Der Beruf bestimmt dein Leben? So setzt du als Pflegekraft Grenzen

Wir verraten, wie du selbstbestimmt Grenzen setzt und wie aus einem „Nein“ im Pflegejob ein „Ja“ zu dir wird.

Judith Marlies Barth


Erwischst du dich oft dabei, wie du für Kolleg:innen einspringst, obwohl du alle Hände voll zu tun hast, Aufgaben erledigst, für die du gar nicht zuständig bist und länger arbeitest als vorgesehen? Wir erklären, warum das auf lange Sicht gefährlich ist und wie du selbstbewusst Grenzen setzt.

Kommt dir diese Situation bekannt vor? Du hast dich auf den dringend benötigten freien Tag gefreut, doch plötzlich kommt ein Anruf aus der Klinik: Ein Kollege ist ausgefallen und du wirst gefragt, ob du spontan einspringen kannst. Schon befindest du dich in einem Gewissenskonflikt. Vielleicht schießen dir Fragen durch den Kopf wie: Lasse ich die anderen Pflegekräfte hängen, wenn ich jetzt ablehne? Wird es negative Konsequenzen für mich haben, wenn ich nicht einspringe? Ist es egoistisch, wenn ich sage, dass ich gerade nicht kann? Lasse ich die Patient:innen im Stich?

Kenne nicht nur deine Pflichten, sondern auch deine Rechte als Pflegekraft

In solchen Fällen hilft es, seine Rechte zu kennen, um sich im Zweifel auf sie berufen zu können. Fakt ist: Du bist nicht verpflichtet, in deiner Freizeit erreichbar zu sein. Es gibt keine rechtliche Grundlage, auf die sich die Klinikleitung berufen kann, die besagt, dass du außerhalb deiner Arbeitszeit einspringen oder zusätzliche Aufgaben übernehmen musst. Dein Arbeitgeber besitzt zwar ein sogenanntes Direktionsrecht zu Ort und Zeit deiner Arbeitsleistung. Allerdings ist dieses mit dem Festlegen des Dienstplans bereits verbraucht. Eine kurzfristige Änderung ist dann nicht mehr zulässig – außer sie geschieht in deinem Einvernehmen. Selbiges gilt für den Urlaub. Ist er einmal genehmigt, darf er nur in absoluten Ausnahmefällen wieder zurückgenommen werden.



Schuldgefühle und Gewissensbisse sind schlechte Ratgeber

Trotzdem fällt es vielen Pflegekräften schwer, ein Nein deutlich zu kommunizieren. Schon als Kinder lernen wir, dass ein Ja „besser“ ist. Besonders Frauen werden dazu erzogen, hilfsbereit zu sein, sich anzupassen und dafür zu sorgen, dass alle zufrieden sind. Ein Nein dagegen wird mit Ablehnung assoziiert und ist negativ konnotiert. Was wir dabei oft vergessen: Auch ein Ja kann ziemlich unangenehme Konsequenzen haben – vor allem für uns selbst. Zuerst an sich zu denken und sich zu fragen, was man gerade leisten kann und was nicht, gilt fälschlicherweise als egoistisch. Dabei tust du nicht nur dir selbst, sondern auch deinem Umfeld einen Gefallen, wenn du auf deine Ressourcen achtest. Schließlich ist niemandem geholfen, wenn du dich aus falschem Pflichtgefühl heraus überarbeitest und am Ende ebenfalls ausfällst. Die gute Nachricht ist, dass wir erlerntes Verhalten wieder verlernen können. Dabei hilft es, zu schauen, warum es manchmal so eine Überwindung ist, sich abzugrenzen.

Typische Gründe: Warum es so schwer fällt, Nein zu sagen

Häufig passt Neinsagen nicht zu dem Bild, das wir von uns haben. Vielleicht bist du besonders stolz darauf, als besonders hilfsbereite Pflegekraft zu gelten. Oder du identifizierst dich sehr mit deinem Job, weil es dir Freude macht, dich um andere zu kümmern und ihnen Lebensqualität zu schenken. Vielleicht willst du eine längere Diskussion mit den Vorgesetzten vermeiden und sie nicht vor den Kopf stoßen. Oder du hast Angst vor Nachteilen im Job, wenn du eine Aufgabe nicht übernimmst. All diese Gründe sind nachvollziehbar und teils sogar löblich. Ein Problem entsteht aber dann, wenn du selbst und persönliche Lebensbereiche darunter leiden.

Gefahren: Das passiert, wenn du keine Grenzen im Beruf setzt

Wenn du deine Grenzen nicht kennst und nicht kommunizierst, hat das auf Dauer Konsequenzen:

  • Krankheit: Wer sich kontinuierlich überfordert, betreibt Raubbau an seiner Gesundheit. Permanenter Stress fördert unter anderem Herzerkrankungen, Magenprobleme, Hautausschlag, Depressionen oder Burnout.
  • Frustration: An unrealistischen Erwartungen kann man nur scheitern. Auf lange Sicht kann dir so die Motivation im Job abhanden kommen.
  • Vernachlässigung anderer Lebensbereiche: Je mehr du zusätzlich arbeitest, desto weniger Zeit bleibt für Aktivitäten, die deinen Akku wieder aufladen, z.B. für Familie, Hobbys, Freundschaften oder Zeit für dich selbst.
  • Fehler: Je weniger Energie und Zeit du hast, desto höher ist das Fehlerrisiko. So passieren leichter Missgeschicke oder gar schwerwiegende Pflegefehler, was für zusätzlichen Stress sorgt.


Pflegerin setzt Grenzen im Beruf


Vorteile: Was sich verbessert, wenn du im Pflegejob Grenzen setzt

Entscheidest du dich hingegen, gut auf dich und deine Bedürfnisse zu achten, wird sich vieles in deinem Leben zum Positiven entwickeln:

  • Selbstwert steigt: Wenn du Grenzen kommunizierst, übernimmst du Eigenverantwortung und sorgst für dich. Du lernst, dir zu vertrauen und dein Selbstwertgefühl wächst.
  • mehr Energie: Sobald du bewusst wählst, in welche Aufgaben du deine Energie steckst, wirst du mehr Kapazitäten für andere Lebensbereiche haben. So sorgst du für eine ausgeglichenere Work-Life-Balance.
  • weniger Stress: Wenn du nicht mehr jede zusätzliche Aufgabe annimmst, die an dich herangetragen wird, gewinnst du Zeit und reduzierst Stress.mehr Freude im Pflegejob: Grenzen zu setzen ist ein Weg, die eigenen Arbeitsbedingungen zu verbessern.
  • authentische Arbeitsbeziehungen: Machst du deine Kapazitäten und Erwartungen im Beruf klar, wissen alle, woran sie sind und du vermeidest Missverständnisse.

Mut zum Nein entwickeln: Mit diesen Tipps gelingt es, sich vom Beruf abzugrenzen

Aller Anfang ist schwer. Wenn du noch nicht weißt, wo deine beruflichen Grenzen liegen und wie du sie am besten kommunizierst, haben wir drei hilfreiche Tipps für dich.

Tipp 1: Lerne deine beruflichen Grenzen kennen

Wo wir Grenzen spüren und was wir als Grenzübertritt begreifen, ist von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Überlege dir ganz in Ruhe, was du im Beruf leisten kannst und möchtest. Ist es für dich gerade vertretbar, für die kranke Pflegekraft einzuspringen? Falls ja, ist es möglich, dafür eine andere Aufgabe abzugeben? Was müsstest du opfern, wenn du eine zusätzliche berufliche Anfrage annimmst? Dir darüber klar zu werden, welche Ressourcen du hast und wofür du sie verwenden willst, ist die erste Voraussetzung, um selbstbewusst Grenzen zu setzen.

Tipp 2: Nimm dir Zeit für deine Antwort

Häufig sagen wir automatisch ja, wenn wir unter Zeitdruck gefragt oder mit einer Anfrage überrumpelt werden. Nimm dir kurz Zeit, um die Konsequenzen deiner Antwort abzuwägen und dich bewusst zu entscheiden. Wenn möglich, verschaffe dir einen Moment der Ruhe, indem du sagst: „Ich muss kurz darüber nachdenken.“ Nach und nach wirst du ein immer besseres Gefühl dafür entwickeln, wo du unterstützen kannst und welche Erwartungen von Kolleg:innen und Arbeitgebern unrealistisch sind.

Tipp 3: Kommuniziere klar und deutlich

Rede nicht lange um den heißen Brei herum und verstricke dich nicht in umständlichen Erklärungen, warum du eine bestimmte Aufgabe nicht übernehmen willst. Meist ist es vollkommen ausreichend, wenn du höflich klar machst, dass du gern helfen würdest, du momentan allerdings keine Kapazitäten hast. Das ist auch für deine Kolleg:innen in der Pflege wichtig. Sie können so besser einschätzen, was sie dir übertragen können und was nicht.



Wenn deine Grenzen nicht respektiert werden: Im Notfall Konsequenzen ziehen

Es kann sein, dass dein Umfeld anfangs irritiert davon ist, dass du plötzlich deine Grenzen aufzeigst oder sogar wütend reagiert – besonders, wenn du vorher allzu bereitwillig unliebesame Aufgaben anderer Pflegekräfte übernommen hast. Lass dich davon nicht aus dem Konzept bringen und nimm es nicht persönlich. Deine Mitmenschen werden sich daran gewöhnen müssen, dass du dein Wohlergehen und deine Gesundheit jetzt priorisiert. Das kann anfangs zu unangenehmen Situationen führen, aber langfristig wird es dich glücklicher und selbstbestimmter machen. Sollten deine kommunizierten Grenzen allerdings wiederholt übertreten werden, solltest du Konsequenzen ziehen und das Gespräch mit Kolleg:innen und Vorgesetzten suchen, um gemeinsam eine Lösung zu finden. Sollte auch das nicht möglich sein, denke darüber nach, ob Arbeitgeber und Arbeitsort für dich geeignet sind. Schließlich ist gegenseitiger Respekt essentiell für eine gute und produktive Zusammenarbeit.

Solidarität und gegenseitige Unterstützung im Beruf sind wichtig. Schließlich funktioniert Pflege nur im Team. Ertappst du dich jedoch dabei, wie du für den Job regelmäßig andere Bereiche deines Lebens vernachlässigst, solltest du dringend etwas ändern und deine Grenzen klar machen. Letztlich profitieren sowohl Arbeitgeber, Kolleg:innen und Patient:innen davon, wenn du verantwortungsvoll mit deinen Ressourcen umgehst – am meisten aber du selbst!

Judith Marlies Barth


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