Wenn du Pflegekraft bist, hast du wahrscheinlich auch schonmal im Nachtdienst gearbeitet. Wie sich Nachtschichten auf deinen Körper auswirken, welche Tipps Wissenschaftler:innen Nachtarbeiter:innen geben und was du beim Schichtdienst in der Pflege beachten solltest, liest du hier.
Was haben Glyphosat und Nachtarbeit gemeinsam? Beide gehören zur Gefahrengruppe 2A der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC). Das bedeutet: Sie lösen wahrscheinlich Krebs bei Menschen aus. Diesen Verdacht äußerte die IARC bereits 2007 – nun hat sie ihn bestätigt, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet. Aber Vorsicht: Nicht jeder Mensch reagiert gleich. Wir klären auf.
Mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland arbeiten nachts. Besonders betroffen: Pflegefachkräfte in der Alten- und Krankenpflege. Längst suchen sie vermehrt nach Stellenangeboten ohne Nachtschicht oder Schichtdienst. Das Problem: Eine Krankenschwester findet kaum Jobs ohne Nachtschicht. Denn ohne Nachtarbeit und Schichtdienst geht es in der Pflege nun mal nicht. Oder doch? Alternative Arbeitszeitmodelle für Pflegekräfte existieren schon länger, werden allerdings nur zögerlich genutzt – später mehr dazu.
Gesund Schlafen trotz Schichtarbeit – 8 Tipps für Pflegefachkräfte
Kennst du diese Situationen? Deine Freunde treffen sich auf ein Feierabendbier – und du musst pünktlich auf Station sein. Deine WG kocht gemeinsam – und du musst zur Nachtschicht. Das Bett hat genau die perfekte Wärme – und du musst raus in die Nacht. Unregelmäßige Arbeitszeiten – besonders Nachtarbeit – wirken sich auf deinen Körper und dein Privatleben aus. Drei Fragen tauchen auf:
Wenn du die Fragen eins und zwei in deinem Kopf mit Nein beantwortet hast und das Gefühl hast, aus Schicht- und Nachtdienst ausbrechen zu müssen, lies weiter – es wird spannend!
Wenn du in der Pflege arbeitest, zum Beispiel als Krankenschwester, Altenpfleger:in oder als Pflegedienstleitung, kennst du diese Belastungen gut.
Der Zirkadianrhythmus ist dein 24-stündiger Schlaf-wach-Rhythmus. Alle Menschen auf dieser Welt ticken nach ihm. Du kennst den Zirkadianrhythmus vermutlich besser unter dem Namen „innere Uhr“ – und genau das ist er auch: Er taktet dein Leben und lässt dich wach und leistungsbereit sein – oder müde und faul.
Das Kennzeichen für den Zirkadianrhythmus ist das Hormon Melatonin. Es wird in der Zirbeldrüse deines Gehirns aus Serotonin – dem sogenannten „Glückshormon“ – gebildet. Licht hemmt die Melatoninproduktion, Dunkelheit kurbelt sie an. Nachts ist dein Melatoninspiegel hoch, morgens fällt er in den Keller und klettert, wenn es abends dunkel wird, wieder nach oben. Die Folge: du wirst müde. Melatonin hat einen so sichtbaren Einfluss auf uns Menschen, dass wir ihm sogar einen eigenen Namen gegeben haben: Sandmännchen.
Als sich die Menschen vor 100.000 Jahren entschlossen, ihre Heimat Afrika zu verlassen, um sich die Welt anzusehen, kannten sie nur natürliche Lichtquellen: Sonne, Mond, Sterne und das Feuer. Das Feuer hatten unsere Vorfahren schon 1,5 Millionen Jahre früher entdeckt. Andere Lichtquellen gab es nicht. Niemand arbeitet nachts. Und wenn doch – vielleicht um Nachtwache zu schieben oder Fische zu fangen – wohl kaum jede Nacht. Als am 21. Oktober 1879 die erste Glühbirne erstrahlte und die Welt elektrisch zu leuchten begann, hatten wir uns über Millionen Jahre an einen gleichbleibenden 24-Stunden Rhythmus gewöhnt:
Wird deine innere Uhr gestört, kann es passieren, dass du schlecht schläfst und insgesamt weniger leistungsfähig bist. Gut erforscht ist folgendes Phänomen: Menschen, die meistens nachts arbeiten, schlafen auch nach anstrengenden Nachtdiensten oft nur kurz und schlecht. Der Grund: Ihr Melatoninspiegel ist zu hoch für einen erholsamen Schlaf. Es ist heller Morgen, wenn sie „Gute Nacht“ sagen. Sie klagen über Dauermüdigkeit, wirken schläfrig und zeigen bei Tests eingeschränkte geistige Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Arbeitet eine Krankenschwester die dritte Nachtschicht in Folge, kann der Patient nur hoffen, dass die Krankenschwester zu den wenigen Menschen gehört, die Schicht- und Nachtarbeit gut vertragen.
Nicht alle Auslöser für Krankheiten durch Schichtarbeit und Nachtdienst sind schon erforscht; und jeder Mensch geht mit Nachtarbeit anders um. Was die Forscher aber wissen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebs.
Die amerikanischen Krebsforscher David Blask und Steven Hill untersuchten in einer Studie an der Tulane Universität in New Orleans die Auswirkungen von Licht auf Krebszellen und fanden heraus: Sie wachsen schneller, wenn Krebspatient:innen bei Licht schlafen. Dabei ist es egal, wie viel Licht es ist; Straßenlaternen, der vergessene Fernseher oder Licht aus einem anderen Raum: Zu wenig Melatonin (durch zu viel Licht) motiviert Krebszellen zu wachsen.
„Ein hoher Melatoninwert schläfert Brustkrebszellen ein, weil die Wachstumsmechanismen ausgeschaltet sind“, sagt Blask in der Studie, die am 25. Juli 2014 im Fachblatt Cancer Research veröffentlicht wurde. Die Studie zeigte weiter, dass sich schlafende Krebszellen viel besser mit Krebsmedikamenten wie Tamoxifen behandeln lassen: In einem Versuch teilten Blask und Hill krebskranke Ratten in vier Gruppen auf. Zwei Gruppen schliefen bei völliger Dunkelheit, die anderen beiden mit Dämmerlicht. Je eine Gruppe erhielt ein Krebsmedikament.
Die Studie zeigt: Menschen, die in den Nachtstunden Licht ausgesetzt sind, leben mit gesundheitlichen Risiken. Die Risiken sind allerdings nicht für alle Menschen gleich: Jeder Organismus geht etwas anders mit Lichtbelastung und einer gestörten inneren Uhr um.
Deine innere Uhr ist nicht der einzige Rhythmus der dein Leben beeinflusst. Es gibt noch einen Zweiten: den sozialen Rhythmus – unsere Gesellschaft. Er pulsiert vor allem abends und am Wochenende.
Eine besondere Bedeutung hat der Sonntag. Er gehört der Familie oder dem Partner und wir kümmern uns um unsere Hobbys, den Sportverein oder machen einfach mal nichts. Arbeit während dieser sozial wichtigen Zeit – zum Beispiel als Krankenschwester in mehreren Nachtschichten hintereinander – stört dein soziales Leben und macht die Teilnahme an regelmäßigen Veranstaltungen in Vereinen oder ehrenamtliches Engagement unmöglich. Eine Befragung unter IG Metall Beschäftigten zur Zufriedenheit mit den momentanen Arbeitszeiten brachte dieses Ergebnis:
Überwiegt die Arbeit in deiner Work-Life-Balance über einen längeren Zeitraum und ist keine Besserung in Sicht, kann das negative Folgen für deine Gesundheit haben. Oft läuft dieser Prozess unbemerkt ab, bis es zu spät ist: Freunde planen dich nicht mehr ein, WhatsApp bleibt stumm und deine Sonntage verwandeln sich in einsame Zeitwüsten.
Menschen kompensieren solche Entwicklungen oft mit mehr Arbeit und gleiten so noch schneller in einen Teufelskreis: Stress, Burn-out, ungesundes Verhalten wie erhöhter Alkoholkonsum und schließlich eine ausgewachsene Depression.
Bist du im Gleichgewicht? 7 einfache Tricks für eine bessere Life-Work-Balance
In Deutschland müssen bei Schicht- und Nachtarbeit laut Gesetz arbeitswissenschaftliche Empfehlungen berücksichtigt werden (§ 6 ArbZG). Hier die wichtigsten Gestaltungshinweise für dich:
Die Realität sieht häufig leider anders aus, daher haben viele Pflegekräfte auf die aktuellen Zustände im Gesundheitswesen auch keine Lust mehr. Dass eine Krankenschwester in einer Nachtschicht alleine für bis zu 30 Patient:innen zuständig ist, belastet die Gesundheit der Krankenschwester.
Bereits im Mai 2018 berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ unter dem Titel „Pflegekräfte fliehen in die Leiharbeit“ von verbesserten Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte in flexiblen Arbeitsmodellen. Es ist wahr und klingt trotzdem zynisch: Der Pflegenotstand bringt Pflegefachkräfte auf dem Arbeitsmarkt in eine gute Position. In einer von Ipsos durchgeführten Studie unter Pflegefachkräften und ärztlichem Personal im Auftrag von MEDWING nannten die befragten Pflegefachkräfte Erschöpfung und Überstunden als größte Herausforderung für ihre Work-Life Balance.
Der Pflegesektor bewegt sich. Innovative Arbeitgeber bieten Pflegefachkräften seit rund zwei Jahren flexible Arbeitsmodelle an. Hier sind Wunschdienste möglich, weil viele Nachtschichten von Pflegefachkräften übernommen werden, die Nachtarbeit bevorzugen. Stellenanzeigen ohne Nachtschicht sind heute keine Nadeln im Heuhaufen mehr. Aktuell arbeiten nur 3 Prozent aller Krankenschwestern und 1 Prozent der Altenpflegerinnen und -pfleger in flexiblen Arbeitsmodellen.
Hier findest du mehr Informationen zum flexiblen Arbeiten mit MEDWING
Gleichzeitig würde jede dritte Pflegefachkraft Extraschichten übernehmen, wenn sie gut bezahlt würden. Dieses Ergebnis zeigt deutlich: Die Pflege leidet nicht nur unter Fachkräftemangel; sie ist darüber hinaus auch altmodisch organisiert und wird den Anforderungen moderner Pflegefachkräfte nicht mehr gerecht.
Ein flexibles Arbeitsmodell oder der komplette Jobwechsel sind für dich gesündere Alternativen, wenn:
Erweitere die Liste einfach um deine persönlichen Punkte und du hast eine gute Entscheidungsvorlage für deinen weiteren Weg.
Sebastian Schlack