Neuer Expertenstandard zur Mundgesundheit in der Pflege

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Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) hat einen neuen Expertenstandard zur „Erhaltung und Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“ erarbeitet. Dieser wird seit September 2021 in rund 25 Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern und ambulanten Pflegediensten in der Praxis umgesetzt. Was bei der Mundhygiene von Pflegebedürftigen zu beachten ist, erfährst du hier.

Viele kranke, ältere und pflegebedürftige Menschen haben bis ins hohe Lebensalter eigene Zähne. Oder sie verfügen über Implantate und Prothesen. Die Pflege von Zähnen und Zahnersatz stellt hohe Anforderungen an die Mundhygiene. Schaffen Patient:innen oder Bewohner:innen es nicht mehr, sich selbst darum zu kümmern, fällt diese Aufgabe dem Pflegepersonal zu. Allerdings gilt diese Aufgabe wegen der hohen Arbeitsbelastung teilweise als nachrangig und auch der letzte Zahnarztbesuch liegt bei Menschen, die in stationären Einrichtungen leben, oft Jahre zurück. 2017 hatten erst 24 Prozent der Pflegeeinrichtungen einen Kooperationsvertrag mit einer zahnärztlichen Praxis.

Warum eine sorgfältige Mundhygiene für Pflegebedürftige wichtig ist

Eine gute Mundhygiene beugt schweren Krankheiten vor. Dazu gehört die Aspirationspneumonie. Diese bei Pflegebedürftigen häufige Art der Lungenentzündung entsteht durch Fäulnisbakterien, die sich im Rachen ansammeln und mit der Atemluft in die Luftröhre gelangen. Eine koreanische Studie sieht darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen mangelnder Zahnhygiene und Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Mundgesundheit gilt als Voraussetzung dafür, dass Pflegebedürftige ohne Schmerzen essen und trinken sowie lächeln und kommunizieren können. Anders gesagt: Mundgesundheit bedeutet ein Stück Lebensqualität und ermöglicht soziale Teilhabe. Der pflegerische Standard des DNQP definiert nun die Anforderungen an die allgemeine Pflege und Reinigung des Mundbereiches. Dazu zählen neben den Zähnen die Schleimhaut, Zunge und Prothesen.

Expertenstandard Mundgesundheit rät zu Screening und Assessment

Die Expertenarbeitsgruppe rät Pflegefachkräften zu einer zweistufigen Herangehensweise um die Mundgesundheit in der Pflege zu gewährleisten: Zunächst soll ein Screening und bei Bedarf ein vertiefendes Assessment (Beurteilung) erfolgen.

Beim Screening gilt es zwei Kriterien zu prüfen:

  • Gehört die/der Patient:in zu einer Risikogruppe?
  • Gibt es objektiv wahrnehmbaren oder subjektiv geäußerten Bedarf an pflegerischer Unterstützung wie Schmerzen, Schwierigkeiten beim Kauen oder Mundgeruch?

Die Mundhöhle selbst soll dabei nicht angeschaut werden, da dies für viele Menschen eine private Zone darstellt.

Risikofaktoren für die Mundgesundheit Pflegebedürftiger beachten

Zu den wichtigsten Gefahren für die Mundhygiene gehören:

  • Nikotin- beziehungsweise Substanzabhängigkeit
  • die Einnahme von Medikamenten wie Blutgerinnungshemmer, Antidepressiva oder Blutdrucksenker
  • körperliche, neurologische oder kognitive Beeinträchtigungen
  • Erkrankungen wie Diabetes
  • geringe oder keine Nahrungsaufnahme
  • kontinuierliche Sauerstoffzufuhr oder Beatmung
  • Chemotherapie, Strahlentherapie und Immunsuppression

Symptome bei Zahnschmerzen und Problemen im Mundbereich erkennen

Nicht immer sind Probleme mit der Mundhygiene und der Mundgesundheit bei pflegebedürftigen Menschen offensichtlich. Oder sie entwickeln sich erst im Verlauf einer Krankheit oder des Pflegeprozesses.

Diese Symptome deuten auf Schwierigkeiten im Mundbereich hin:

  • Patient:innen oder Bewohner:innen haben Schwierigkeiten beim Kauen.
  • Sie vernachlässigen möglicherweise ihr äußeres Erscheinungsbild.
  • Eventuell klagen pflegebedürftige Menschen über Mundtrockenheit (Xerostomie).
  • Möglicherweise fällt im Gespräch Mundgeruch auf.
  • Oder die Patient:innen und Bewohner:innen knirschen mit den Zähnen (Bruxismus).

Auch wenn jemand selten lacht oder den Mund beim Sprechen hinter der Hand verbirgt, kann das ein Hinweis auf Zahnschmerzen oder Schwierigkeiten bei der Mundgesundheit hindeuten. Bei Verdacht auf Probleme ist ein Assessment erforderlich. Andernfalls reicht ein erneutes Screening, wenn sich im Pflegeprozess Hinweise auf eine Veränderung der Risikofaktoren oder der Mundgesundheit ergeben. Im Assessment geht es um mögliche Ursachen für Probleme im Mundbereich. Dabei werden der pflegebedürftige Mensch und seine Angehörigen zu Schwierigkeiten, Vorlieben und Abneigungen bei der Zahnpflege und bereits vorhandenen zahnärztlichen Befunden befragt.

Welche Maßnahmen zur Zahnpflege empfiehlt der Expertenstandard?

Die wirkungsvollste Art und Weise Zähne, Zunge und Mundhöhle gesund zu halten, ist laut Expertenstandard das Zähneputzen. Mindestens zweimal täglich sollte eine Mundpflege stattfinden. Kauflächen, Außenseiten und Innenseiten sollten mit einer weichen Zahnbürste von Ablagerungen befreit werden. Dreikopfzahnbürsten entfernen Zahnbeläge besonders wirkungsvoll. Prinzipiell können sowohl Handzahnbürsten als auch elektrische Modelle eingesetzt werden, wenn die pflegebedürftigen Menschen daran gewöhnt sind. Andernfalls erleben sie die Vibrationen eventuell als beängstigend. Zur Pflege von Zahnzwischenräumen raten die Expert:innen zur Verwendung von Zwischenraumbürsten und Zahnseide. Auch Zahnputzholz (Miswaks) wird ausdrücklich empfohlen.

Schaumstoff- und Baumwolltupfer

Ist die Verwendung von Zahnbürsten aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, raten die Expert:innen zu Schaumstoff- oder Baumwolltupfern. Auch ein Ausspülen des Mundes mit einer Chlorhexidin-haltigen Lösung kann vorübergehend genutzt werden, um den Biofilm von den Zähnen zu beseitigen. Allerdings ist dies laut Expertenstandard keine Dauerlösung, da es zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen könne. Dazu zählen Zahnverfärbungen und Geschmacksveränderungen.

Unterstützung bei der Pflege von Zahnprothesen

Laut Expertenstandard sollten Zahnprothesen sowohl mechanisch als auch chemisch gereinigt werden. Zu diesem Zweck können diese ein- bis zweimal täglich mit einer Prothesenbürste beziehungsweise Zahnbürste und Zahnpasta oder mit Seife und Wasser von Ablagerungen befreit werden. Nachts sind Zahnprothesen trocken in einer offenen Zahnprothesenschale oder in einem Glas mit Wasser und Reinigungstablette gut aufgehoben. Ein Namensschild an der Schale oder am Glas hilft dabei, Verwechslungen des Zahnersatzes zu vermeiden.

Weitere Reinigungs- und Pflegemöglichkeiten der Mundhöhle

Die folgenden Tipps basieren auf den Empfehlungen des Expertenstandards „Erhaltung und Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“:

  • Mit einem Zungenreiniger Beläge von der Zunge der Patient:innen oder Bewohner:innen entfernen.
  • Die Mundschleimhaut mit einer weichen Zahnbürste oder mit feuchter Gaze reinigen.
  • Wenn schwerkranke, pflegebedürftige Menschen wenig Speichel produzieren, Zahnfleisch, Gaumen und Mundboden zweimal täglich reinigen und Schleimhäute sowie Zunge befeuchten.
  • Kamillentee verbessert Mundgeruch.
  • Sind die Lippen sehr trocken, einen Fettstift, Lippenpflege auf Wasserbasis, Vaseline oder lanolinhaltige Produkte einsetzen.
  • Die Desinfektion von Zahnbürsten und Zahnersatz senkt die Keimzahl und vermeidet Rekontaminationen.

Mundhygiene ist wichtig für Gesundheit und Lebensqualität von Patient:innen und Altenheimbewohner:innen. In der Langzeitpflege wird die Mundpflege als Teil der Körperpflege meistens von Pflegekräften übernommen. Auch in anderen stationären Versorgungssituationen ist es wichtig, die Mundgesundheit im Blick zu behalten. Dabei unterstützt in Zukunft der Expertenstandard.

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