Selbstbewusstsein im Job: „Nicht nur Manager brauchen Coaching”

Führungskräfte gehen zum Business-Coach, Pflegekräfte nicht. Warum das falsch ist, hat uns eine Expertin erklärt.

Silke Wüstholz arbeitete früher selbst als Fachkrankenschwester für Anästhesie- und Intensivmedizin, heute berät sie als Coach Ärzte und Pflegepersonal, vor allem in Sachen Burn-Out-Prävention. Aus Erfahrung weiß sie, dass Menschen in stressigen Jobs, schnell mal ihre eigenen Bedürfnisse vergessen oder diese nicht klar kommunizieren können, was allerdings zu dauerhafter Unzufriedenheit im Job führen kann. Wie man Selbstbewusstsein lernen kann und warum das nicht nur Führungskräfte in Anspruch nehmen sollten, hat sie uns im Interview erklärt.

Manager oder Führungskräfte gehen zum Business-Coaching, wenn sie sich im Job überfordert fühlen. Warum sollten auch Pflegekräfte, Krankenschwestern oder Ärzte dies in Anspruch nehmen?

Zum Coach sollte man im Sinne einer Burn-Out-Prophylaxe gehen. Man geht ja auch zum Zahnarzt oder zum Gynäkologen, aber die Seele, die genauso wichtig ist, vernachlässigen wir gerne. Wir denken oft, dass es schon irgendwie geht, auch wenn man beruflich gerade nicht weiterweiß. Coaching hat nichts damit zu tun, dass ich ein Schwächling oder Psycho bin, der die Situation nicht im Griff hat. Diesen Zahn würde ich den Leuten gerne ziehen. Es brauchen jedenfalls definitiv nicht nur Manager Coaching.

Was genau kann Coaching an meiner beruflichen Situation verbessern?

Zunächst geht es darum, einen anderen Blick auf die Situation zu bekommen. Oft braucht es einen Impuls von außen. Ein Außenstehender sieht oft besser, was man eigentlich alles kann. Es geht ja beim Coaching nicht darum, in einer Schwäche rumzustochern, sondern um die Stärkung des Selbstbewusstseins. Ein Coach ist auch kein Teil von meinem eigenen System. Heißt, egal, was dabei rauskommt, er oder sie hat nichts davon. Wenn ich an mich denke, dann habe ich bei Problemen oft schon gar keine Lust mehr, mir selbst etwas zu überlegen und frage dann lieber Coaching-Kollegen, ob sie mir einen Denkanstoß geben können.



Und warum können unsere Kollegen aus dem Büro oder dem Pflegebereich den Coach nicht ersetzen? Man jammert ja sowieso gerne mal zusammen in der Kaffeeküche.
Natürlich kann ich mit meinen Kollegen im Team darüber sprechen, aber die haben alle ein ähnliches Problem oder ziehen mich noch mehr runter. Man muss schon sehr viel Glück haben, wenn man in seinem Team jemanden hat, der psychisch sehr reif ist und sagt „Komm, du könntest die Sache auch so sehen”. Ich selbst wäre als junge Krankenschwester früher froh gewesen, wenn ich mehr erfahrene Menschen getroffen hätte, von denen ich hätte lernen können, Dinge auch mal anders zu betrachten.

Coaching ist natürlich eine Frage der finanziellen Mittel. Nicht jeder kann sich das leisten…

Es gibt viele Arbeitgeber, die das Coaching bezahlen, wenn man das möchte, es sich aber nicht leisten kann. Doch viele im Gesundheitswesen wollen sich nicht outen und fragen erst gar nicht danach.



Moment mal, outen? Hat Coaching im Gesundheitswesen so einen schlechten Ruf?

Leider ja. Viele sehen es als Schwäche an, Coaching überhaupt in Anspruch zu nehmen. Andererseits meinen viele, bei Coaching-Seminaren würde nur Kaffee getrunken und Zeit verschwendet. Ich mache oft Burnout-Prävention mit Palliativ-Pflegekräften. Da sitzen dann überwiegend Frauen und sagen mir „Boah, ich habe mich schon lange nicht mehr mit mir selbst beschäftigt und mir schon lange keine Zeit mehr genommen, über mich nachzudenken und was für mich wichtig ist.” Das ist unglaublich. Das sind Leute, die jeden Tag mit dem Tod zu tun haben. Es wird leider oft vergessen, dass man zu dieser Anspannung auch die Entspannung braucht, so wie die Natur Tag und Nacht bracht. Viele haben aber auch einfach Angst. Der berühmte Psychiater C.G. Jung hat mal gesagt „Die Menschen tun alles, nur um ihrer Seele nicht ins Auge blicken zu müssen.” Das stimmt, vielleicht auch, weil beim Coaching immer rauskommt, dass man selber etwas tun muss. Und ich glaube, das möchten viele nicht.

Aber ist es nicht genau das Gute am Coaching, dass ich herausfinde, dass ich selbst etwas ändern kann? Ich selbst kann entscheiden, ob ich mich klein fühle oder nicht.

Genau. Ich habe eine Handlungsoption und das bedeutet Freiheit. Und vor allem habe ich die Hoheit über mich selbst. Ich kann entscheiden, wer mir den Tag versaut. Ich habe früher mit einem Chirurg gearbeitet. Er hat sich morgens schon aufgeregt über die Verwaltung, wie schlimm die Welt und was er für ein armer Mensch sei. Ich hatte auf so einen Arbeitstag keine Lust. Dann habe ich zu ihm gesagt „Jetzt mal Halt. Wir sind den ganzen Tag gemeinsam im OP. Deine Probleme mit der Verwaltung sind nicht schön, die können wir hier jedoch nicht ändern. Und bevor du gekommen bist, hatten wir gute Laune und die möchten wir gerne behalten.” Dann ist er raus, hat sich gewaschen, kam wieder rein und der Tag wurde gut. Wir sind es, die entscheiden können, wie unser Tag wird. Das muss man halt können oder man lernt es eben im Coaching.



Kannst du uns kurz erklären, wie du im Coaching arbeitest?

Mein Coaching ist wie eine Depotpille. Ich provoziere eineinhalb Stunden lang, aber im besten Sinne, und das wirkt dann nach. Ich hatte neulich eine Klientin, sie kam zu mir, weil sie nicht kommunizieren konnte, was ihr wichtig ist. Diese Frau ist eine tiptop Fachkraft und obercoole Krankenschwester, aber lässt sich schnell klein machen. In so einem Fall arbeite ich stark an der Haltung. Ich provoziere dann mit Sätzen wie „Richtig, dass du dich klein machst, du hast ja keine Ahnung. Stell dir mal vor, wenn die anderen merken würden, was du alles draufhast.” Sie lernte durch das Coaching, besser und selbstbewusster zu kommunizieren, weil ihr Selbstwertgefühl wieder da war. Das wirkte sich darüber hinaus auch positiv auf ihr Privatleben aus.

Kann man sich ein gutes Selbstbewusstsein wirklich so einfach antrainieren?

Klar. Es geht darum, dass ich mir meiner bewusst bin und spüre. Wir wollen immer, dass die anderen sagen, wie toll wir sind, auch wenn wir uns selbst doof finden. Und das strahlt man dann auch aus. Auch wenn man das Gefühl hat, man kann nichts, will man aber von den anderen hören, was man für eine tolle Motte ist.

Sollten wir uns also viel öfter sagen „Ich finde mich super”?

Absolut. Unlängst habe ich einen Vortrag gehört, da meinte die Dozentin, dass man sich schon morgens in den Spiegel schauen und zu sich selber sagen sollte „Ich liebe dich”. Ein Mann, der neben mir saß, sagte, er mache das schon seit Jahren. Das hat er auch ausgestrahlt. Wir finden das oft albern, aber ehrlich, warum soll uns jemand anderes toll finden oder uns lieben, wenn wir es selbst nicht tun? Das hat nichts mit Arroganz zu tun, sondern damit, dass ich mich selbst annehme und akzeptiere, wie ich bin. Da kann man sich von so einem arroganten Typen ruhig eine Scheibe abschneiden.

Interview: Julia Wagner

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