Der Pflegebonus 2022: Wer hat Anspruch und warum gibt es Kritik?

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Ab dem 18. November wird der Pflegebonus 2022 ausgezahlt. Insgesamt eine Milliarde Euro stellt das Gesundheitsministerium dafür bereit. Doch nicht alle Pflegekräfte bekommen Geld. Wir geben einen Überblick zu den neuen Regelungen und der damit einhergehenden Kritik.

Die besonderen Leistungen von Beschäftigten im Gesundheitswesen möchte die Bundesregierung anerkennen und ihnen erneut einen Pflegebonus auszahlen. Dieses „Dankeschön“ würdigt vor allem den Einsatz der Pflege- und Betreuungskräfte, der maßgeblich zur Bewältigung der Pandemie in Deutschland beiträgt.

Der folgende Artikel bietet dir einen Rückblick, welche Prämien bisher gezahlt wurden sowie einen Überblick zu den Rahmenbedingungen des neuen Pflegebonus: Wer hat Anspruch auf eine Auszahlung und wie hoch ist sie? Außerdem betrachten wir die rechtliche Situation sowie aktuelle Diskussionen bezüglich Kritikpunkten näher.

Was ist der Pflegebonus?

Die tägliche Arbeit von Pflegekräften während der COVID-19-Pandemie stellte und stellt die Pflege vor außergewöhnliche Herausforderungen. Die Behandlung der Patient:innen erhöht das Risiko einer Infektion und brachte viele Pflegende an ihre körperlichen und psychischen Belastungsgrenzen. Diese besondere Situation in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen möchte die Bundesregierung mit dem Pflege- bzw. Corona-Bonus würdigen.

Bereits in den Jahren 2020 und 2021 erhielten Beschäftigte in Kliniken und Pflegeeinrichtungen Bonuszahlungen. Letztes Jahr waren dies insgesamt 450 Millionen Euro. Die Prämienzahlungen gingen unter anderem an 850.000 Beschäftigte in 973 Krankenhäusern. Im Jahr 2020 erhielten 433 Krankenhäuser insgesamt 100 Millionen Euro.

Genaue Zahlen, wie viele Beschäftigte in der Langzeitpflege das Geld erhielten, liegen nicht vor. Dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen zufolge gab es im Jahr 2020 knapp 60.700 Anträge, was allerdings „nur bedingt Rückschlüsse auf die Zahl der damit erfassten Einrichtungen“ zulasse.


Pflegekraft testet Patient auf mögliche Coronavirus-Infektion


Wer hat Anspruch auf den Pflegebonus?

Bei den Kliniken erhalten die Häuser Auszahlungen, die im Jahr 2021 mehr als zehn Corona-Patient:innen behandelten, die mehr als 48 Stunden beatmet wurden. Dies betrifft 837 Krankenhäuser in Deutschland.

Die Krankenhäuser sind dazu verpflichtet, den Bonus an die Pflegefachkräfte weiterzugeben. Hierbei gemeint sind Pflegende, die in unmittelbarer Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen tätig waren. Auch Intensivfachpfleger:innen sind eingeschlossen. Voraussetzung ist, dass die besagten Pfleger:innen im Jahr 2021 mindestens 185 Tage in dem jeweiligen Krankenhaus beschäftigt waren.

Im Bereich der Alten- beziehungsweise Langzeitpflege richtet sich die Auszahlung des Pflegebonus an alle Mitarbeitenden, die innerhalb des Bemessungszeitraums 1. November 2020 bis 30. Juni 2022 mindestens für drei Monate in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung tätig waren.

Nach dem Sozialgesetzbuch (SGB XI) sind die Pflegeeinrichtungen und weitere Arbeitgeber in der Pflege dazu verpflichtet, den Arbeitnehmer:innen den Bonus bis spätestens 31. Dezember 2022 auszuzahlen.

Anspruch auf eine Auszahlung haben neben Pflegefachpersonen:

  • Auszubildende
  • Freiwilligendienstleistende
  • Helfer:innen im freiwilligen sozialen Jahr
  • Leiharbeitnehmer:innen, die in einer Pflegeeinrichtung arbeiten
  • Mitarbeitende von Servicegesellschaften, die in der Alten- bzw. Langzeitpflege tätig sind


Weibliche Krankenschwester Gruß mit Senioren Patienten mit Maske.


Wie hoch ist der Pflegebonus und welche Richtlinien gelten für die Auszahlungen?

Der Pflegebonus ist gestaffelt nach Nähe zur Versorgung sowie Qualifikation und Umfang. Für das Jahr 2022 werden insgesamt eine Milliarde Euro, je 500 Millionen für den Bereich der Krankenhäuser und 500 Millionen für Pflegeeinrichtungen, aus Bundesmitteln zur Verfügung gestellt.

Individuelle Bonuszahlungen in Krankenhäusern:

  • Prämien für Intensivfachpflegekräfte liegen bei bis zu 2.500 Euro.
  • Fachpflegekräfte bekommen bis zu 1.700 Euro.
  • Für alle Pflegefachkräfte und Intensivpflegefachkräfte wird jeweils eine einheitliche Prämienhöhe berechnet. Diese basiert auf der Grundlage der Meldungen der Krankenhäuser durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus.
  • Insgesamt wird damit gerechnet, dass mehr als 204.000 Pflegefachkräfte und mehr als 25.000 Intensivpflegefachkräfte Anspruch auf den Bonus haben.
  • Die individuelle Bonushöhe in den Kliniken ist abhängig von der Gesamtzahl der Bonusberechtigten in den Krankenhäusern.

Auszahlungen in der Altenpflege:

  • In der Altenpflege haben Vollzeitbeschäftigte, die in der direkten Pflege und Betreuung tätig sind, Anspruch auf den höchsten Bonus. Dieser liegt bei bis zu 550 Euro. Dabei richtet sich die Summe auch nach der wöchentlichen Arbeitszeit.
  • Weitere Beschäftigte, die in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung in der Altenpflege tätig sind und mindestens 25 Prozent der Arbeitszeit gemeinsam mit den zu pflegenden Menschen verbringen (tagesstrukturierend, aktivierend, betreuend, pflegend) erhalten bis zu 370 Euro. Die Summe ist gestaffelt nach Nähe zur Versorgung, Qualifikation und Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit.
  • Auszubildende erhalten bis zu 330 Euro.
  • Helfer:innen im Freiwilligendienst oder im Freiwilligen Sozialen Jahr erhalten etwa 60 Euro.
  • Sonstige Beschäftigte erhalten bis zu 190 Euro.

Die Bundesländer und Pflegeeinrichtungen können den Corona-Pflegebonus erhöhen, sodass Pflegekräfte und Co. bis zu 4.500 Euro steuer- und sozialabgabenfrei erhalten können.

Was müssen Pflegekräfte tun, um den Bonus zu erhalten?

Pflegekräfte müssen sich nicht selbst um eine Beantragung des Pflegebonus kümmern. Die Arbeitgeber:innen sind dazu verpflichtet, den jeweiligen Bonus direkt an die Pflegenden auszuzahlen. Es bedarf also keinerlei Antragstellungen oder dergleichen.

Krankenhäuser, die Anspruch auf eine Ausschüttung haben, bekommen die Auszahlungen durch den GKV-Spitzenverband. Die zugelassenen Pflegeeinrichtungen mit Anspruch auf den Pflegebonus erhalten das Geld durch eine entsprechende Vorauszahlung durch die Pflegekassen.

Ich habe schon einen Pflege- bzw. Coronabonus für das Jahr 2020 oder 2021 bekommen. Wird dieser auf den Pflegebonus 2022 angerechnet?

Der Pflegebonus 2022 ist unabhängig von den bereits ausgezahlten Prämien. Auch, wenn du schon einmal Geld bekommen hast, hast du in diesem Jahr wieder Anspruch, sofern du die oben genannten Bedingungen erfüllst.



Kritik am Gesundheitsministerium

Was sich zunächst wertschätzend anhört, sorgt leider auch für Kritik. Theorie und Praxis passen nicht in jeder Einrichtung zusammen. Viele Beschäftigte gehen leer aus und verstehen nicht warum. Die aktuellen Diskussionen drehen sich um Problematiken wie:

  • Warum werden viele Häuser und Beschäftigte trotz extremer Belastung von der Corona-Prämie ausgeschlossen?
  • Kein Bonus für die Notaufnahme trotz gestiegener Belastung
  • Keine Berücksichtigung von Rettungsdiensten
  • Unfrieden aufgrund von Begrenzung für bestimmte Gruppen
  • Eher Abspeisung als Wertschätzung?
  • Bei verzögerter Auszahlung: Sorge, dass der zugesagte Bonus runtergerechnet wird.
  • Fehler- und missbrauchsanfällige Organisation: Unter anderem zu Unrecht eingenommene Prämien, welche nie bei den Pflegenden angekommen sind.

Frust in Notaufnahmen und anderen Pflegebereichen: Viele gehen leer aus

Zahlreiche Krankenhäuser und auch ganze Berufsgruppen erfüllen nicht die Vorgaben des Gesetzestextes und sind somit nicht berechtigt, einen Pflegebonus zu erhalten. So ist zum Beispiel die Notaufnahme hiervon ausgeschlossen.

In der Notfallpflege kümmern sich Pflegefachpersonen täglich um viele Menschen – auch um Corona-Infizierte. Tätigkeiten, die in der Notfallambulanz häufig vorkommen (wie unter anderem Reanimierungen) sind schon ohne Schutzkleidung und FFP2-Masken anstrengend. Die zusätzlichen Anforderungen machen den eh schon harten Arbeitsalltag nicht weniger mühsam. Doch dieser Arbeitsbereich gehört nicht zu den sogenannten „bettenführenden Stationen“ und wird somit nicht berücksichtigt. Trotz Belastung und besonderem Einsatz gehen diese Pflegekräfte leer aus.

Ein schwer nachvollziehbarer Ausschluss, der für Frustration sorgt. Insbesondere, da Corona-Patient:innen oft über Tage hinweg in der Notaufnahme bleiben mussten, da sie nicht auf die vollständig belegten Stationen verlegt werden konnten. Offiziell werden keine Betten geführt, aber inoffiziell wurden viele Infizierte dennoch gepflegt. Als „Schlag ins Gesicht“ beschreiben Pflegende solche Ausgrenzungen.

Auch der Rettungsdienst ergreift in diesem Zusammenhang das Wort und äußert seine Wut über die Situation. Vertreter:innen dieser Berufsgruppe sind von den Auszahlungen ebenfalls ausgeschlossen. Und das obwohl sie in vielen Fällen den ersten Kontakt und somit ein großes Risiko für eine Infektion haben.

Ebenso haben Fachkräfte aus psychiatrischen Kliniken und Einrichtungen der Behindertenhilfe kein Anrecht auf den Bonus. Pflegekräfte aus bestimmten Abteilungen wie Aufwachraum, Anästhesie und Endoskopie werden ebenfalls nicht berücksichtigt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie wochenlang auf anderen Stationen ausgeholfen haben.

Pflegebonus sorgt in vielen Kliniken für schlechte Stimmung

Die Gewerkschaft ver.di äußert sich kritisch. Es müssten alle Arbeitnehmer:innen berücksichtigt werden, die bei der Patientenversorgung eine Rolle spielen. Auch von Seiten des Deutschen Pflegerats erfolgt Kritik zum Pflegebonus. Die Pflegeratspräsidentin Christine Vogler warnt vor dem großen Unfrieden, der innerhalb der Profession provoziert würde. Es sei völlig unmöglich, genau zu bestimmen, welche Gruppen die höchste Belastung hatten.

So manches Krankenhaus sieht sich mit der absurden Situation konfrontiert, genau einen Patienten zu wenig oder zu kurz beatmet zu haben, um anspruchsberechtigt zu sein. So zum Beispiel das Klinikum Starnberg, wie Merkur.de berichtet. Der Geschäftsführer Dr. Thomas Weiler weist darauf hin, dass künstliche Beatmung äußerst belastend ist und daher so kurz wie möglich und nur als letztes Mittel angewendet würde. Die zeitliche Mindestgrenze steht also der medizinischen Entscheidung zum Wohl des Patienten entgegen. Auch seien Patient:innen teilweise an eine Lungenfachklinik überwiesen worden. Wenn solch verantwortungsvoller Umgang mit den Corona-Patient:innen für diese und andere Kliniken zur Konsequenz hat, dass Pflegekräfte leer ausgehen, sendet das ein falsches Signal.


Krankenschwester kommuniziert mit Senior-Patienten, die auf die medizinische Untersuchung seines verletzten Halses in der Klinik wartet.


Wo bleibt der Pflegebonus?

Aber auch viele der Mitarbeiter:innen, denen letztes oder vorletztes Jahr eine Auszahlung zugesagt wurde, haben bisher ihren Bonus nicht erhalten. Schuld daran ist ein Auszahlungsverfahren, das Untersuchungen zufolge bereits für die Corona-Prämie fehlerhaft und anfällig für Missbrauch war.

Der Bundesrechnungshof kam weiterhin zu dem Ergebnis, dass viele Pflegeeinrichtungen die Auszahlung der Bundesmittel gar nicht beantragt haben. Pflegekräfte dieser Einrichtungen haben somit ihr verdientes Geld nie erhalten. Gleichzeitig sind Vorfälle bekannt, in denen Chefs von Pflegeeinrichtungen die Corona-Prämie zu Unrecht für sich selbst in Anspruch genommen haben.

Eine weitere Auswertung ergab, dass 2020 nur knapp 60 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege eine Corona-Prämie erhielten. Mitunter durch Verschulden der Pflegeheime und Pflegefirmen, die das Geld teils nicht beantragten und teils nicht korrekt in fristgerechter Zeit an ihre Mitarbeiter:innen weitergaben.

Für das neue Verfahren hat der Gesetzgeber nun festgelegt, dass die Arbeitgeber bis zum 15. Februar 2023 gegenüber den Auszahlungsstellen erklären müssen, wann und an wie viele Beschäftigte sie die Prämien ausgezahlt haben.

Pflegebonus nicht erhalten? So machst du deinen Rechtsanspruch geltend

Bleibt die Zahlung aus den letzten Jahren aus, hast du die Möglichkeit, deinen Arbeitgeber zu verklagen bzw. deinen Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Für die Überweisung des aktuellen Pflegebonus haben die Einrichtungen Zeit bis zum 31. Dezember 2022. Danach kannst du die Prämie unabhängig davon verlangen, ob dein Arbeitgeber sich rechtzeitig bei der Pflegekasse bzw. dem GKV-Spitzenverband gemeldet hat. In dieser Situation ist es von Vorteil, Mitglied des Berufsverbandes für Pflegeberufe oder einer Gewerkschaft zu sein und sich einen Rechtsbeistand vermitteln zu lassen.

Der Pflegebonus ist laut Gesundheitsministerium eine Anerkennung für besondere Leistungen und Belastungen bei der Behandlung und Pflege von Corona-Infizierten. Doch nicht die Anerkennung prägt die Wahrnehmung der Prämie, sondern die Tatsache, dass viele Pflegende keinen Bonus erhalten haben bzw. erhalten werden. Das führt zu Frust. Aus aktuellen Diskussionen geht daher vermehrt die Meinung hervor, dass Corona-Prämien gut gemeint sind, aber das Ziel verfehlen. Mehr als eine einmalige Auszahlung braucht die Pflege langfristige Lösungen und politische Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Sarah Micucci & Friederike Bloch

Das Portal pflegen-online.de stellt hier die vollständige Liste des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (Inek) mit den betreffenden Krankenhäusern zum Download zur Verfügung.

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