Feminismus in der Pflege: Warum auch Männer profitieren

Judith beleuchtet in ihren Artikeln aktuelle Themen und Nachrichten der Pflegebranche. Außerdem informiert sie Pflegekräfte über Karrierechancen, teilt Wissen zum Thema Gesundheit und gibt Tipps für den Pflegealltag.

Judith Marlies Barth


Was haben Harry Styles, Ryan Gosling, Antonio Banderas und Daniel Craig gemeinsam? Sie sind Männer, das ist recht offensichtlich. Aber: Sie bezeichnen sich auch alle als Feministen. Das tun sie aus Solidarität, aber auch, weil Feminismus einige entscheidende Vorteile für Männer bereithält. Wir erklären, welche das sind, wie sich diese gesamtgesellschaftlichen Vorteile auf männliche Pflegekräfte übertragen lassen und warum eine starke Pflege divers sein muss.

Herrschten in den 80er Jahren noch Klischees über Latzhosen tragende, BH verbrennende Männerhasserinnen in den Köpfen vor, ist mittlerweile auch bei der breiten Bevölkerung angekommen, dass Feminismus ein sinnvolles Konzept und keineswegs ein Nischenthema ist. Dass Frauen in Deutschland heute wählen dürfen, einen eigenständigen Beruf ausüben können und Mädchen die gleiche Schulbildung wie Jungen genießen, haben wir der Frauenbewegung zu verdanken. Trotzdem gibt es gegenüber Feminist:innen Vorbehalte. Diese resultieren meist aus Unwissenheit.

Was bedeutet Feminismus eigentlich? Der Versuch einer Definition

Zu definieren, was Feminismus bedeutet, ist gar nicht so einfach, da mittlerweile so viele unterschiedliche Strömungen existieren. Diese Ausprägungen setzen unterschiedliche Schwerpunkte und widersprechen sich teils in fundamentalen Punkten. Ein Beispiel hierfür ist die Kopftuchdebatte. Die muslimische Autorin Kübra Gümüşay trägt Kopftuch. Alice Schwarzer, Journalistin und Herausgeberin der Zeitschrift „Emma“, sieht das Kopftuch als Zeichen der Unterdrückung. Beide bezeichnen sich als Feministinnen. Den Feminismus gibt es also nicht. Vielmehr muss heute von Feminismen gesprochen werden. Die Grundannahme, die alle Strömungen vereint, ist, dass alle Geschlechter gleichwertig sind und deshalb auch die gleichen Rechte haben sollen. Diese Gleichstellung ist bisher noch nicht erreicht. Feminismus und feministische Theorien erforschen die Gründe dafür.


Männer und Frauen in der Pflege bilden einen Kreis


Feminismus in Deutschland: Brauchen wir den noch oder kann er weg?

Oft hört man: „Feminismus haben wir nicht mehr nötig, Frauen in Deutschland können heute alles werden.“ Häufig kommen solche Aussagen sogar von weiblicher Seite. Das wäre zwar schön, stimmt allerdings so nicht. Auf dem Papier ist die Gleichstellung der Geschlechter weitestgehend festgeschrieben, es hapert jedoch an der Umsetzung. Die Diskriminierung von Frauen in Wirtschaft, Politik und dem gesellschaftlichen Miteinander ist nicht verschwunden. Immer noch bekommen Frauen geringere Renten und verdienen im Schnitt weniger. 2021 waren sie nur zu 35 Prozent im Bundestag vertreten. Einem Viertel der in Deutschland lebenden Frauen ist körperliche oder sexualisierte Gewalt durch (Ex-)Partner widerfahren. Jeden Tag gibt es einen polizeilich registrierten Tötungsversuch an einer Frau. Jeden dritten Tag ermordet ein Mann seine (Ex-)Partnerin. Dunkelziffer unbekannt. Auch wenn Deutschland zu den fortschrittlicheren Nationen in puncto Gleichberechtigung gehört: Es gibt noch eine Menge zu tun.

In Ländern, in denen der Rechtspopulismus erstarkt, sind sogar Rückschritte zu beobachten. Polen hat Schwangerschaftsabbrüche fast komplett verboten – ein massiver Eingriff in die reproduktiven Rechte von Frauen. Auch wenn sich die französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen als Verfechterin der Frauenrechte stilisiert, hetzt sie unter dem Deckmantel des Feminismus gegen angeblich rückständige, muslimische geprägte Kulturen. Und auch die AfD in Deutschland will Frauen klein halten. So sehen Vertreter:innen der Partei Frauen in der Pflicht, ihrer „natürlichen Rolle“ nachzukommen und Kinder zu gebären. Diese Beispiele zeigen: Wir dürfen uns nicht auf den Errungenschaften des Feminismus ausruhen, denn diese können ganz schnell wieder rückgängig gemacht werden, wenn wir nicht aufpassen.

Feminismus für Männer: Toxische Männlichkeit kann tödlich sein

Was vielen Männern gar nicht bewusst ist: Auch sie selbst leiden unter dem Patriarchat. Männlichkeitsnormen üben enormen Druck aus. Männer dürfen keine Schwäche zeigen und müssen mehr als die Partnerin verdienen, um die Familie versorgen. Aber bei dieser ganzen „Stärke“ bitte nicht vergessen, einfühlsam zu sein! Auch wenn diese Erwartungen heute nicht mehr so ausgesprochen werden, die alten Rollenbilder halten sich hartnäckig in vielen Köpfen. Das kostet Männer Lebenszeit: So sterben sie im Schnitt fünf Jahre früher als Frauen. Die Ursachen dafür sind vor allem sozialer Natur: Männer spielen Krankheitssymptome häufiger herunter, gehen weniger oft zu Vorsorgeuntersuchungen und suchen auch in psychischen Notlagen seltener professionelle Unterstützung als Frauen. Glaubenssätze wie „Ich muss immer stark sein“, „Ich muss meine Probleme allein lösen“ und die Angst, sich verletzlich zu zeigen, spielen dabei eine große Rolle. Feminismus befreit Männer von diesen einengenden Rollenbildern.

Feminismus in der Pflege und wie er zur Stärkung der Branche beiträgt

Warum ist Gleichberechtigung aber nun für Männer in der Pflege wichtig? Care- beziehungsweise Sorge-Arbeit, sei sie bezahlt oder unbezahlt, ist ein viel diskutiertes feministisches Thema. Immer noch werden pflegerische Tätigkeiten zu wenig wertgeschätzt. Das hängt auch damit zusammen, dass der Sektor weiblich dominiert ist. Gerade in Bezug auf soziale Tätigkeiten und Pflegeberufe kursiert immer noch das Märchen vom „Kümmer-Gen“. Der Glaube, Frauen seien für den Beruf geeigneter und das Pflegen sei ihnen in die Wiege gelegt, hält sich. Hauptsächlich, weil der Beruf mit „typisch weiblichen“ Attributen wie Mitgefühl, Hilfsbereitschaft und Harmonie assoziiert wird. Dass Pflege ein hochprofessioneller und anspruchsvoller Job ist, für den die meisten jahrelange Ausbildungen oder ein Studium absolvieren, geht dabei unter.

Männer, die in der Pflege arbeiten, haben deshalb nicht selten mit Vorurteilen zu kämpfen. Der Beruf gilt bei vielen immer noch als „unmännlich“. Je mehr männliche Pflegekräfte zeigen, dass Männer ebenso wie Frauen empathisch, sanft, fürsorglich und dabei professionell sein können, desto schneller überwinden wir toxische Rollenklischees, die Männer unter Druck setzen. Das ermöglicht freie berufliche Entfaltung.



Auch Männer sollten ihre Chance nutzen, die Pflege besser zu positionieren und Aufmerksamkeit für Missstände zu schaffen. Je mehr Sichtweisen miteinbezogen werden, desto eher kann auf die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen eingegangen werden und desto breiter ist die Branche aufgestellt. Momentan sind Entscheidungspositionen in Gesundheitsberufen hauptsächlich von Männern besetzt. Machen sie aber Platz und räumen Frauen auch in der Chefetage den Raum ein, der ihnen zusteht, bringen sie die Pflege damit voran. Langfristig helfen sie sich damit selbst und profitieren spätestens, wenn sie selbst pflegebedürftig sind.

Aber auch weibliche Pflegekräfte sollten sich der Machtposition bewusst werden, die sie innehaben. Sie stemmen momentan den größten Teil der Pflegearbeit. Ohne sie würde das deutsche Gesundheitssystem zusammenbrechen. Dieser Macht dürfen und sollten sie sich bedienen.


Pflegerin streckt ihren Arm in die Höhe


3 Literatur- und Podcast-Tipps für mehr Sensibilität

Du hast Lust, dich ausführlicher mit dem Thema zu beschäftigen? Dann haben wir zum Schluss noch zwei spannende Podcastempfehlungen und einen Buchtipp für dich.

Podcastempfehlung: Übergabe: „Feminismus & Pflege“

In der 20. Folge des Podcasts „Übergabe – Der Podcast für die Pflege“ sind die Pflegewissenschaftlerin Prof. Dr. Anja K. Peters und die feministische Autorin und Journalistin Barbara Streidl zu Gast. Gemeinsam erläutern sie ihr Verständnis von Feminismus, stellen sich der Frage, ob die Pflege ein Frauenberuf ist und gehen dabei auch auf die historische Hintergründe des Berufsfeldes ein.



Podcastempfehlung: Lila Podcast: „Pflege und Feminismus“

Sophie Weißflog und Shirin Kreße engagieren sich beide in der Arbeitsgruppe Junge Pflege. Die zwei Pflegekräfte erläutern, wie sich patriarchale Strukturen im Beruf äußern. Sie erklären, warum die Pflege Frauen nicht von Natur aus besser liegt und warum die Branche ihre Professionalität stärker betonen muss.



Buchtipp: „Warum Feminismus gut für Männer ist“ von Jens van Tricht

Interessierst du dich vor allem dafür, wie Männer von Feminismus profitieren können, können wir dir das Buch „Warum Feminismus gut für Männer ist“ von Jens van Tricht ans Herz legen. Der Aktivist und Gründer der niederländischen Organisation für Geschlechtergerechtigkeit „Emancipator“ ist der Meinung, dass traditionelle männliche Rollenbilder für viele gesellschaftliche Probleme verantwortlich sind. In seinem Buch erklärt er, warum Männer in einer gleichberechtigten Welt zwar Macht einbüßen, aber auch einiges zu gewinnen haben.



Feminismus ist kein Kampf der Geschlechter, sondern bedeutet gleichberechtigtes Miteinander. Auch Männer profitieren von einem Leben, das nicht von Macht und Unterwerfung geprägt ist. Feminismus in der Pflege heißt, dass Männer sich in der Branche beruflich entfalten können ohne mit Vorurteilen konfrontiert zu werden. Indem sie Frauen zuhören und Platz machen, ermöglichen sie Pflege auf Augenhöhe, Modernität und Vielfalt. Eine starke und zeitgemäße Pflege kann nur divers und geschlechtergerecht sein. Gemeinsam können wir veraltete Geschlechterstereotype über Bord werfen, denn gute Pflege ist vor allem eins: menschlich.

Judith Marlies Barth


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