Am Nachmittag des 23. März machte Krankenschwester Nina Böhmer ihrer Wut über die Corona-Situation Luft auf Facebook. Hier schrieb sie „Fassen wir mal zusammen: Erst sollen wir einen Mundschutz und Schutzkittel für mehrere Patienten benutzen. Wir sollen weiterarbeiten, wenn wir Kontakt zu einem Covid-19-Patienten hatten.Dann werden Personaluntergrenzen ausgesetzt, für die lange gekämpft wurde. Das heißt, scheißegal, es könnte eine Pflegekraft 50 Patienten betreuen...” und endete mit „...Und euer Klatschen könnt ihr euch sonst wohin stecken, ehrlich gesagt ... Tut mir leid, es so zu sagen, aber wenn ihr helfen wollt oder zeigen wollt, wie viel wir wert sind, dann helft uns, für bessere Bedingungen zu kämpfen.”
Dann ging es Schlag auf Schlag. Der Post erreichte eine ungeahnte Reichweite und die Medien wurde auf Nina Böhmer aufmerksam. Im Juli wurde aus diesem Post sogar ein ganzes Buch mit dem Titel „Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken”, welches die Themen Pflegenotstand, Materialmangel und Zeitnot behandelt. Wir wollten von Nina Böhmer im Interview wissen, was seitdem alles passiert ist…
Hättest du dir jemals gedacht, dass aus deinem wütenden Facebook-Post im März ein Buch und sogar „Spiegel-Bestseller” werden kann?
Nein, das hätte ich tatsächlich niemals gedacht, sondern eher, dass nach dem Medieninteresse daran alles wieder abflacht und vergessen wird. Dass das Buch ein Bestseller wird, hätte ich nie vermutet, weil ich ja nicht groß bekannt war.
Warum hast du es vorgezogen, ein Buch zu schreiben und nicht deine Botschaft im Fernsehen zu verbreiten?
Ich hatte ja keine Erfahrung mit Medien und wurde ein bisschen überrumpelt mit Anfragen für Fernseh-Interviews. In dem Buch konnte ich alles sagen, was ich sagen wollte und in einem Fernsehinterview hätte ich womöglich nur fünf Minuten Zeit gehabt und hätte mich vielleicht nicht so ausdrücken können, wie ich es gerne gewollt hätte.
Welcher Kommentar zu deinem Post hat dich am meisten bewegt und warum?
Ich war überrascht, dass mir sogar LKW Fahrer geschrieben und sich bedankt haben für die Arbeit, die wir machen und auch Hilfe angeboten haben. Das fand ich sehr schön. Da die Kommentarfunktion für die Öffentlichkeit ausgeschaltet war, haben mich Leute privat angeschrieben, mein Messenger ist explodiert, das waren sicher hunderte Nachrichten, überwiegend positive. Leute haben mir gedankt, dass das endlich mal jemand ausspricht. Es gab auch drei oder vier richtig unter der Gürtellinie. Ich hätte mir das doch selbst ausgesucht und würde es nicht verdienen, so eine Aufmerksamkeit zu bekommen. Es ist schon verwunderlich, dass man fremde Menschen anschreibt, um sie so zu beleidigen.
Was war das für ein Tag, an dem dir der Kragen geplatzt ist?
An jenem Tag hatte ich vorher schon viel gearbeitet, Leute sind krank geworden und ich wurde angefragt, ob ich einspringen kann. Dann war auch meine Flugreise in Gefahr, weil mein Freund damals noch in England gelebt hat. Außerdem hatte ich Artikel gelesen, wie toll die Politik die Krise managen würde, aber auf der anderen Seite hatten wir keine Masken, weil man es verschlafen hatte, rechtzeitig Masken zu bestellen. Dann kam der Lockdown, und dann wurde uns auch noch gesagt, dass wir Pflegekräfte nicht 14 Tage in Quarantäne müssen, wenn wir mit einem Covid-19-Patienten Kontakt hatten. Das hat mich extrem sauer gemacht. Wir mussten trotzdem arbeiten gehen und dann wurde auch noch geklatscht. Bis zu diesem Tag hatte ich auf Social Media noch nie über die Pflege gesprochen, mich sonst nur in der Arbeit aufgeregt.
Hast du das Gefühl, dass sich seit deinem Wutposting irgendetwas an der Situation in der Pflege verbessert hat?
Eigentlich nicht. Es gibt jetzt bessere Abläufe, wenn ein Corona-Patient ins Krankenhaus kommt, dann wird er gesondert behandelt und abgeschirmt. Aber sonst hat sich gar nichts geändert, weder vom Personal her, noch von der Motivation, noch vom Material. Es wird noch immer überall eingespart und es herrscht noch immer Maskenmangel, was ich nicht verstehe, weil gesagt wurde, dass viele Masken zur Verfügung stehen würden und sogar welche verschenkt wurden. Pro Person soll weiterhin eine Einwegmaske pro Tag verwendet werden. Ich musste mich auch schon in Listen dafür eintragen.
Du hast das Klatschen der Öffentlichkeit für die Pflegehelfer kritisiert. Was könnte jeder Einzelne stattdessen machen, um für bessere Bedingungen in der Pflege zu kämpfen?
Man kann Petitionen unterschreiben oder an Demonstrationen teilnehmen. Es müssen ja nicht nur Pflegekräfte demonstrieren. Als in Berlin die Veranstaltungsbranche demonstriert hat, waren ja auch nicht nur Leute aus der Branche da, sondern auch andere. Es wäre schön, wenn man sich da gegenseitig unterstützt. Ansonsten kann man natürlich Parteien wählen, die den Fokus auf das Soziale setzen.
**Magst du das Wort systemrelevant? **
Es ist ein großes Wort, weil wenn man relevant für das System ist, dann ist das etwas Schönes. Dann müsste man aber auch so behandelt werden, ansonsten ist es einfach nur ein Wort, das benutzt wurde, aber keine große Auswirkung auf uns hat.
Was hältst du von dem Corona-Bonus, der nun auch auch Klinik-Pflegekräften ausbezahlt werden soll? Empfindest du das als Wertschätzung?
Ich war von Anfang an nicht für den Corona-Bonus, weil ich das Gefühl hatte, das ist etwas, was man einfach jetzt schnell mal machen muss. Und dann sind wir Pflegekräfte ruhig. Ich hätte mir etwas Langfristiges gewünscht. Auch wenn er ein Schritt in die richtige Richtung ist. Doch jetzt wird gefeilscht, wann er überhaupt ausbezahlt wird. Leute, die in der Krise in der Kurzarbeit waren, sollen ihn nur anteilsmäßig ausbezahlt bekommen. Das finde ich ganz schön traurig und auch ein bisschen peinlich. Man hat ja die Jahre zuvor auch die ganze Zeit geschuftet und an der Belastungsgrenze gearbeitet.
Warum ist Krankenschwester, auch nach deinem Posting und dem Buch, noch immer dein Traumjob?
Ich habe mich schon als kleines Kind für Medizin interessiert und wollte Ärztin werden, hatte aber kein Abitur. Meine Lieblingsserie war „Grey’s Anatomy” und ich wollte unbedingt im Krankenhaus arbeiten. Ohne Abitur wurde mir der Weg bis zur Krankenschwester aber erschwert. Ich habe erst eine Ausbildung zur Sozialassistentin begonnen und musste Praktika absolvieren. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mich entschieden habe, die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin zu machen. Dafür musste ich zunächst eine Ausbildung zur Pflegehelferin machen. Ich habe also wirklich darum gekämpft, diesen Beruf zu erlernen. Es ist aber auch ein super schöner Beruf, man hat Kontakt mit den Menschen, hilft ihnen und eignet sich viel Fachwissen an. Das Problem sind nur die Bedingungen. Ich versuche aber immer, mir da das Positive herauszuziehen. Und man hofft trotzdem immer noch, dass sich was verändert.
Interview: Julia Wagner