Von heute auf morgen nicht mehr in die Schule, abgesagte Klausuren, verschobene Prüfungen. Verschärfte Hygieneregeln auf der Arbeit, angespannte Kollegen, verunsicherte Patienten. Viele Auszubildende in Gesundheitsberufen standen zu Beginn der Corona-Krise vor der großen Frage: Wie geht es jetzt weiter? Im Internet finden sich Berichte von Azubis, die mit dem Krisenmanagement ihrer Ausbildungsstätten unzufrieden waren und sich allein gelassen und überfordert fühlten.
Hinzu kommt das neue Konzept der generalisierten Pflegeausbildung, das sich erst noch bewähren muss. So mancher angehende Auszubildende fragt sich vielleicht, ob es wirklich eine gute Idee ist, jetzt in den Pflegeberuf einzusteigen. Tatsächlich haben sich durch Corona einige Dinge in der Ausbildung geändert. Wir haben mit Azubis und Ausbildner über die aktuelle Sitaution geredet.
Niemand weiß, wie sich die Corona-Lage in der kühlen Jahreszeit entwickeln wird. Viele Azubis haben Angst vor einer erneuten Ausnahmesituation. Axel Schulz kennt diese Sorgen. Der Gesundheits- und Krankenpfleger ist Praxisanleiter am Helios Klinikum Berlin-Buch und begleitet Pflege-Azubis auf ihrem Weg ins Berufsleben. "Viele kommen aus der Schulzeit und kennen nur Frontalunterricht. Corona hat sie in das Selbststudium hineingeworfen und sie müssen sich viel allein erarbeiten", berichtet der 32-Jährige.
Die Pflegeschulen haben den ausfallenden Präsenzunterricht schnell durch digitale Angebote kompensiert, so auch die Akademie der Gesundheit, an der Helios-Azubis unterrichtet werden. Zwei davon sind Tim Mauersberger und Kathleen Fitzpatrick, die vor knapp drei Jahren ihre Ausbildung zum/r Gesundheits- und KrankenpflegerIn begonnen haben. Zu Beginn der Corona-Pandemie befanden sie sich mitten in der Unterrichtsphase und schon fast in den Prüfungsvorbereitungen.
"Anfangs war es eine ziemliche Umstellung, weil die Technik nicht immer das gemacht hat, was sie sollte", sagt Kathleen. Die Schüler nutzten eine Lernplattform, um ihre Aufgaben zu erhalten und eigene Dateien hochzuladen. "Es war viel, gerade weil wir ja in der Finalphase waren. Aber man hat sich reingefuchst und die Lehrer waren oft mit uns in Kontakt", erzählt die 23-Jährige. "Es war auch ganz nett, mal von zu Hause aus zu lernen", ergänzt Tim.
Auch am acenta. Ausbildungscentrum für Altenpflege und andere soziale Berufe in Berlin Neukölln musste man improvisieren. Markus Hieber, ausgebildeter Altenpfleger und studierter Pflegemanager, lehrt dort seit einem Jahr und erinnert sich: "Der digitale Unterricht war gewöhnungsbedürftig. Wir haben zuerst per Mail Arbeitsaufträge geschickt. Dann haben wir angefangen, mit einer Internetplattform zu arbeiten, das war komfortabler. Ein Lehrer hat zum Beispiel kleine Filme von seinen Vorlesungen hochgeladen. Es gab auch Powerpoint-Präsentationen, die mit der Stimme des Dozenten unterlegt waren."
Auch für die Auszubildenden war die Umstellung nicht einfach, berichtet der 51-Jährige. "Die Schüler fühlten sich verunsichert, weil es ihnen an Feedback und Tuchfühlung fehlte. Sie hatten die Befürchtung, dass sie das Examen nicht schaffen." Deshalb ergänzten die Lehrer den Unterricht durch Videokonferenzen, um wieder besseren Kontakt zu den Schülern herzustellen.
Trotzdem waren die Pflege-Azubis froh, als der Präsenzunterricht im Sommer wieder langsam anlief, zunächst mit geteilten Klassen. Mittlerweile findet der Unterricht an den meisten Pflegeschulen wieder normal statt. Doch erhöhen sich die Infektionszahlen kritisch, müssen sich Azubis, je nach Bestimmungen des Bundeslandes, auf digitalen Unterricht einstellen.
Die Krankenhäuser müssen währenddessen aktuell auf die Einführungstage verzichten. Um die Azubis trotzdem herzlich zu begrüßen, hat sich das Helios Klinikum etwas ausgedacht. "Wir haben für die neuen Bildungsteilnehmer eine digitale Live-Führung auf Instagram und Facebook gemacht", erklärt Axel Schulz. Er bedauert, dass wohl auch in Zukunft viele Fortbildungen ausfallen werden. Auch das Azubi-Café, in dem die Pflegeschüler mit den Praxisanleitern Probleme besprechen können, findet momentan nicht statt. "Die Kommunikation zwischen uns und den Auszubildenden ist ein bisschen schwieriger geworden. Wir haben eine Einzel-Sprechstunde eingerichtet, das ist aber parallel zum Arbeitsalltag wesentlich schwieriger zu organisieren", berichtet Schulz.
Am Helios bemüht man sich, den Praxisteil der Ausbildung so normal wie möglich fortzuführen, auch wenn es einige Umstrukturierungen gab. Eine Station wurde zur Isolierstation für Corona-Patienten umgewandelt. Dort werden die Auszubildenden jedoch allerhöchstens im Ausnahmefall eingesetzt. Die größte Umstellung war das durchgehende Tragen des Mundschutzes. "Mit der Zeit ist es schon unangenehm, wenn man sich die Luft selbst zuatmet, es wird auf jeden Fall schön warm darunter“, erzählt Tim. "Natürlich achten wir noch intensiver auf Hygiene", fügt ihr Praxisanleiter hinzu. "Das war aber auch vorher schon ein wichtiger Punkt in der Ausbildung und im Examen."
Die neuen Hygiene- und Besuchsregeln durchzusetzen, ist nicht immer einfach. "Man stößt manchmal auf Gegenwehr", berichtet Kathleen von ihren Erfahrungen. "Viele Patienten und Angehörige sehen es nicht ein, dass die Besuchszeit eingehalten werden muss. Wir können es ja nachvollziehen, aber trotzdem muss man sich dran halten."
Auch für die acenta.-Schüler läuft die praktische Ausbildung relativ normal ab - die größte Herausforderung für sie sind die praktischen Prüfungen. Während sie sich bei den schriftlichen Prüfungen nur auf die bekannten Abstands- und Hygieneregeln einstellen müssen, ist der praktische Teil momentan ganz anders.
Die Prüfungen finden nicht im Altenheim, sondern im sogenannten Pflegekabinett der Pflegeschule statt und die Schüler arbeiten mit Pflegepuppen statt mit echten Menschen. Die Puppen gleichen Pflegeempfängern unterschiedlichen Alters und sind zum Beispiel mit Trachealkanülen oder Gebissprothesen ausgestattet. Die Prüflinge kennen die Puppen zwar schon aus praktischen Übungen, doch nun müssen sie plötzlich so tun, als hätten sie einen echten Menschen vor sich, der spricht und reagiert.
"Zuerst haben die Schüler die Rolle der Puppe mit übernommen. Dann hat uns eine Prüferin des Senat aber vorgeschlagen, dass wir, die Prüfer, die Rolle des Pflegeempfängers sprechen", erzählt Markus Hieber. Am Tag vorher erstellen die Schüler die Pflegeplanung und Beschäftigungsangebote, bezogen auf einen echten Pflegeempfänger, den sie schon aus dem Altenheim kennen. Dieser wird, wie bei einer normalen Prüfung, von den dortigen Praxisanleitern vorgeschlagen und von den Prüfern ausgewählt. Markus Hieber weiß anhand der Informationen des Altersheims also, welche Krankheiten und Handicaps an der Puppe versorgt werden müssen. Dementsprechend kann er sich verhalten und die Schüler fachlich und kommunikativ herausfordern.
Im Oktober startet der neue Jahrgang an der Schule, einige Plätze für die nun umstrukturierte generalistische Pflegeausbildung sind noch frei. Markus Hieber kann zwar nicht einschätzen, wie die nächsten Prüfungen im Frühjahr ablaufen, würde es aber begrüßen, wenn sie wieder an echten Menschen stattfänden. Zwar hat die Vereinheitlichung der Bedingungen seiner Meinung nach den Vorteil, dass die Prüfungen fairer, weil vergleichbarer, ablaufen. Aber: "Es geht eben nicht nur um die richtigen Handgriffe, sondern auch um die emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Sozialkompetenz kann man mit einer Puppe nicht richtig unter Beweis stellen, es fehlen die authentische Interaktion und die Herausforderungen des Arbeitsalltags."
Die Helios-Azubis Tim und Kathleen haben ihr Ziel trotz der erschwerten Bedingungen nicht aus den Augen verloren und haben ihr Examen schon hinter sich. Für die schriftlichen Prüfungen haben sie zum ersten Mal seit März wieder ihr Schulhaus betreten. Da logischerweise auch sonst Abstand zueinander gewahrt wird, war der einzige Unterschied der Mundschutz, den die Schüler erst am Platz abnehmen durften.
Die praktische Prüfung wurde wie geplant am Helios abgehalten. "Wir haben ganz normal an einer Patientengruppe unsere Prüfungen durchgeführt. Es wurde auf den Abstand geachtet und wir mussten natürlich die Maske tragen. Normalerweise sind zwei Prüfer dabei, nur wenn es im Raum zu eng wurde, ist ein Prüfer rausgegangen", erklärt Tim.
Die beiden sind zuversichtlich, dass sie mit guten Ergebnissen abschließen. Wie es weitergeht, wissen sie auch schon. Am ersten Oktober, wenn für den nächsten Jahrgang die Ausbildung beginnt, starten Kathleen und Tim als Krankenpfleger am Helios Klinikum. Der Arbeitsvertrag ist schon unterschrieben.
Friederike Bloch