Nadine Kruse im Interview über ihre Arbeit mit einem Therapiehund

Die Tiertherapeutin Nadine Kruse erzählt über den Arbeitsalltag mit ihrem Therapiehund Juno.

Heute, am “Nationalen Tag der Therapietiere”, erzählt uns Tiertherapeutin Nadine Kruse über ihren Arbeitsalltag gemeinsam mit ihrem Therapiehund Juno.

Nadine hat “Soziale Arbeit” studiert und anschließend noch eine dreieinhalbjährige Weiterbildung zur systemischen Therapeutin/Familientherapeutin gemacht. Zusätzlich arbeitet sie seit 2017 zusammen mit ihrem jetzt drei Jahre alten Hund Juno. Den Australian Shepherd Rüde hat sie beim Münsteraner Institut für therapeutische Fortbildung und tiergestützte Therapie (MITTT), einem vom Berufsverband Therapiebegleithunde e.V. anerkannten Institut, als Therapiebegleithund ausgebildet. In unserem Interview erzählt uns Nadine von ihren schönsten Momenten in der tiergestützten Therapie und ihrer eigenen Bindung zu ihrem Hund Juno.

Nadine, wie bist du zu deinem Beruf gekommen?

Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit haben mich schon immer fasziniert. Für mich war früh klar, dass ich mal mit Menschen arbeiten möchte. Wie genau, das wusste ich damals noch nicht. Während meines Studiums der „Sozialen Arbeit“ hatte ich meinen Fokus schnell auf die psychosoziale und systemische Beratung gelegt. Seit dem Abschluss meines Studiums arbeite ich nun im professionellen Kontext mit Menschen. Gleichzeitig habe ich mir auch meinen Traum erfüllt, mein Repertoire - quasi meine Methoden - um die tiergestützte Therapie zu erweitern. Mein Hund Juno ist im April 2017 bei mir eingezogen, begleitet mich seitdem zur Arbeit und ist seit August 2018 vom Berufsverband Therapiebegleithunde e.V. anerkannter Therapiebegleithund.

Welche Menschen kommen zu dir?

Das ist sehr unterschiedlich. Ich berate und begleite Einzelpersonen (Kinder und Jugendliche), (Eltern)-Paare und Familiensysteme. Das Setting, in dem ich arbeite, ist auch nicht immer gleich. Manchmal arbeite ich im Einzelkontakt, manchmal mit kleineren Familiensystemen. Zudem biete ich Gruppenarbeiten an. Eines haben jedoch alle gemeinsam: all meine Klienten befinden sich aktuell in Lebenssituationen, in denen sie Unterstützung benötigen. Oft handelt es sich dabei um Menschen, die traumatische Erlebnisse hinter sich haben, mit denen sie (noch) nicht alleine umgehen können.

Wie kann man sich die tiergestützte Therapie vorstellen?

Das ist ganz unterschiedlich, abhängig von dem jeweiligen Klienten und vor allem von der erarbeiteten Zielsetzung. Ich habe in meinen tiergestützten Einheiten immer feste Rituale. Ich denke, eine Grundstruktur und Rituale zu haben, gibt enorme Sicherheit – sowohl dem Hilfesuchenden als auch meinem Hund.

Was bewirkt die tiergestützte Therapie?

Zum einen gibt es verschiedene Wirkungsebenen: sozial, psychologisch und physiologisch. Für meine Arbeit ist vor allem die psychische Wirkungsebene relevant: Durch den Einsatz wird die Befindlichkeit des Klienten stabilisiert, ein positives Selbstbild und Selbstwertgefühl gefördert, die Selbstwirksamkeit des Klienten gefördert und Selbstsicherheit aufgebaut.Dazu kommt noch, dass die Hunde die Klienten nicht bewerten. Ich arbeite häufig mit traumatisierten Menschen zusammen, denen es oft schwerfällt mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Ein Hund interessiert sich aber nicht für die Geschichte, sondern für die Bedürfnisse des Menschen. Er gibt ihnen ein gutes Gefühl und das ermöglicht mir einen leichteren Einstieg.

Wie würdest du die Beziehung zwischen dir und deinem Hund Juno beschreiben?

Juno ist mein Co-Therapeut. Das bedeutet: Nur wenn die Beziehung zwischen mir und meinem Hund stimmt, kann ich ihn wirklich sinnvoll und professionell einsetzen. Erst dann kommen die sozio-emotionalen Aspekte, die für meine Arbeit wichtig sind, zur Geltung. Ich weiß, dass ich mich zu 100 Prozent auf meinen Hund verlassen kann. Ebenso vermittle ich Juno, dass er sich auf mich verlassen kann. Ich beschütze meinen Hund, sorge dafür, dass er eine Rückzugsmöglichkeit hat, kenne seine Ressourcen und Grenzen.


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In welchen Momenten warst du besonders stolz auf Juno?

Ich bin oft total fasziniert davon, wie feinfühlig und sensibel der Hund auf die Gefühlslage der Klienten reagiert. Spontan fällt mir da Junos erster Einsatz in der „Hundeführerschein“ Gruppe für Kinder ein. Ich war total nervös, weil es die erste Gruppenstunde für Juno war. Ich habe natürlich zunächst mit den Kindern Umgangsregeln erarbeitet und zusätzlich eine Kollegin gebeten, mich in der Gruppe zu unterstützen. Nur für den Fall, dass etwas nicht so klappen sollte, wie ich es mir vorgestellt habe. In solchen Situationen trage ich schließlich nicht nur die Verantwortung für die Kinder und deren Wohlbefinden, sondern auch für meinen Hund. Juno war schon ausgebildet und ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann, aber die Situation in der Gruppe war neu für ihn. Juno kam total souverän in die Gruppe. Er hat sich von den Kindern streicheln lassen, Leckerli vorsichtig genommen, Tricks mit den Kindern gemacht und allen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert – als hätte er nie etwas anderes getan. Da war ich besonders stolz auf ihn. Diese Situation hat mir einfach wieder gezeigt: Auf meinen tierischen Co-Therapeuten ist Verlass.

Was war dein bisher schönstes Erlebnis in deinem Beruf?

Da kann ich gar nicht einen Moment rauspicken. Ich erlebe sehr häufig schöne Momente in meinem beruflichen Alltag. Ich finde es immer wieder sehr schön, zu begleiten, wie Menschen sich aus Krisen arbeiten, wie sie ihre eigene Kraft (wieder-)entdecken, wie sie wieder mehr Lebensfreude entwickeln. Wie sie lernen, gestärkter und mit einem liebevollen Blick auf sich selbst, durchs Leben zu gehen. Die Lebensgeschichten der Menschen sind total unterschiedlich und wenn wir uns dann am Ende eines gemeinsam geschafften Weges verabschieden, bin ich oft dankbar und glücklich. Natürlich ist ein solcher Abschied auch immer ein bisschen traurig.

Gibt es einen Moment, den du nie vergessen wirst?

Ich habe vor Kurzem mit einer Kollegin eine traumatherapeutische Kindergruppe geleitet. Diese Gruppe richtet sich an Kinder im Grundschulalter, die häusliche Gewalt erlebt haben. In einer dieser Gruppenstunden hatte Juno einen „Gastauftritt“. In einer Situation hat er mit einem sechsjährigen Mädchen gearbeitet, die in ihrer Herkunftsfamilie (sie lebt mittlerweile nicht mehr dort) miterleben musste, wie ihr Stiefvater ihre Mutter geschlagen hat. Durch diese Gewalterfahrungen ist sie schwer traumatisiert. In ihrer bisherigen Biografie hat sie oft nicht die nötige emotionale Nähe und Wärme bekommen, die sie gebraucht hätte.

Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass in dem Gehirn ähnliche Hirnströme messbar sind beim „Versorgen“ eines Tieres, wie wenn wir Menschen als Kind selbst versorgt wurden. Ich hatte in der Situation zwischen dem Hund und dem Mädchen das Gefühl, dass das Mädchen sich durch den Kontakt mit dem Hund emotional ein wenig „nachversorgen“ konnte. Das Mädchen schien in dieser Situation ganz bei sich zu sein. Es schien, emotionale Nähe und Wärme zu spüren. Diese Interaktion zu beobachten, zu sehen, wie wertvoll der Einsatz des Hundes auf der emotionalen Ebene ist, hat mich sehr berührt und glücklich gemacht.

Aber ich könnte noch 100 Geschichten erzählen... Allerdings sind es oft die kleinen Gesten der Klienten, die mich berühren. Kleine Gesten, in denen sie etwas zurückgeben und dankbar sind für unsere Arbeit. Ich habe das Gefühl, Juno bekommt mittlerweile mehr selbstgemalte Bilder als ich. Ich habe von einem Mädchen ein Bild bekommen, auf dem zwei Häuser zu sehen waren. Ein Haus für Juno und ein Haus für mich. Und jetzt rate mal, welches Haus größer war? Es freut mich immer wieder zu sehen, wieviel Freude die Klienten an der Arbeit mit dem Tier haben. Sie haben es im Leben oft nicht leicht und so eine kleine Auszeit mit einem Tier ist unglaublich wertvoll.

Möchtest du zum Schluss all den Menschen noch etwas mit auf den Weg geben, die über eine tiergestützte Therapie nachdenken?

Ich erlebe die Arbeit mit einem Tier - beruflich und auch privat - immer wieder als einen enormen Gewinn. Ich kann viel darüber erzählen oder schreiben, auf welchen Ebenen die tiergestützte Arbeit wirkt. Nachvollziehbar ist es erst, wenn man es selbst erlebt. Auch in meinem Leben gibt es natürlich Tage, an denen es mir mal nicht gut geht. Oder es gibt Situationen aus dem beruflichen Kontext, die mir zu schaffen machen. Wenn ich mich in dann mit meinem Hund beschäftige, erlebe ich das als unglaublich heilsam. Kleine Auszeit, Abstand gewinnen. Ja, von den Hunden können wir sehr viel lernen. Oder wie Hildegard von Bingen gesagt hat: „Gib dem Menschen einen Hund und seine Seele wird gesund“.

Nadine Kruses Instagram Profil.

Das Interview führte Vanessa Winkler, Fotocredit: Karin Mans.

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