Akademisierung: Die Pflege in Deutschland kommt nicht voran

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Was die akademische Ausbildung von Pflegekräften betrifft, liegt Deutschland weit zurück. Die Gründe dafür und was sich ändern muss, erfährst du hier.

Die Pflege ist in Deutschland klassischerweise ein Ausbildungsberuf. Erst 2020 wurde die generalistische Pflege-Ausbildung eingeführt. Sie vereint die ursprünglich getrennten Ausbildungswege der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege. Eine Spezialisierung erfolgt erst im dritten Ausbildungsjahr, das mit den Abschlüssen Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger:in, Altenpfleger:in oder Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann endet. Regelmäßig werden jedoch Stimmen laut, die auf die Notwendigkeit einer verstärkten Akademisierung des Pflegeberufs hinweisen.

In diesem Artikel erfährst du:

  • Wie der Status Quo des Pflegestudiums in Deutschland ist
  • Was der Akademisierung der Pflege im Wege steht
  • Wie es in anderen Ländern aussieht
  • Warum akademisierte Pflege zu einer Aufwertung des Berufs führen kann
  • Was passieren muss, um Pflege-Studiengänge zu fördern und attraktiver zu gestalten

Pflege in Deutschland kaum akademisch

Zehn bis 20 Prozent des Personals in patientennahen Gesundheitsfachberufen sollten einen Bachelor-Abschluss haben. Dies schlug der Nationale Wissenschaftsrat 2012 in seinen „Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen“ vor. Davon ist die deutsche Gesundheitsbranche weit entfernt. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen ging hervor: Gerade einmal 0,45 Prozent der Altenpfleger:innen in Pflegeheimen hatten 2017 einen pflegewissenschaftlichen Abschluss. In ambulanten Pflegediensten lag die Quote sogar nur bei 0,34 Prozent.

Dabei gibt es mittlerweile über 140 Pflegestudiengänge – beispielsweise Pflegewissenschaft, Gerontologie oder Palliativpflege. Diese waren zunächst dual ausgerichtet, also eine Kombination aus Studium und Pflegeausbildung. Das 2020 in Kraft getretene Pflegeberufegesetz ebnete schließlich den Weg für das primärqualifizierende Pflegestudium. Seither ist es zusätzlich möglich, den Pflegeberuf im Rahmen eins Universitäts- oder Hochschulstudiums und darin integrierten Praxiseinsätzen zu erlernen. Die Studierenden schließen mit einem Bachelor sowie einer staatlichen Prüfung zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann ab.

Die wissenschaftliche Qualifizierung unter der Verantwortung einer Hochschule sollte der akademischen Pflege zugute kommen und neue Studienplätze schaffen. Dies gehört zu den erklärten Zielen der „Konzertierten Aktion Pflege“ der Bundesregierung. Allerdings sind weniger als 50 Prozent der Plätze dieser Pflegestudiengänge besetzt, wie im März 2021 der Deutsche Pflegerat (DPR) in einem gemeinsamen Statement mit der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP) mitteilte. Für das geringe Interesse gibt es laut DPR und DGP verschiedene Gründe:

Gründe für geringes Interesse an Studienplätzen in der Pflege

  • „Fehlende Vergütung der Praxiseinsätze“: Auch die Studierenden der primärqualifizierenden Pflegestudiengänge haben praktische Einsätze. Anders als beim dualen Studium mit Ausbildungsbetrieb bekommen sie aber keinen Lohn. „Der Umfang der vorgeschriebenen Praxiseinsätze mit zu leistendem Schicht- und Wochenenddienst erschwert zudem die Möglichkeit, nebenbei einer Beschäftigung nachzugehen (…). Vor diesem Hintergrund stellt sich für Studierwillige die Frage, ob sie sich nicht doch besser für eine berufsfachschulische Ausbildung mit gesichertem Einkommen entscheiden sollten“, schreiben DPR und DGP.
  • „Verhaltene Kooperationsbereitschaft bei Praxispartnern aufgrund fehlender Refinanzierung der Praxisanleitung“: Um akademische Standards zu gewährleisten, müssen die Hochschulen Kooperationsverträge mit den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen schließen. Die Betriebe müssen eine qualifizierte Praxisanleitung sicherstellen, diese allerdings selbst finanzieren, was vielfach zu Kritik führt.
  • „Unzureichende Ausstattung der Hochschulen“: Von staatlicher Seite erhalten die Hochschulen laut DPR und DGP unzureichende finanzielle Unterstützung, um personelle Ressourcen zur Verfügung zu stellen und Simulationslabore für pflegerische Übungen einzurichten.

Studierte Pflegekräfte: Gut gedacht, schlecht gemacht?

Der Pflegerat und die Gesellschaft für Pflegewissenschaften fordern eine Vergütung der praktischen Einsätze und die Finanzierung der Rahmenbedingungen sowie der Praxisanleitung durch den Bund und die Länder. Nur so könnten die nach Berechnungen benötigten 10.000 Studiengänge geschaffen und die Akademisierung der Pflege gesichert werden.

Dass diese im Moment eher stagniert, zeigt auch die kurzfristige Schließung der Fakultät für Pflegewissenschaften der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV). In diesem März verlor Deutschland damit die einzig reine Pflegefakultät. Die Fakultät sei laut dem privaten Träger der PTHV wirtschaftlich nicht mehr tragbar, unter anderem aufgrund des fehlenden Interesses an dem Studium.

Damit einher geht, dass viele Arbeitgeber nicht auf studierte Pflegekräfte eingestellt sind. Es gibt für die Hochschulabsolvent:innen wenige Möglichkeiten, sich fachlich zu beteiligen, sich beruflich weiterzuentwickeln und durch evidenzbasierte Pflege neue wissenschaftliche Erkenntnisse einzubinden. Das Wochenmagazin Stern veröffentlichte in diesem Mai das Protokoll des jungen Krankenpflegers Christian Markus. Er hat einen Bachelor in Pflegewissenschaften und bemängelt, dass es für Absolventen wie ihn kaum Stellen gäbe, um Theorie und Praxis zu verbinden. „Ich arbeite jetzt an meiner Klinik auf der gleichen Position weiter, auf der ich schon vorher war, mit dem gleichen Gehalt.“ Anscheinend können oder wollen die Kliniken akademische Stellen für Pflegekräfte nicht finanzieren, obwohl sie mit den Vorteilen eines zusätzlichen Pflegestudiums werben. Die Konsequenz, die der Krankenpfleger und viele seiner Kolleg:innen mit Bachelor-Abschluss ziehen: Ein weiterführendes Masterstudium oder ein Job im Pflegemanagement und eine Karriere, die sie vom Patientenbett wegführt.

Akademische Pflegeausbildung hat in anderen Ländern Tradition

In anderen Ländern ist die Akademisierung der Pflege viel weiter vorangeschritten als in Deutschland. So sind beispielsweise in Schweden, Großbritannien und Frankreich Hochschulabschlüsse Voraussetzung für Krankenpfleger:innen. Auch in den USA forcierten das 1899 gegründete Council of Nurses und das 1908 entstandene United States Navy Nurse Corps früh die Professionalisierung und Selbstverwaltung der Pflege. Dort wurden schon Anfang des 20. Jahrhunderts erste Pflegestudiengänge eröffnet.

In Deutschland betrachtete man die Pflege lange als christlichen Beruf der Nächstenliebe. Er wurde hauptsächlich von Frauen ausgeführt, fand wenig Anerkennung und wurde schlecht bezahlt. Die Krankenpflegerin und Gründerin des heutigen Berufsverbandes für Pflegeberufe Agnes Karll setzte sich schließlich für die berufliche Anerkennung und Organisation der Pflegekräfte ein. Die folgenden Kriege setzten der aufkeimenden Professionalisierung jedoch wieder ein Ende. Aktiv aufgenommen wurde sie erst wieder in den 90er Jahren unter anderem auf Anregung der Robert Bosch Stiftung, die das Manifest „Pflege braucht Eliten“ veröffentlichte. Daraufhin entwickelten sich langsam erste Pflegestudiengänge in Deutschland.

Das spricht für die Akademisierung der Pflege

Pflege ist längst ein hochkomplexer Beruf und die älter werdende Bevölkerung bringt für Pflegekräfte neue Herausforderungen mit sich. Chronische Erkrankungen und Schmerzen sowie Multimorbidität nehmen zu. Es gilt, auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben, um Lebensqualität, geistige Fitness und Mobilität zu erhalten. Hier könnten Pflegefachkräfte mit einem akademischen Hintergrund Lücken schließen, die oft zwischen Wissenschaft und Praxis bestehen und damit zu einer besseren Versorgung beitragen.

Immer mehr Schüler:innen machen in Deutschland das Abitur, oft mit dem Ziel anschließend zu studieren. Diejenigen, die einen Gesundheits- bzw. Heilberuf ergreifen möchten, benötigen ausreichende akademische Angebote, um Studium und Pflegetätigkeit zu verknüpfen. Weiterhin ermöglichen primärqualifizierende Pflegestudiengänge Menschen ohne Berufserfahrung den Weg in die Pflege – häufig beinhalten die Zulassungsvoraussetzungen lediglich ein Pflegepraktikum. Gleichwohl erhalten auch ausgebildete Pflegekräfte ohne Abitur Zugang zu Pflegestudiengängen.




Aufwertung des Pflegeberufs

Ein Studium kann neue Karrierechancen eröffnen, beispielsweise einen Aufstieg zur Pflegedienstleitung durch ein Pflegemanagementstudium. Oder zur Advanced Practice Nurse, die mehr medizinische Aufgaben übernehmen darf und sich auf bestimmte Krankheiten spezialisiert. Das bringt bessere Verdienstmöglichkeiten mit sich. Bei Studiengängen, die sich auf Lehre, Betriebswirtschaft oder Beratung konzentrieren, sind diese nochmals gesteigert.

Die Aufwertung, die der Pflegeberuf durch eine höhere Akademisierung erfahren kann, ist jedoch nicht nur finanzieller Natur. Ihre komplexe und anstrengende Tätigkeit verlangt Pflegekräften unabhängig von ihrem Ausbildungsgrad viel ab und sollte dementsprechend vergütet werden. Vielmehr kann die Professionalisierung des Berufs zu einem neuen Selbstverständnis der Pflegekräfte beitragen und zu einem besseren Austausch zwischen Medizin und Pflege. Kranken- und Altenpfleger:innen führen schon jetzt verantwortungsvolle medizinische Tätigkeiten und nicht nur ärztliche Anweisungen aus. Ein Hochschulstudium kann sie offiziell befähigen, eigenständiger und damit selbstbewusster zu agieren sowie stärker in fachlichen und berufspolitischen Diskursen aufzutreten.

Attraktives Pflegestudium nur durch attraktive Berufsaussichten

Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen und beispielsweise mehr Abiturient:innen zu einem Pflegestudium zu animieren, muss zunächst der Beruf selbst attraktiver werden. Die Aussichten auf ein vergleichsweise geringes Gehalt sowie körperlich und psychisch fordernde Arbeitsbedingungen liefern jungen Menschen viele Argumente, sich für einen anderen Heilberuf oder einen sozialen Beruf zu entscheiden.

Was das Studium betrifft, ist die Politik gefordert, in Pflegestudiengänge zu investieren und gesetzliche Grundlagen für eine Vergütung der Praxiszeit zu schaffen – beispielsweise nach dem Vorbild des Bachleorstudiengangs Hebammenwesen.

Nicht zuletzt stehen auch Arbeitgeber und Führungskräfte in der Verantwortung, akademisch ausgebildete Pflegekräfte zu integrieren. Sie müssen ihnen entsprechende Rollen und Aufgaben zuweisen und gleichzeitig mögliche Vorbehalte von Mitarbeiter:innen ohne akademischen Grad abwenden.

In der Diskussion über Pflegeakademisierung in Deutschland geht es nicht vornehmlich um eine grundsätzlich hochschulische Ausbildung angehender Pflegekräfte. Vielmehr setzen sich die Befürworter für eine Erhöhung des Anteils akademisch ausgebildeter Pfleger:innen ein. Darin liegt die begründete Hoffnung, dass der Pflegeberuf eine Aufwertung erfährt und sich mehr eigenständige Arbeitsfelder herausbilden. Angemessene Arbeitsbedingungen und die Nutzung der Potentiale von Pflegeexpert:innen verbessern die Qualität der Pflege und wirken dem Fachkräftemangel entgegen.

Friederike Bloch


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