreichen Sicherheits- und Datenschutz.
Bei allen Bedenken aber auch hier noch einmal der Hinweis mit Blick auf die Entscheidungsfreiheit des Patienten: Grundsätzlich entscheidet der Patient selbst, ob er überhaupt eine ePA wünscht und auch welche Daten gespeichert oder gelöscht werden und mit welchem Arzt er sie schließlich teilen will.
Sabrina Lieb