Social Media ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. 79 Minuten verbringt der Durchschnitt der Deutschen täglich in den sozialen Netzwerken. Was wir auf Plattformen wie Instagram oder YouTube konsumieren, beeinflusst unsere Meinungsbildung. Wir erklären, wie sich die Pflege im Netz präsentiert und welche Chancen die sozialen Medien für die Branche bieten.
In der Arbeitswelt spielen Instagram und Co. eine immer größere Rolle. Dass Social Media die öffentliche Wahrnehmung und Debatte prägt, zeigt der Fall Pinky Gloves. Eugen Raimkulow und André Ritterswürden hatten für die Vox-Gründershow „Die Höhle der Löwen“ pinke Einmalhandschuhe entwickelt, mit denen Frauen ihre Tampons oder Binden „hygienisch“ und „diskret“ entsorgen sollten. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Die Pinky Gloves würden den natürlichen Prozess der Menstruation tabuisieren, seien umweltschädlich, sexistisch und überteuert. Der Shitstorm in den sozialen Medien war so groß, dass die Produktion der Handschuhe eingestellt wurde und die Erfinder sich öffentlich entschuldigten.
Social Media kann aber auch für positive Aufmerksamkeit sorgen. Gerade wegen des akuten Personalnotstands ist die Pflegebranche darauf angewiesen, ein positives Image nach außen zu transportieren. Nur wer heute zeitgemäß kommuniziert, kann junge Zielgruppen erreichen. Dazu wurden in der Vergangenheit sogar Pflege-Rapper eingesetzt und Songs wie der „Krankenpfleger-Rap“ des Klinikums Lippe produziert. Der ärztliche Direktor des Deutschen Herzzentrums Berlin führte am Weltherztag ein 30-minütiges Live-Interview mit einem Kunstherzpatienten, das bei Facebook zu sehen war und auch auf Influencer-Marketing wird vermehrt gesetzt. Das hat zum Beispiel das Krankenhaus Bethanien Moers verstanden, das den Influencer „jimboy27_official“ einspannt, der auch schon bei der Aktion „PflegestufeROT!“ mitwirkte.
Zwar stieß Jimboys Appell auch auf Kritik, doch genau das ist das Ziel der Initiative. „PflegestufeROT!“ möchte provozieren, zur Diskussion einladen und die Probleme der Pflege stärker in den Blick der Öffentlichkeit rücken.
Besonders deutlich wurde die Bedeutung von Social Media für die Pflege zu Beginn der Corona-Krise als Pflegekräfte die Bevölkerung dazu aufriefen, im Sinne der Kontaktbeschränkungen zu Hause zu bleiben. Jenifer Damith, Gesundheits- und Krankenpflegerin aus Wien, postete im März 2020 ein Foto bei Facebook, auf dem sie und ein Kollege ein Schild mit der Aufschrift „Wir bleiben für euch da!!! Bleibt ihr bitte für uns daheim!!“ halten. Der Beitrag wurde fast 8.000-mal geteilt und fand unter dem Hashtag #bleibtzuhause zahlreiche Nachahmer:innen. Pflegekräfte berichteten in den sozialen Medien von ihren Erlebnissen auf den überfüllten Intensivstationen und schufen bei den Follower:innen ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.
Wie wichtig das Verhalten einzelner Pflegekräfte im Netz für die Branche ist, zeigen Social-Media-Workshops, die speziell auf Pfleger:innen ausgerichtet sind und unter anderem im Rahmen des Deutschen Pflegetags stattfinden. Die Teilnehmer:innen lernen dort, wie sie sich im Internet bestmöglich präsentieren. Dazu gehören Berufsportale wie LinkedIn und Xing, aber auch Plattformen, die hauptsächlich privat genutzt werden wie Facebook, TikTok, Snapchat und Instagram.
Influencer:innen spielen in der Pflege eine immer größere Rolle. Wusstest du, dass es mittlerweile auch Inkfluencer:innen und Sinnfluencer:innen gibt? Erstere setzen sich für die Inklusion von Menschen mit Behinderung ein. Letztere nutzen ihre Reichweite, um Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit zu schaffen. Als Sinnfluencer:innen könnte man auch die Social-Media-Stars der Pflege bezeichnen, denn sie leisten einen Beitrag dazu, junge Menschen auf drängende Themen wie den Pflegenotstand aufmerksam zu machen.
Die Stars der Szene sind heute vor allem auf der Kurzvideoplattform TikTok aktiv. Da wäre zum Beispiel „schwestervanny“, die mit mehr als 170.000 Abonnent:innen ein echtes Internet-Phänomen ist. In ihren Videos beschäftigt sie sich humorvoll mit Problemen, in denen sich so manche Pflegekraft wiedererkennen dürfte. Fällt es dir manchmal schwer, nein zu sagen, wenn du spontan eine Schicht übernehmen sollst, weil eine Kollegin ausfällt? Dann hat „schwestervanny“ das passende Video für dich. Doch auch ernste Themen wie die Pandemie bleiben nicht außen vor. Die junge Frau hofft, mit ihren Clips Anreize für ihren Beruf zu schaffen: „Mittlerweile ist es ‘Werbung’ für den Beruf der Pflege. Ich hoffe, damit Aufmerksamkeit zu erwecken, damit der Beruf mehr Wertschätzung erhält und sich die Arbeitsbedingungen verbessern”, erklärte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Auch „Kinästhetikschwester jokora82“, die sich selbst in ihrer TikTok-Biografie als “die etwas andere Krankenschwester“ bezeichnet, ist sehr aktiv auf der Plattform. Immer mit dabei: die Liebe zum Beruf. Die wird besonders deutlich, wenn die Dozentin ausgelassen tanzend ein Video mit der Botschaft: „Mein persönliches Highlight in meinem Job? Meine Pflegeschüler:innen unterstützen, unterrichten und begleiten auf ihrem Weg zu Pflegefachkräften“ untertitelt.
Und dann wäre da noch „saskiahep“. Die 41-jährige Heilerziehungspflegerin bricht mit dem Klischee, dass sich auf TikTok nur Teenager tummeln, räumt mit Vorurteilen über die Psychiatrie auf und fängt in kurzen Clips Anekdoten aus ihrem Arbeitsalltag ein. Dabei nimmt sie nicht nur die Patient:innen auf die Schippe, sondern auch ihre Kolleg:innen.
Die Influencer:innen geben der Pflege ein modernes Gesicht. Spielerisch vermitteln sie ihre Begeisterung für den Beruf, aber zeigen auch Baustellen der Pflege auf. Durch die zeitgemäße, authentische Ansprache können sie dazu beitragen, dass junge Menschen eine Ausbildung in der Pflege in Erwägung ziehen. Interne Daten von TikTok belegen: 69 Prozent der Nutzer:innen sind zwischen 16 und 24 Jahren alt. Also genau in dem Alter, in dem viele Menschen eine Lehre beginnen.
Doch auch die Kliniken und Pflegeeinrichtungen selbst sollten heute in den sozialen Medien aktiv sein. Eine gut gepflegte Internetpräsenz ist ein wichtiger Baustein, um das Image der Pflege zu verbessern und junge Menschen anzusprechen. Hier besteht Nachholbedarf, denn bisher gibt es nur wenige Krankenhäuser, die eine eigene Social-Media-Strategie verfolgen. Dies würde jedoch dabei helfen, mit Patient:innen, Angehörigen und potentiellen Mitarbeiter:innen in Kontakt zu bleiben.
Social Media richtig eingesetzt kann dazu beitragen, Pflegethemen in den Fokus zu rücken, Auszubildende für den Beruf zu gewinnen und das Image der Branche aufzuwerten. Dabei können sich Einrichtungen und Kliniken eine Scheibe von den Pflege-Influencer:innen abschneiden, die beweisen: Pflege ist vielfältig und bunt.
Judith Marlies Barth