Abbruch der Pflegeausbildung: Jede:r Dritte schmeißt die Lehre

Wieso die Abbrecherquote in der Pflegeausbildung so hoch ist und was man verbessern kann, liest du hier.

Judith Marlies Barth


Die Abbrecherquote bei Pflegeausbildungen ist überdurchschnittlich hoch. Von bis zu 30 Prozent gehen Expert:innen aus. Doch um den Pflegenotstand zu bekämpfen, braucht es dringend Nachwuchs. Wieso entscheiden sich viele gegen das Examen und wie kann man Auszubildende in der Pflege halten? Das verraten wir dir in unserem Artikel.

In kaum einem anderen Berufszweig werden Ausbildungen so häufig abgebrochen wie in der Pflegebranche. Schätzungsweise jede:r Dritte verlässt die Lehre ohne Abschluss. Das liegt meist nicht an der Bezahlung, denn die ist für Ausbildungsverhältnisse sogar relativ hoch. Die Ursachen sind vielmehr in den Arbeitsbedingungen zu suchen.

Tiefe Kluft zwischen Theorie und Realität – Pflege-Auszubildende erleiden „Praxisschock“

Einer der häufigsten Gründe für den Abbruch der Pflegeausbildung ist Überforderung. Zu oft werden die Auszubildenden auf Station wie examinierte Pflegekräfte behandelt. „Nach zehn Wochen gehen die Leute in die medizinischen Bereiche und werden dort als Fachkräfte betrachtet“, äußerte sich Jens Reinwardt, Geschäftsführer der Akademie der Gesundheit Berlin/Brandenburg, gegenüber dem RBB. Das sei zu früh und sorge für Verunsicherung.

Viele der im Theorieunterricht erlernten Inhalte sind im realen Berufsalltag zudem gar nicht umsetzbar. So erleben Pflege-Azubis einen regelrechten Praxisschock bei ihrem ersten Einsatz. „In der Schule wird uns beigebracht, wie wichtig es ist, mit den Patienten zu kommunizieren und ihre Ressourcen zu fördern, aber auf der Station ist es ist wie am Fließband“, erzählt Jörg L., der selbst die Pflegeausbildung abgebrochen hat, der Gewerkschaft Verdi. Einweisungen durch bereits examinierte Pflegekräfte sind häufig zu kurz, Zeit zum Wiederholen oder Nachfragen bleibt keine. Das sorgt selbst bei den motiviertesten Auszubildenden für Frust.



Home Schooling statt reger Austausch: Corona-Pandemie erschwert das Lernen

COVID-19 hat die Situation zusätzlich verschärft. Die Bundespflegekammer (BPK) schlug bereits im Januar 2021 Alarm. So sei die Zahl der Ausbildungsabbrecher:innen seit Beginn der Pandemie noch weiter gestiegen. Die Berliner DRK-Schwesternschaft gab an, dass iin diesem Jahr knapp 40 Prozent ihrer Azubis noch im ersten Halbjahr gegangen seien.

Das liegt nicht nur an der generellen Überlastung der Stationen, sondern auch an erschwerten Lernbedingungen. In Pandemie-Zeiten findet der theoretische Unterricht meist online statt. Vielen Auszubildenden fällt es schwer, die neuen Inhalte lediglich virtuell nachzuvollziehen. Nachfragen gestalteten sich schwieriger, Diskussionen gehören zur Seltenheit. Auch der praktische Teil der Ausbildung kann aufgrund der Hygienemaßnahmen nicht in gewohnter Form stattfinden. Da ist es kein Wunder, dass Auszubildende auf der Strecke bleiben.

Hoher Druck an den Pflegeschulen führt zum Abbruch der Ausbildung

Teils liegt die Ursache für einen Abbruch jedoch gar nicht bei den Auszubildenden selbst, sondern bei den Pflegeschulen, die den Azubis unnötig Steine in den Weg legen. Häufig wird Lehrlingen bereits in der Probezeit aufgrund nicht ausreichender schulischer Leistungen gekündigt, ohne zuerst fördernde Maßnahmen zu ergreifen.


Pflege-Auszubildende beim Unterricht


Bei der Abschlussprüfung wird nochmal ausgesiebt. Die theoriegeleiteten Schulstandards stehen auch in der praktischen Prüfung im Vordergrund. Die zwischen Theorie und Praxis bestehende Kluft wird leider oft zulasten der Pflege-Azubis ausgelegt. Sie sollen zwischen dem, was in der Schule gelehrt wird und dem, was an Pflegestandards in der Praxis üblich ist, unterscheiden und zumindest während der praktischen Abschlussprüfung den Maßstäben der Schule entsprechen – ein Spagat, der vielen angehenden Pflegekräften schwerfällt.

Fördern statt Überfordern: Ansätze zur Verbesserung der Pflegeausbildung

Bleibt die Frage, wie man die Pflegeausbildung so gestalten kann, dass die Auszubildenden sich wohlfühlen, motiviert bleiben und in einem angemessenen Maß gefordert werden.

Zunächst macht die generalistische Pflegeausbildung Hoffnung. Auszubildende der im Januar 2020 eingeführten Lehre brechen weniger häufig ab als ihre Kolleg:innen aus den Ausbildungen Kinderkrankenpflege, Altenpflege und Gesundheits- und Krankenpflege. Ursula Nonnemacher, Gesundheitsministerin von Brandenburg, stellt fest: „Bei denjenigen, die nach 2020 begonnen haben, beträgt die durchschnittliche Abbruchquote 15,4 Prozent. Also die genannten 30 Prozent können wir zumindest für diese Ausbildungsgänge nicht bestätigen.“



Um die Zahl der Ausbildungsabbrüche in der Pflege zu senken, ist es außerdem wichtig, den angehenden Pflegekräften Gehör zu schenken, um besser auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können. Das innovative Projekt „Mentoren für Pflege“, das 2020 vom Bayerischen Landesamt für Pflege (LfP) ins Leben gerufen wurde, macht es vor: Ein interdisziplinäres Team, das unter anderem aus Pflegespezialist:innen, einer Psychologin und einem Sozialpädagogen besteht, bietet Sprechstunden an, in denen Auszubildende Beratung oder einfach nur ein offenes Ohr finden. Den Pflege-Azubis Raum zu geben, ihre Sorgen und Probleme zu thematisieren, ist ein Schritt in die richtige Richtung.



Schlussendlich liegt die Verantwortung wie so oft bei der Politik. Bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege und somit mehr Zeit für die Auszubildenden würden dabei helfen, eine gute Betreuung während der Lehre zu gewährleisten. Das würde den Beruf nicht nur generell attraktiver machen, sondern auch dafür sorgen, dass sich Auszubildende sicherer und weniger überfordert fühlen.

Anspruch und Wirklichkeit der Pflegeausbildung klaffen oft weit auseinander. Das führt dazu, dass viele Auszubildende ihre Lehre frühzeitig abbrechen. Daher muss sich die Betreuung in der Ausbildung in Deutschland verbessern, um die Pflegeschüler:innen im Beruf zu halten. Dies kann beispielsweise durch Gesprächsangebote oder umfangreichere Einführungen auf Station geschehen.

Judith Marlies Barth


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