Die Serie „Ehrenpflegas“ – Idee cool, Umsetzung cringe

Begeistert von der Vielfältigkeit des Pflegeberufs möchte Friederike wissen, was Pflegekräfte bewegt. Dazu tauscht sie sich gern persönlich mit ihnen aus und lässt das Pflegepersonal in Interviews und Reportagen selbst zu Wort kommen.

Über 640.000 Mal wurde die erste Episode „Ehrenpflegas“ in zehn Tagen auf YouTube geklickt. Höchst beeindruckend für ein Video, das nicht von einem YouTube-Star sondern vom Bundesfamilienministerium kommt. Dieses möchte mit der fünfteiligen Miniserie über drei Pflege-Azubis vor allem junge Menschen für den Pflegeberuf begeistern. Von Begeisterung kann allerdings nicht die Rede sein, denn während nur 1300 Zuschauer auf den erhobenen Daumen geklickt haben, haben über 11.000 Menschen den Clip mit "Mag ich nicht" bewertet.

Die Kommentarfunktion ist deaktiviert – wahrscheinlich aus gutem Grund, denn in den sozialen Medien ernten Franziska Giffey und ihr Ministerium für „Ehrenpflegas“ einen wahren Shitstorm.

Petition gegen „Ehrenpflegas“

Auf Instagram posten Pflegende den Schriftzug „Ich bin kein Ehrenpflega“ und auch bei Twitter machen sich viele mit wütenden Kommentaren Luft. Der Fachkrankenpfleger Ludwig Montag fasst treffend zusammen: "#Ehrenpflegas zu attestieren, für Pflege zu werben ist, als würde man Fack ju Göte als Werbefilm für's Lehramt bezeichnen."

Er hat sogar eine Petition ins Leben gerufen, um eine Einstellung der Kampagne zu bewirken. Fast 12.500 Menschen haben bisher unterschrieben.

Das Bundesfamilienministerium hat „Ehrenpflegas“ zusammen mit den Produzenten von Constantin Television im „Fack Ju Göhte“-Stil konzipiert, um „die Jugendlichen in ihrer Lebenswelt“, sprich den sozialen Netzwerken, abzuholen. Diese Lebenswelt scheint nach Ansicht der Macher neben permanenter Handyfixierung vor allem aus Generation Z-Klischees und „coolen“ Slangworten zu bestehen.

Klischees und unbeholfene Informationen

Da gibt es den trotteligen und faulen Boris, der die Ausbildung abbrechen will, sobald er das „Cash“ eingesteckt hat. Er scheint nichts im Kopf zu haben, außer I-Phones und seine Mitschülerin Miray. Über Mirays Ausbildung erfährt man so gut wie nichts. Stattdessen muss die Figur als perfekt integrierte Quotenausländerin herhalten und macht sich in ihrer Sendezeit meistens Gedanken über Boris, der anscheinend auch einen Migrationshintergrund hat. Auch über die dritte Auszubildende erfährt man nicht viel mehr, als dass sie eine Streberin ist und deshalb wahrscheinlich später als alte Jungfer enden wird - immerhin eine, die Bereichsleitung einer Klinik ist.

Zwischendurch werden den Protagonisten mehr oder weniger unbeholfen Informationen zur generalistischen Pflegeausbildung in den Mund gelegt und der Pflegeberuf damit beworben, dass man sich von der Ausbildungsvergütung ein teures Auto leisten kann.

Zwar gibt es auch ein beiläufiges Gespräch über den Tod, ansonsten bestehen die Berufserfahrungen der jungen Protagonisten darin, Senioren zu verkuppeln, dem dementen Heimbewohner auf die Schulter zu klopfen und schlafende Menschen durch die Gegend zu schieben.

Nicht gerade eine realistische Darstellung der Pflegeausbildung, die man ohne Motivation, Disziplin und Lernbereitschaft nicht durchhält, wie die hohe Rate an Ausbildungsabbrechern zeigt. Nur „Menschen helfen“ zu wollen, reicht da eben nicht.

Die Pflegebranche distanziert sich

Deutschlands Pflegekräfte fühlen sich veräppelt, darunter Dustin Struwe, der unter dem Instagram-Account „pflegeheldencommunity“ den wahren „Ehrenpflegern“ ein Gesicht gibt. „Für uns ist das ein Schlag ins Gesicht“, sagt er über die Serie, die für ihn in keinem Fall die Realität abbildet.

„Wir arbeiten in einer unterbezahlten Branche, am Wochenende, in harten Schichten. Wir sind einer psychischen Belastung ausgesetzt, es geht um Tod, um Trauer, um Professionalität gegenüber Angehörigen. Dafür haben wir drei Jahre gelernt.“

700.000 Euro hat die Produktion der Videos gekostet - für Dustin Struwe falsch investiertes Geld, das der Pflege an anderer Stelle mehr genützt hätte.

Das findet auch Ugur Cetinkaya. Der gebürtige Münchener wuchs in der sozial schwächsten Gegend der Stadt auf und arbeitete sich vom Hauptschulabschluss über Praktika und eine Altenpflegeausbildung bis zum Leiter eines Pflegeheims hoch. Nebenbei schreibt er seine Doktorarbeit.

„Da wird mit Klischees gespielt über Menschen aus der unteren sozialen Schicht. Es ist nicht lustig und ich finde es sogar diskriminierend“, sagt er und sieht den Ruf der Pflege gefährdet. „Der Azubi Boris ist in jeder Hinsicht die falsche Persönlichkeit für die Pflege, er wäre mit seinem Job komplett überfordert und seine Arbeitseinstellung können wir nicht gebrauchen. Wir haben Verantwortung für Menschenleben und Boris ist der Letzte, der diese Verantwortung haben sollte.“

Doch nicht nur die Pflegekräfte selbst, auch viele Bundes- und Berufsverbände der Pflege distanzieren sich von den Videos. So schreibt der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe, die Serie „verletzt Selbstverständnis, Ethos und Pflegefachlichkeit der Berufsgruppe. (...) Die klischeehafte Überzeichnung in der Mini Serie „Ehrenpflegas“ spiegelt allenfalls die Vorurteile der Macherinnen und Macher wieder.“

Vorurteile und Klischees und das unter der Schirmherrschaft der ehemaligen Bezirksbürgermeisterin von Neukölln - dem Berliner Stadtteil, der wie kein zweiter mit eben diesen behaftet ist.

Warum Franziska Giffey jetzt ausgerechnet so einen lebensfernen Klaumauk abgenickt hat, kann man nur spekulieren. Auf Nachfrage weist eine Sprecherin des BMFSFJ allerdings darauf hin, dass das Ziel der Clips nicht eine realistische Darstellung des Pflegealltags ist, sondern die junge Zielgruppe „auf unkonventionelle und unterhaltsame Weise anzusprechen“ und sie anzuregen "sich im Idealfall weitere Informationen einzuholen". Trotzdem ärgert es viele Pflegekräfte sicher, dass es bisher noch keine offizielle Stellungnahme des Ministeriums gab.

Wie die Pflege attraktiver werden soll

Dabei war die Idee, die Teil der Ausbildungsoffensive Pflege und der Kampagne „Mach Karriere als Mensch!“ ist, gut. Die Pflege braucht dringend jeden einzelnen Menschen, der sich für eine Ausbildung oder eine Neuorientierung entscheidet und die Politik hat ihre Pflicht erkannt, den Pflegeberuf attraktiver zu machen - durch bessere Löhne und Arbeitsbedingungen und eben auch durch Imagekampagnen.

Dass die nicht immer peinlich sein müssen, zeigt die kleine Reihe „Frühspätnachtdienst“, die sich seit diesem Sommer ebenfalls auf dem YouTube-Kanal des Familienministeriums findet. Sie portraitiert jeweils einen jungen Menschen, der von seinem Arbeitsalltag in der Pflege und seiner Motivation erzählt. Echte Auszubildende und Pflegefachkräfte, deren Augen leuchten, wenn sie davon sprechen, wie sehr sie sich menschlich und beruflich weiterentwickeln und einbringen können, selbst wenn der Job auch schwierige Situationen mit sich bringt.

Leider hat diese Serie kaum Reaktionen hervorgerufen, vielleicht auch ein Beweggrund, mit der neuen Kampagne auf überspitzte Unterhaltung und die Holzhammermethode zu setzen. Über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich das Familienministerium nun tatsächlich nicht beklagen.

**Und ein Gutes hat die Sache: die Pflegekräfte erfahren, wie schon im Zuge der Corona-Krise, Solidarität und sie solidarisieren sich miteinander, indem sie ihren Beruf lautstark und selbstbewusst verteidigen und den Respekt einfordern, den sie verdient haben. Und was kann ehrenhafter sein? **

Friederike Bloch


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