Freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM) in der Pflege erfordern einen höchst sensiblen Umgang und größte Vorsicht bei der Umsetzung. Im Fokus: FEM dürfen nur als letztes Mittel der Wahl herangezogen werden. Viele Alternativen geben Pfleger:innen einen Anlass, auch in kritischen Pflegesituationen umzudenken und neue Wege in der Pflege zu beschreiten.
Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) werden regelmäßig in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen eingesetzt. Meistens bei Menschen mit einem Delir und an Demenz erkrankten Patient:innen. Grund hierfür kann unter anderem eine Sturzprophylaxe sein.
Beispiele für FEM gibt es zahlreiche. Schon der Gebrauch von Bettgittern zählt dazu und bedarf einer offiziellen Beantragung. Doch Studien und Dokumentationen belegen immer wieder eine mangelnde Wirksamkeit. Dazu kommt, dass freiheitsentziehende Maßnahmen traumatisierend für die Betroffenen sein können und nicht selten negative Folgen mit sich bringen.
Für die Pflege und medizinisches Fachpersonal stellt sich also die Frage, wie man freiheitsentziehende Maßnahmen vermeiden, beziehungsweise sie durch Interventionen erfolgreich umgehen kann. Was genau unter dem Begriff FEM zu verstehen ist und wie die rechtlichen Grundlagen hierzu durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) aussehen, findest du, neben den Optionen zur Vermeidung, in dem folgenden Artikel.

Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) in der Pflege – Definition und Beispiele
Wenn einem Menschen das Recht, sich frei zu bewegen, genommen wird, spricht man von freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM). Dieser Freiheitsentzug kann über einen längeren Zeitraum bestehen oder in sich regelmäßig wiederholenden Intervallen.
Der Universitätsprofessor Dr. Sascha Köpke ist Leiter des Lehrstuhls für Klinische Pflege in Köln. Er definiert freiheitsentziehende Maßnahmen in seiner Leitlinie FEM (2015) wie folgt: „(...) jede Handlung oder Prozedur, die eine Person daran hindert, sich an einen Ort oder in eine Position ihrer Wahl zu begeben und/oder den freien Zugang zu ihrem Körper begrenzt durch irgendeine Maßnahme, die direkt am oder in unmittelbarer Nähe des Körpers angebracht ist und nicht durch die Person mühelos kontrolliert oder entfernt werden kann.“
Beispiele für FEM sind unter anderem:
- das Anbringen von Bettgittern
- das Fixieren von zu pflegenden Menschen mit Fixiergurten (an den Handgelenken, an Hand- und Fußgelenken, in der 7-Punkt-Fixierung mit Bauch-, Schulter-, Schritt, Arm- und Beingurten)
- die Unterbringung in abgeschlossenen Zimmern
- Verwendung von Stühlen mit Tischvorrichtungen
- Einsatz von Zwangsjacken
- Spezielle Medikamentengabe (z. B. Beruhigungsmittel ohne medizinische Notwendigkeit)
Extremere freiheitsentziehende Maßnahmen, wie die 7-Punkt-Fixierung, werden größtenteils in psychiatrischen Einrichtungen durchgeführt. Aggressionen und Gewalt in der Psychiatrie sind leider keine Seltenheit. Die Pflege von aggressiven Patient:innen erfordert hier mitunter eine Isolation oder Fixierung. Dies dient dem Schutz des betroffenen Menschen vor sich selbst oder dem Schutz der Mitpatient:innen und des Personal. In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist einer der Hauptgründe für FEM hingegen das Sturzrisiko von zu pflegenden Menschen.

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen bedeuten enorme Verantwortung für Pflegekräfte
Pflegefachpersonen müssen sich immer vor Augen halten, dass mit freiheitsentziehenden Maßnahmen ein Grundrecht des Menschen verwehrt wird. Auch für Pflegefachfrauen und -männer sind solche Maßnahmen oft seelisch belastend. Das Durchführen von freiheitsentziehenden Maßnahmen erfordert ein enormes Verantwortungsbewusstsein. Der respektvolle Umgang mit den betroffenen Menschen muss an erster Stelle stehen. Auch nicht zugänglichen Patient:innen wird jeder Schritt der Maßnahmen erklärt.
Dass sich die Betroffenen schnell gedemütigt fühlen, sollte für jede Pflegefachperson nachvollziehbar sein. Es gilt diesem Gefühl in jeder möglichen Hinsicht entgegenzuwirken. FEM dürfen niemals von Pflegefachpersonen als eine Form der „Bestrafung“ wahrgenommen werden. Ebenso dürfen sie nicht eingesetzt werden, um Zeit zu sparen oder den Arbeitsablauf zu erleichtern. Ein unruhiger Zustand von Pflegebedürftigen oder der Drang, sich zu bewegen, darf ebenfalls keinen Grund darstellen. Einzig und allein der prophylaktische Zweck zum Selbstschutz oder Schutz anderer Menschen darf hier im Vordergrund stehen.
Rechtliche Grundlagen von freiheitsentziehenden Maßnahmen durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB)
Grundsätzlich gilt, dass Zwangsmaßnahmen immer erst als letztes Mittel der Wahl angewendet werden dürfen. Zwang darf niemals zur Normalität werden. Ethische und vor allem auch rechtliche Gründe unterstreichen dies. Eine Fixierung ohne Einwilligung der Patient:innen oder Bewohner:innen ist nur zulässig bei Notwehr (§ 32 Strafgesetzbuch) oder bei Notstand (§ 34 Strafgesetzbuch). Also bei deutlichen Anzeichen dafür, dass Gefahren für die Patient:innen oder andere Menschen bestehen.
Eine Fixierung muss sofort aufgehoben werden, wenn nach ärztlicher oder gerichtlicher Aussage keine Eigen- oder Fremdgefährdung mehr besteht. Wird der Aufhebung in einem solchen Fall nicht nachgekommen, so handelt es sich um Freiheitsberaubung nach § 239 Strafgesetzbuch. Eine solche Freiheitsberaubung kann mit bis zu 10 Jahren Haft für die Täter:innen geahndet werden.
Schon eine Freiheitsentziehung durch Bettgitter darf niemals ohne Einwilligung der zu pflegenden Person oder eine richterliche Genehmigung vollzogen werden, ansonsten macht man sich strafbar. Jede FEM muss von der bevollmächtigten oder rechtlich betreuenden Person bei Gericht beantragt werden. Durch Angehörige, Ärzt:innen oder Pflegefachpersonen kann dieser Antrag nicht erfolgen.
Die entsprechende Anwendung von FEM ist geregelt im BGB – § 1906 Genehmigung des Betreuungsgerichts bei freiheitsentziehender Unterbringung und bei freiheitsentziehenden Maßnahmen:
(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil
- auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder
- zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, die Maßnahme ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.
(3) Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Betreuungsgericht unverzüglich anzuzeigen.
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.
(5) Die Unterbringung durch einen Bevollmächtigten und die Einwilligung eines Bevollmächtigten in Maßnahmen nach Absatz 4 setzen voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die in den Absätze 1 und 4 genannten Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

Kritik an FEM
Auch, wenn freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege unter anderem als Prophylaxe zum Selbstschutz der zu pflegenden Personen dienen sollen, wird die Kritik zunehmend lauter. Mittlerweile liegen nationale und internationale Studien vor, welche sich besonders mit der Sturzprophylaxe auseinandersetzen. Durch sie wird belegt, dass durch FEM Stürze nicht gemindert werden. Es wird sogar bestätigt, dass gerade nach der Entfernung von FEM eine Sturzwahrscheinlichkeit steigt.
Das Fatale bei einer Sturzprophylaxe durch FEM ist, dass durch weniger Bewegung die Muskelkraft und das Bewegungsvermögen abnimmt. Es ist also ein Teufelskreis, der letztlich zu einer noch höheren Sturzgefahr führt. Somit stehen FEM als Risikofaktor mit an oberster Stelle.
Neben einem Schutz vor Stürzen ist eine weitere häufige Begründung der Schutz vor nicht vorgesehenen Entfernungen von venösen Zugängen, Drainagen oder Nasensonden. Doch auch hierfür gibt es derzeit keine eindeutigen Belege, die einer Wirksamkeit von FEM zusprechen. Genügend Beweise dafür, dass die Maßnahmen negative Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden der Betroffenen haben, gibt es im Gegenzug mehr als genug.
Ebenso aus ethischer Sicht ist jede Form von Freiheitsentzug nicht angemessen, denn es besteht eine massive Einschränkung in den Grundrechten der Menschen. Ein weiterer großer Kritikpunkt ist, dass vor dem Einsatz von FEM alle nicht oder weniger einschränkenden Maßnahmen erprobt werden müssen. Dies ist nach Dr. Köpke in den FEM Leitlinien von 2015 jedoch häufig nicht der Fall.

Wie kannst du freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege vermeiden?
Um freiheitsbeschränkende Maßnahmen zu umgehen, gibt es diverse Alternativen. Es ist wichtig zu erkennen, dass hierbei keine allgemeinen Lösungsansätze bestehen. Vielmehr geht es darum, die Persönlichkeit der zu pflegenden Menschen näher zu betrachten und individuelle Optionen zu erarbeiten. Bei unruhigen oder aggressiven Pflegebedürftigen gibt es folgende Möglichkeiten zum Umgang ohne FEM:
- Biografiearbeit: Warum verhält sich der Mensch so? Können Ereignisse aus der Vergangenheit Aufschluss geben? Ein gutes Beispiel hierfür ist, dass gerade Frauen, welche in der Vergangenheit Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, panisch und aggressiv bei der Körperpflege durch einen Pflegefachmann reagieren können. Gespräche mit An- oder Zugehörigen können hier eventuell Aufschluss geben und Optionen (beispielsweise Pflege durch Frauen) neben FEM lassen sich erarbeiten.
- Hat der Pflegebedürftige einen ausgeprägten Bewegungsdrang? Wenn ja, wie kannst du für ausreichend Bewegung sorgen? Hierbei kann auf Erfahrungen und Interessen im Lebenslauf eingegangen werden. Vielleicht bieten vertraute Tätigkeiten genügend Auslastung und Zufriedenheit.
- Fallbesprechungen heranziehen: Der Austausch mit Kolleg:innen und eine gemeinsame Suche nach Optionen im Umgang mit Patient:innen kann oft von Vorteil sein, um Lösungen zu finden.
- Geronto-Psychiatrischer Rat: Bei sich wiederholenden Symptomen, wie starker Unruhe, Schlafstörungen, Schreien oder Aggressivität.
- Gezielte Entfernung von Gefahrenquellen: Bei der Sturzprophylaxe bezieht sich dies auf Stolperfallen, wie Teppiche oder Kabel. Bei an Demenz erkrankten Menschen und weiteren Verwirrungszuständen solltest du Messer, Feuerzeuge oder andere gefährliche Gegenstände entfernen.
- Zur Sturzprophylaxe den Expertenstandard des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) heranziehen Medikation überprüfen und Hilfsmittel nutzen wie: Haltegriffe, Rutschfeste Schuhe und Socken, Gute Beleuchtung
- Hilfsmittel nutzen, um Verletzungen bei Stürzen zu minimieren (z. B. Sturzmatten, Hüftprotektoren)
- Bewegungssensible Sensoren: Pflegende erhalten über Sensoren ein Signal, wenn Patient:innen oder Bewohner:innen das Bett verlassen.
- Geteilte Bettgitter: Zu pflegende Menschen können das Bett verlassen, haben aber den Schutz nicht aus dem Bett zu rollen und sich zu verletzen.
- Niederflurbetten: Verringerte Verletzungsgefahr durch ein bis zum Boden absenkbares Bett. Allerdings besteht hierbei die Gefahr, dass bewegungseingeschränkte Menschen nicht eigenständig aufstehen können.
- Sitzwache: Eine sehr personalintensive Maßnahme, welche jedoch für eine umfangreiche Betreuung und Prophylaxe perfekt ist.
- Krankengymnastik: Bewegungs- und Balancetraining verringert nachweislich die Sturzgefahr erheblich. Die Mobilität wird gefördert und ein Erfolg kann auf lange Sicht erzielt werden.
FEM vermeiden durch den „Werdenfelsener Weg“
Bei dem „Werdenfelser Weg“ handelt es sich um eine Initiative, begründet beim Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen im Werdenfelsener Land. Diese Initiative steht für ein fachlich verantwortliches Abwägen von Sicherheit als Selbst- und Fremdschutz und dem Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit. Es wird sich aktiv darum bemüht, Fixierungen und Freiheitsentzug von alten oder erkrankten Menschen zu vermeiden.
Die Initiative „Werdenfelsener Weg“ ist mittlerweile in über 200 Gerichtsbezirken, bzw. Landkreisen umgesetzt. Ziel ist es alle freiheitsentziehenden Maßnahmen auf ein Minimum zu reduzieren, egal in welcher Einrichtung. Hierzu werden sogenannte Verfahrenspfleger:innen ausgebildet. Es handelt sich dabei in der Regel um ausgebildete Pflegefachpersonen mit Berufserfahrung.
Wird eine Genehmigung bezüglich FEM beantragt, so gehen die Verfahrenspfleger:innen in die antragstellende Einrichtung und suchen vor Ort mit den Mitarbeiter:innen nach möglichen Alternativen zu FEM. Der Fokus liegt hierbei in der Optimierung von Kommunikationsprozessen und dem Bewusstwerden von nachvollziehbaren Ängsten der Betroffenen.
Wer Interesse an einer Fortbildung zum/zur Verfahrenspfleger:in hat, kann über diverse Anbieter eine Basisschulung erlangen (mehr Infos hierzu unter www.werdenfelsener-weg-original.de). Die Schulung spezialisiert auf der Basis des pflegefachlichen Grundwissens für das gerichtliche Genehmigungsverfahren in Bezug auf freiheitsentziehende Maßnahmen. Ziel ist es, dass die Teilnehmer:innen eine Kombination aus pflegefachlichem Wissen über Vermeidungsmöglichkeiten von FEM sowie Risiken erhalten. Weiterhin beschäftigt sich die Fortbildung mit mediativen Fähigkeiten der Gesprächsführung und einem gehobenen juristischen Informationsstand in Bezug auf die rechtlichen Sachlagen zu diesem Thema. Die Initiatoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass vielerorts Schulungen angeboten werden, welche nicht dem Grundgedanken des Werdenfelsener Wegs entsprechen. Also unter falschem Namen etwas anpreisen, was nicht der Initiative entspricht. Interessent:innen werden gebeten, genau zu prüfen, ob der Werdenfelsener Weg als Urheber oder in Form einer Konzeptabsprache hinter den Fortbildungen steht.
Der Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen (FEM) ist ein sehr wichtiger und sensibler Bereich, insbesondere für Pflegefachpersonen. Sie müssen sich bewusst sein über die rechtlichen Grundlagen sowie über die Gründe, die zu FEM Anlass geben. Dabei muss immer präsent sein, dass es zahlreiche Alternativen gibt, um Bettgitter oder gar Fixierungen zu umgehen. Eine Sturzprophylaxe und der Selbst- und Fremdschutz von Patient:innen oder Senior:innen kann durch diverse Maßnahmen geschehen. Freiheitsentziehende Maßnahmen dürfen in der Pflege nur als letzte Option in Erwägung gezogen werden. Der Umgang hiermit erfordert viel Verantwortung. Eine Vermeidung von FEM ist erstaunlich oft vertretbar und beugt so auch traumatisierenden Folgen für Betroffene und Pflegekräfte vor.
Sarah Micucci


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