Vor rund zwei Jahren hat Wolfgang Ansel seinen bisherigen Job an den Nagel gehängt. Der Diplom-Wirtschaftsbiologe folgte seinem Ruf in die Altenpflege. Mit seinen 54 Jahren ist er jetzt Auszubildender im Haus Guldenhof am Pflegezentrum Ditzingen – und sehr glücklich über diesen Schritt. Ein Porträt eines ungewöhnlichen Karriereschrittes – und was Wolfgang anderen Interessierten bei einem späten Berufswechsel rät.
Wenn man Wolfgang Ansel beim Reden zuhört, merkt man sofort, dass der Mann vor rund zwei Jahren die richtige Entscheidung getroffen hat. Der heute 54-Jährige steckt derzeit mitten in seiner Ausbildung zur Altenpflegefachkraft. Unter den zwölf Auszubildenden seiner Pflegeeinrichtung dürfte er damit aktuell der älteste seiner Art sein. Wo vorher Laptop, Telefon und Termindruck seinen Arbeitsalltag bestimmten, verrichtet der diplomierte Wirtschaftsbiologe heute wertvolle Arbeit am Menschen. Der späte Einstieg in die Pflege ist für Ansel eine der besten Entscheidungen.
„Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass mir etwas im Beruf fehlt“, erzählt der gebürtige Stuttgarter. Dabei verfolgte er viele Jahre konsequent seinen ersten Weg: Zunächst Studium der Biologie, anschließend ein weiterer Aufbaustudiengang in Wirtschaftswissenschaften. Als Diplom-Wirtschaftsbiologe landete Ansel zunächst an der Universität in der Forschung im Bereich Luftverschmutzung bevor er für zwei Verbände im In- und Ausland Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Dachbegrünung betrieb.
Der Job war interessant und vielseitig, betont Ansel, doch Termindruck, eine 50-Stunden-Woche, wenig Erholungsphasen und das Gefühl, die mühevolle Arbeit – etwa die Ausrichtung von Events - verpuffe schon nach kurzer Zeit, stimmten ihn nachdenklich: „Ich habe gemerkt, da geht irgendwas verschütt. Ich habe mich dann an meinen Zivildienst vor 34 Jahren zurückerinnert, den ich in einem Pflegeheim für Schwerkörperbehinderte gemacht habe. Die Zeit dort hatte mich sehr bereichert und mir ein gutes Gefühl gegeben.“
Ein entscheidender Impuls für Ansel, der sich schließlich um einen Schnuppertag im Haus Guldenhof am Pflegezentrum Ditzingen bewarb. Gesagt, getan. Schon kurze Zeit später half Ansel auch schon regelmäßig am Wochenende auf Minijob-Basis aus und reduzierte hierfür im Gegenzug seinen Hauptjob. „Ich dachte am Anfang, die Zeit in der Pflege wäre ein ganz guter Ausgleich zu meiner bisherigen Arbeit. Doch dann wurde der Wunsch immer größer, komplett umzusatteln.“ Die Investition in eine neue Ausbildung schien ihm lohnenswert. „Schließlich ist es noch eine lange Zeit bis zur Rente“, erzählt er lachend.
Noch steckt Ansel mitten in seiner Ausbildung mit dem Ziel, in rund einem Jahr als Fachkraft in der Altenpflege zu arbeiten. „Ich bin unheimlich froh, dass mir die Einrichtung die Chance gegeben hat, dort einzusteigen. Von einer Hospitation über eine geringfügige Beschäftigung zur Ausbildung – da war immer ein großes Vertrauen seitens der Ausbildungsstätte da.“
Schon jetzt hat sich sein Tagesablauf positiv verändert, wie er findet: „Die Trennung von Beruf und Privatleben ist viel klarer strukturiert als vorher. Im Vergleich zu meinem alten Beruf kann ich nach der Arbeit viel besser abschalten und habe dadurch viel mehr Freizeit. Klar, arbeite ich nun auch im Früh- und Spätdienst und hin und wieder auch am Wochenende, aber meine Einsatzzeiten kann ich jetzt viel besser kalkulieren.“
Einen großen Vorteil sieht Ansel vor allem auch in den Perspektiven: „Wenn ich mit über 50 nochmal einen neuen Weg einschlage, ist es immer fraglich, ob ich dann auch ein Unternehmen finde, das mich einstellt. In der Pflege sieht das anders aus. Hier ist der Bedarf hoch und ich habe im Vergleich viel mehr Auswahlmöglichkeiten – trotz meines Alters“.
Auf die Frage, was ihn an der Pflege besonders reizt, antwortet er: „Der direkte Kontakt mit den Menschen ist sehr erfüllend. Hier wird einem nichts vorgemacht, keine Künstlichkeit aufgebaut. In der Pflege kann man direkt und unmittelbar helfen, für mich ist das eine sehr befriedigende Aufgabe.“ Die Basis für die Arbeit in der Pflege sieht Ansel vor allem im Interesse am Menschen: „Man muss interessiert bleiben, denn hier lernt man unheimlich viel über Menschen und auch sich selbst. Zum Beispiel, wie Ältere mit Krankheiten oder Tod umgehen.“
Die meisten Bewohner seien um die 80, für viele könnte Ansel vom Alter her der Sohn sein. Oft entstehen zwischen dem angehenden Pfleger und den Bewohnern vertrauensvolle Kontaktmomente, vor allem dann, wenn man ähnliche Erinnerungen hat und sich gegenseitig erzählen kann, was man im Leben erlebt hat.
Wo Beziehungen entstehen, sind nicht selten auch Verluste zu Gast. Vor allem in der Altenpflege muss man lernen, damit umzugehen. „Im Heim ist es ganz normal, dass jedes Jahr Bewohner versterben. Der Abschied ist bei jeder Person anders. Das hängt auch davon ab, wie intensiv die Beziehung zum jeweiligen Bewohner war, wie der Tod zu ihm gekommen ist, ob jemand einen langen Leidensweg hatte und der Abschied eine Erlösung war oder ob er gar überraschend kam. Die Ausbildung hilft einem da schon sehr, eigene Schutzmechanismen zu entwickeln, um mit solchen Themen besser umzugehen.“
All jenen, die den Schritt in die Pflege in Erwägung ziehen, rät Ansel eine vorherige Hospitation. „Da ich vorher schon nebenberuflich in der Pflege tätig war, war für mich der Schritt in den Beruf ein kalkulierbares Risiko. Doch wer gänzlich neu in die Pflege eintreten will, bekommt in einer Hospitation schon mal einen guten Vorgeschmack auf den Berufsalltag und kann schauen, ob er damit zurecht kommt.“
Die Erfahrungen aus dem vorherigen Beruf seien nach Ansel dabei nicht zu unterschätzen. Oft bringe man schon wichtige Kompetenzen mit, die einem als zukünftige Pflegefachkraft von Nutzen sind. Bei ihm war das beispielsweise aus seiner PR-Tätigkeit der Bereich Kommunikation und der Umgang mit unterschiedlichen Menschen. Ein Stück Lebenserfahrung eben. Denn die hat man bei einem Neuanfang bekanntlich immer mit im Gepäck.
Sabrina Lieb