So können digitale Assistenzsysteme deinen Arbeitsalltag erleichtern

Inspiriert von der faszinierenden Welt der Medizin und Pflege, möchte unser Redaktionsteam sich mit Fachkräften austauschen, Perspektiven aufzeigen mit Interviews und Reportagen, um die Vielfalt des Pflegealltags zum Ausdruck bringen.

Die fortschreitende Digitalisierung hat Auswirkungen auf sämtliche Lebensbereiche. In der Pflege kann die neue Technik – richtig eingesetzt – den Pflegenotstand abfedern und das vorhandene Pflegepersonal entlasten. Wie du als Gesundheits- und Krankenpfleger:in oder Altenpfleger:in schon bald von den smarten Helfern profitieren kannst, erfährst du hier.

Wir befinden uns mitten in der vierten industriellen Revolution. Diese wird als „Pflege 4.0“ bezeichnet. Du brauchst keine Sorge haben, jemals durch einen Roboter ersetzt zu werden: Das wird nicht passieren. Selbst wenn die rein maschinelle Pflege irgendwann tatsächlich möglich sein sollte – Menschen wollen das nicht. Menschen möchten von Menschen betreut und gepflegt werden. Empathieberufe lassen sich nicht gleichwertig durch Maschinen ersetzen. Der Philosoph Prof. Dr. Richard David Precht betrachtet Empathie – die Fähigkeit, zuzuhören und sich um Menschen zu kümmern – als wichtigste Schlüsselqualifikationen des 21. Jahrhunderts.

Im Pflegealltag von digitaler Technik profitieren

Zum Ersatz wird die digitale Technik nicht werden. Aber es ist möglich, deinen Pflegealltag durch die Integration von digitalen Systemen in Kliniken, Alten- und Pflegeheimen zu erleichtern.

Die neuen Technologien in der Pflege lassen sich grob in vier Bereiche einteilen:

  • Robotik,
  • technische Assistenz,
  • Telecare/Telemedizin und
  • elektronische Dokumentation.

Mit Pflege- und Servicerobotern beschäftigt sich unser Artikel „Sind Roboter die besseren Fachkräfte?“. Heute widmen wir uns technischen Assistenzsystemen. Dazu stellen wir die drei besonders vielversprechende Problemlöser vor. In naher Zukunft werden diese dir dabei helfen können, dich auf den pflegebedürftigen Menschen zu konzentrieren, während sie im Hintergrund Kontroll- und Routinetätigkeiten übernehmen oder für Abwechslung sorgen.

3 Innovationen, die dir den Alltag auf Station und im Pflegeheim erleichtern

Digitale Anwendungen in der Pflege konzentrieren sich immer auf zwei Zielgruppen: die Pflegebedürftigen und die Pflegenden. Bei den Pflegebedürftigen geht es darum, deren Lebensqualität zu verbessern und Ressourcen zu stärken. Als Pflegekraft profitierst du von smarten Lösungen, die dir Routineaufgaben erleichtern, dich im Alltag entlasten und dir Zeit für das Wesentliche verschaffen.

#1 Dekubitusprophylaxe mit IT-Unterstützung

Allein im Jahr 2017 gab es in deutschen Kliniken 352.000 Dekubitusfälle zweiten bis vierten Grades. Entweder das Druckgeschwür war bereits bei der Aufnahme vorhanden. Oder es entstand im Lauf des Krankenhausaufenthaltes. Das lässt sich durch eine Erfindung problemlos verhindern.

Die AMS 2.0 sieht aus wie eine gewöhnliche Schaumstoffmatratze, aber sie hat einen integrierten Lattenrost und sorgt mit Hilfe von Sensoren für kontinuierliche Bewegung: Active Mobilisation System 2.0 nennt sich die Erfindung der Schweizer Complient Concept AG.

Die AMS-Matratze verhindert bei bettlägerigen Patient:innen die Entstehung von Druckgeschwüren. Bereits vorhandene Dekubitalgeschwüre heilen schnell ab. Das liegt daran, dass die Patient:innen bis zu drei Mal pro Stunde sanft bewegt werden.

Vorteile für Patient:innen

  • Durch die AMS-Matratze verbessert sich die Schlafqualität, denn sie werden nachts nicht mehr durch das Umlagern gestört.
  • Die Bewegungsfreiheit der Patient:innen wird nicht durch Lagerungskissen eingeschränkt.
  • Es gibt keine Konflikte mit dem Personal, wenn Patient:innen das Lagern verweigern.

Das System arbeitet lautlos, sodass die Matratze nicht als störend empfunden wird. Vom Liegegefühl her unterscheidet sie sich nicht von anderen Modellen.

Vorteile für Pflegekräfte

  • Du brauchst Patient:innen nicht mehrfach Tag und Nacht umlagern. Das spart Zeit und Kraft.
  • Dadurch fällt eine erhebliche Rückenbelastung weg.
  • Es erspart Stress und Konflikte, denn einige Patient:innen und Bewohner:innen verweigern das regelmäßige Umlagern.

Die Antidekubitus-Matratze in der Praxis

2019 testete das Pflegepraxiszentrum Freiburg die AMS-Matratze mit 16 Proband:innen. Bei 14 der Teilnehmenden bestand ein Dekubitusrisiko. In dem fünfwöchigen Test bildete sich bei niemandem ein Druckgeschwür.

Testpersonen, die unter Schmerzen litten, empfanden die Bewegung des AMS als wohltuend: Der Druck verschwand von den schmerzenden Körperstellen, ohne dass sie sich aus eigener Kraft umlegen oder gelagert werden mussten.

Insgesamt ein großer Erfolg!

#2 Ressourcen stärken mit Virtual Reality

Alters- oder krankheitsbedingt verlieren pflegebedürftige Menschen ihre motorischen Fähigkeiten. Es ist oft nicht einfach, sie zum Training und damit zum Erhalt ihrer vorhandenen Ressourcen anzuspornen.

VIARRO ist ein Virtual-Reality-Spiel, das von der NeoBird GmbH & Co. KG in Zusammenarbeit mit dem NürnbergStift entstanden ist. Es animiert Senior:innen dazu, sich mehr zu bewegen und so ihre vorhandenen Ressourcen zu stärken.

Es handelt sich bei VIARRO um eine Tandemlösung: Du arbeitest als Pflegekraft mit dem pflegebedürftigen Menschen zusammen und nutzt die Software zur Motivation. Das Spiel ist bunt und fröhlich gestaltet wie ein Jahrmarkt aus den 1960er Jahren. Bei einem virtuellen Besuch erledigt die Spielerin oder der Spieler verschiedene Aufgaben, wobei die Arme und Hände zum Einsatz kommen.

Damit keine Ängste und Hemmschwellen angesichts der neuen Technik aufkommen, bist du als Moderator:in dabei. Du gibst Hinweise, was die Patientin bzw. der Patient machen soll, motivierst und unterstützt. Das Spiel kann im Sitzen – also auch von einem Rollstuhl aus – gespielt werden.

Vorteile für Bewohner:innen

  • Ältere und pflegebedürftige Menschen bekommen Zugang zu moderner Technik.
  • Das spielerische Training macht Pflegebedürftigen Spaß und verschafft ihnen Erfolgserlebnisse. Das motiviert dazu, weiter zu üben und immer besser zu werden.
  • VIARRO bedeutet Abwechslung im Alltag. Das Spielen ist im eigenen Zimmer und sogar im Bett möglich. Es gibt nur eine Voraussetzung: Die pflegebedürftige Person muss in der Lage sein, selbstständig aufrecht zu sitzen.
  • Durch das Virtual-Reality-Spiel ergibt sich Gesprächsstoff mit Kindern und Enkelkindern. Es verbindet die Generationen.

Vorteile für Pflegekräfte

  • Als Pflegekraft erlebst und begleitest du den Einsatz aktueller Technik.
  • Du kannst deine Bewohner:innen gezielt und spielerisch zu mehr Bewegung anregen. Über Tablet oder Smartphone verfolgst du ihre Fortschritte mit.
  • Das VR-Spiel bereichert die soziale Betreuung.

Das Virtual Reality-Spiel VIARRO in der Praxis

VIARRO wurde im NürnbergStift durch das Pflegepraxiszentrum Nürnberg ausgiebig getestet. Die Bewohner:innen zeigten sich überwiegend begeistert und sogar stolz, dass sie mit moderner Technik umgehen konnten.

Als Gruppenaktivität eignet sich das VR-Spiel allerdings weniger. Die Spieleinheiten sind zwar mit rund 15 Minuten überschaubar. Aber das Zuschauen ist für die Wartenden zu uninteressant. Das führt zu Unruhe und beeinträchtigt die spielende Person.

Bei den Proband:innen stellte sich nach einigen Wochen Training ein Gewöhnungseffekt ein. Wichtig sind unterschiedliche Settings, sodass der Spielspaß nicht nachlässt. Inzwischen wurde VIARRO entsprechend erweitert und verbessert.

#3 Stürze mit smartem Fußboden erkennen und verhindern

Laut einer Erhebung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin stürzen 33 Prozent der 65-Jährigen mindestens einmal pro Jahr. Bei den über 90-Jährigen fallen mindestens 50 Prozent einmal jährlich. Rund 30 Prozent der Heimbewohner:innen stürzen sogar mehrfach im Jahr. Besonders gefährdet sind Pflegebedürftige mit Erkrankungen wie Demenz, Hypertonie oder Morbus Parkinson.

SensFloor nennt sich das System, das – ähnlich wie eine Trittschalldämmung – unter dem Fußboden verlegt wird. Als Obermaterial eignen sich Fliesen, Laminat, PVC oder Teppich. Wichtig ist nur, dass der Bodenbelag nicht leitet.

Einmal installiert, ist das Sensorsystem der Future-Shape GmbH vollständig unsichtbar. Es erkennt, ob ein Mensch durch den Raum läuft oder am Boden liegt. Beim Sturz einer pflegebedürftigen Person bekommt das Pflegepersonal eine Nachricht auf den Pager, das Smartphone, Tablet oder auf den Monitor. Das sorgt für Ruhe und Sicherheit auf beiden Seiten.

Möglich ist zusätzlich die Integration des SensFloors in Smart-Home-Anwendungen. Beispielsweise könnte sich das Licht von selbst einschalten, wenn eine pflegebedürftige Person das Bett verlässt, um auf Toilette zu gehen. Das schützt ältere Menschen davor, im Dunkeln zu stolpern und zu stürzen.

Falls eine an Demenz erkrankte Person ziellos im Zimmer herumirrt, erkennt das System das ebenfalls und kann das Pflegepersonal verständigen, bevor ein Unfall passiert.

Vorteile für Bewohner:innen

  • Die Sturzmeldung erfolgt in Echtzeit. Hilfe kommt sofort. Auch Schlaganfälle und Herzinfarkte werden auf diese Weise schnell entdeckt.
  • Durch Koppelung mit Gebäudeautomations-Anwendungen lässt sich das Licht automatisch einschalten.
  • Der smarte Boden vermittelt älteren und pflegebedürftigen Menschen Sicherheit.

Vorteile für das Pflegepersonal

  • Du kannst Bewohner:innen sofort helfen, wenn sie gestürzt sind.
  • An Demenz leidende Menschen kannst du beruhigen und ins Bett zurückführen.
  • Die Technik stört alltägliche Abläufe im Pflegeheim nicht.
  • Durch die Dokumentation erhältst du verlässliche Angaben zu den Aktivitäten deiner Bewohner:innen mit Datum und Uhrzeit.
  • Das System analysiert zusätzlich das Schlafverhalten und den Gesundheitszustand.

Der smarte Fußboden in der Praxis

In Frankreich wird SensFloor bereits seit 2012 in Pflegeheimen eingesetzt.

Die Future-Shape GmbH testete den smarten Boden auch in Deutschland: Unter anderem kommt er in einer deutschen Seniorenresidenz in der Gemeinde Höhenkirchen-Siegertsbrunn zum Einsatz: Zehn Zimmer und Badezimmer wurden mit SensFloor ausgestattet. Im Personalzimmer hängt ein Monitor, der einen Überblick über alle Zimmer gibt. Das Personal und die Pflegebedürftigen zeigen sich begeistert von dem Extra an Sicherheit.

Noch steckt die Digitalisierung im Pflegebereich in den Kinderschuhen. Aber es gibt spannende und hilfreiche Ideen, die dir in naher Zukunft den Pflegealltag deutlich erleichtern können. Smarte Lösungen sorgen dafür, dass du wieder mehr Zeit für deine Patient:innen hast.

Michaela Hövermann

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