Einspringen, obwohl du nicht kannst. Das dritte Wochenende in Folge arbeiten. Du möchtest gerne „Nein“ sagen, fühlst dich aber moralisch dazu verpflichtet,„Ja” zu sagen? Ein klares „Nein“ ist wichtig, wenn du als Pflegekraft langfristig gesund bleiben willst.
Wusstest du, dass der Monat April der Stress-Bewusstseins-Monat ist und in den Sozialen Medien unter #stressawarenessmonth darauf aufmerksam gemacht wird? Gerade in herausfordnernden Zeiten wie jetzt ist es nämlich nicht nur wichtg, anderen zu helfen, sondern dabei auch auf sich selbst und seine Gesundheit zu achten. Wem es selbst gut geht, kann anderen besser helfen. Silke Wüstholz ist Coach für Ärzt:innen und Pflegepersonal und erklärt hier als Gastautorin, wie du lernst, ohne schlechtes Gewissen auch mal „Nein” zu sagen.
Deine Chefin bittet dich, am Donnerstag kurz vor Schichtende, den Wochenenddienst der Kollegin zu übernehmen, da diese krankheitsbedingt ausfällt. Sie erklärt dir, dass du die Einzige bist, die noch in Frage käme. Innerlich bist du hin und her gerissen, da du dieses Wochenende endlich wieder Zeit mit deiner Familie verbringen wolltest, die in den letzten Wochen aufgrund deiner Arbeit deutlich zu kurz gekommen ist. Auf der anderen Seite möchtest du deine Kolleg:innen und Patient:innen nicht im Stich lassen. Und falls du Single bist, trifft ein „Nein“ deinerseits bei der Chefin meistens auf noch weniger Akzeptanz. Doch auch du hast ein Leben außerhalb der Klinik, das wegen der Arbeit häufig kaum noch vorhanden ist. Wieder wirst du gezwungen, dich zwischen deinen Kolleg:innen oder deinem Privatleben zu entscheiden.
Gerade in Zeiten von dauerhafter Personalknappheit hast du es vermutlich so oder ähnlich erlebt. Die Argumente, die dich dazu bewegen sollen, in diesem Fall ein weiteres Wochenende zu arbeiten, klingen meist ähnlich:
Natürlich möchtest du die Kolleg:innen nicht hängen lassen und sicherstellen, dass die Patient:innen optimal versorgt werden. Nichtsdestotrotz darfst du deine Gesundheit nicht außer Acht lassen.
Wenn du kurz innehältst, spürst du sehr deutlich, dass du ein freies Wochenende dringend zur Erholung benötigst. Du merkst, dass du dich abgrenzen musst, um selbst fit zu bleiben. Diese Abgrenzung ist dir allerdings schon immer schwergefallen, vor allem in Situationen, in denen du gezwungen warst, sofort eine Antwort zu geben. In deinem beruflichen Alltag geht es jedoch nicht nur um das „Nein“ zu einem Wochenenddienst. Du musst täglich in wenigen Sekunden Entscheidungen treffen, ob es nun um die Unterstützung deiner Kolleg:innen geht, die Anliegen deiner Patient:innen oder um den Arzt, der dich schon wieder um einen Gefallen bittet.
Welche Situationen kommen dir konkret in den Sinn, in denen du dich über dein „Ja“ im Nachhinein geärgert hast? Wie oft hast du dir bereits vergeblich vorgenommen, beim nächsten Mal auf jeden Fall „Nein“ zu sagen? Wie oft ist dir im Anschluss eingefallen, was du hätten sagen sollen, um deine Bedürfnisse klar zu kommunizieren? Um zukünftig souverän für dich selbst handeln zu können und vorschnelle Antworten zu vermeiden, solltest du dir etwas Zeit nehmen, um dich aktiv mit deiner Situation auseinanderzusetzen. Beantworte dabei folgende Fragen schriftlich:
Die Antworten auf die Fragen helfen dir, dich selbst besser zu verstehen und bereits erste Lösungsansätze zu finden.
Im nächsten Schritt solltest du nun lernen, dein „Nein“ zu trainieren. Natürlich wird das Training anfangs etwas unbequem sein und es ist viel Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen gefragt, um erste Erfolge zu erzielen. Langfristig wird es dir jedoch helfen, ein deutlich ausgeglicheneres und selbstbestimmteres Leben zu führen.
Folgende Überlegungen helfen dir, genau abzuwägen:
Es geht nicht darum, als Pflegekraft von nun an kategorisch „Nein“ zu sagen. Vielmehr geht es darum, mehr auf sich selbst zu achten und aktiv zu analysieren. Vielleicht kannst du dein „Nein“ direkt mit einem Lösungsvorschlag verknüpfen? Zum Beispiel, dass du jetzt im Moment nicht kannst, dafür jedoch später gerne aushilfst.
Wichtig ist, dass du dir jederzeit deiner körperlichen und mentalen Grenzen bewusst bist. Im Alltag als Pflegekraft kann das schnell in Vergessenheit geraten. Ständig die eigenen Grenzen zu missachten, schadet jedoch langfristig sowohl dir, als auch deinen Kolleg:innen und Patient:innen. Lege dir deine eigenen Grenzen fest und schrecke nicht davor zurück, diese klar zu kommunizieren. Erlaube dir, dich wichtig zu nehmen und „Nein“ zu sagen, wenn deine Grenzen überschritten werden. Du alleine hast die Verantwortung für dein Leben und deine Gesundheit. Das gilt beruflich wie privat.
Der Gewinn einer selbstbewussten Kommunikation der eigenen Bedürfnisse ist, dass du respektiert und akzeptiert wirst, anstatt eine halbherzige Harmonie aufrecht zu erhalten. Das kann anfänglich eine große Herausforderung darstellen, jedoch langfristig einen wichtigen Teil zur Steigerung deiner Gesundheit und deines Selbstwertgefühls beitragen.
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