Ein starkes Team aus Pflege und Medizin: „Das Regensburger Modell“

Die Initiatorinnen des „Regensburger Modells“ erklären die Vorteile interprofessioneller Zusammenarbeit.

Die Beziehung zwischen Pflege und Medizin ist nicht immer die beste. Unterschiedliche Arbeitsabläufe, Prioritäten oder Kommunikationsprobleme stehen der Zusammenarbeit von Ärzt:innen und Pflegekräften oft im Wege, sodass Frustration auf beiden Seiten entsteht. Das muss aber nicht so sein. Einige Kliniken haben erkannt, dass ein gutes Verhältnis und reibungslose Kommunikation zwischem pflegerischen und medizinischem Personal von großer Bedeutung für die Versorgungsqualität ist.

Ein Paradebeispiel für die interprofessionelle Zusammenarbeit ist das „Regensburger Modell“ der Universitätsklinik Regensburg. Urheberinnen des Konzepts sind Prof. Dr. Martina Müller-Schilling, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin und Anna Mahnke, Diplom-Pflegewirtin und Pflegedienstleiterin des Pflegezentrum 4. Unter dem Motto „Wir arbeiten, forschen, lehren und managen gemeinsam“ arbeitet das medizinische und pflegerische Personal der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I seither eng vernetzt. Zwei interdisziplinäre Ausbildungsstationen sorgen außerdem dafür, dass angehende Ärzt:innen und Pfleger:innen schon während ihrer Ausbildung mehrere Wochen gemeinsam lernen und voneinander profitieren.

Im Interview erklären die beiden Initiatorinnen, wie das Regensburger Modell von Pflegekräften und Ärzt:innen angenommen wird und was sich durch die interdisziplinäre Teamarbeit verbessert hat.

Sie haben 2016 gemeinsam das Regensburger Modell entwickelt und auch ein Buch darüber geschrieben. Was war der ausschlaggebende Punkt zu sagen, die interprofessionelle Zusammenarbeit muss sich verbessern?

Prof. Dr. Martina Müller-Schilling: Für uns war es der Auftrag als universitärer Maximalversorger. Alle Mitarbeiter:innen haben ein größeres Spektrum und auch einen höheren Schweregrad von Krankheitsbildern kennengelernt. Wir haben gesehen, dass wir uns mitentwickeln müssen, auch in der Kommunikation untereinander und mit den Patient:innen. Die Patient:innen und ihre Angehörigen sind informiert. Sie wollen und sollen mitentscheiden. Dazu brauchte es Strukturen und Prozesse. Deshalb haben wir diesen interprofessionellen Weg beschritten.

Anna Mahnke: Wir wollen den veränderten Anforderungen in der Klinik begegnen. Es geht nicht nur um den klinischen Arbeitsalltag, sondern auch um die anderen Aufträge, die wir als Uniklinik haben, sprich Forschung, Lehre und Management.

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Was sind typische Reibungspunkte zwischen Ärzt:innen und Pflegekräften?

Prof. Dr. Müller-Schilling: Es sind manchmal so einfache Sachen wie: Wo sind die Kurven? Wir haben gesagt, wir müssen jetzt einfach die Arbeitsabläufe der beiden Professionen aufeinander abstimmen. Wir ändern die Visitenzeiten, sodass man mehr miteinander spricht und gemeinsam Visite macht. Dann konnten wir auch andere Professionen, wie das Case Management, die Apotheke und die Physiotherapie dazu holen.

Für Krankenhäuser steht die Kostenminimierung an erster Stelle. Inwieweit verbessert das Regensburger Modell die Wirtschaftlichkeit?

Prof. Dr. Müller-Schilling: Seit wir den Weg der Interprofessionalität eingeschlagen haben, ist unser Case Mix Index, also der Schweregrad der Erkrankung unserer Patient:innen stetig gestiegen. Aufgrund der hohen Nachfrage konnten wir sowohl die Erlöse steigern als auch mehr und schwerer erkrankte Patient:innen behandeln – zu fast identischen Kosten. Von der Zufriedenheit schneiden unsere interprofessionellen Ausbildungsstationen sehr gut ab. Alle Patient:innen der A-STAR (AusbildungsSTAtion Regensburg) haben sich gut aufgehoben gefühlt. Sie waren insbesondere mit Ablauf und Atmosphäre der Visiten sehr zufrieden und schätzten, dass das Team Ängste und Sorgen berücksichtigte, half die Informationen zu verstehen und alle Fragen beantwortete.

95% der Auszubildenden der Pflege und 100% der Studierenden fühlen sich im Anschluss nach dem A-STAR-Einsatz fähig, eine Patientengruppe umfassend zu versorgen – sowohl menschlich wie auch fachlich. Daher wünschen wir uns, dass unser Regensburger Modell mehr „Nachahmer“ findet.

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Warum ist es wichtig, angehende Pflegekräfte und Ärzt:innen schon während ihrer Ausbildung auf interprofessionellen Stationen zusammenzubringen?

Anna Mahnke: Es ist für alle Professionen wichtig, im Entscheidungsprozess mitwirken zu können. Wir sehen, dass es eine hohe Lernkurve gibt, weil sie voneinander profitieren. Sie können Dinge, wie medizinische Fragestellungen, sofort ansprechen und klären. Das ist ein Vorteil für alle Seiten, nicht zuletzt für die Patient:innen.

Prof. Dr. Müller-Schilling: In der interprofessionellen Ausbildungsstation leben wir das Konzept vor und haben ein Begleitprogramm, wo wir zum Beispiel Vorträge zu Kommunikation, Resilienz oder Self-Care haben. Themen, die wir unseren Mitarbeiter:innen anbieten, damit sie sich bei uns wohlfühlen. Nur wer sich wohlfühlt, strahlt das auch gegenüber schwerkranken Patient:innen aus.

In einer Klinik wird unter hohem Zeitdruck gearbeitet und Veränderungen der Arbeitsabläufe können zusätzlichen Stress bedeuten. War es schwer, die Pflegekräfte und Ärzt:innen zu überzeugen?

Prof. Dr. Müller-Schilling: Wenn man Dinge ändert, ist es am Anfang oft harte Arbeit und auch mehr Arbeit. Aber hier war es so, dass von Anfang an sehr viel positives Feedback von den Pflegeschüler:innen und Studierenden und auch von den Patient:innen und den Angehörigen kam. Das hat uns gestärkt. Das haben auch die Skeptiker gesehen. Es ist unglaublich, wie sich ein junger Mensch innerhalb von zwei Wochen bei uns auf der Station verändert. Wie selbstbewusst – Studierende und Pflegeschüler:innen werden. Das hat uns sehr angespornt.

Anna Mahnke: Auch jetzt ist es kein Selbstläufer und es gibt keine zusätzlichen personellen Ressourcen. Die Leute waren am Anfang wirklich skeptisch, aber dann haben sie die Benefits gesehen. Wir bekommen Forschungsbudgets und in der Pflege gibt es Entwicklungschancen bis hin zum Doktoranden. Die Möglichkeit, sich zu professionalisieren, ist für die Pflege sehr wichtig.

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Ärzt:innen, die neu bei Ihnen anfangen, arbeiten zwei Tage in der Pflege mit. Welches Feedback bekommen Sie von ihnen?

Prof. Dr. Müller-Schilling: Sehr gutes. Es ist niemand, der sagt, ‚ich bin Arzt oder Ärztin und das brauche ich nicht‘. Es stärkt den Zusammenhalt im Team und ist eine einfache Maßnahme, um das Verständnis füreinander zu fördern.

Eigentlich sollten gegenseitiger Respekt und die Arbeit auf Augenhöhe selbstverständlich sein. Warum gibt es nur vergleichsweise wenige Kliniken, die sich aktiv um das Verhältnis zwischen Ärzteschaft und Pflegepersonal kümmern?

Prof. Dr. Müller-Schilling: Vielleicht, weil es viel Arbeit ist, bis man alle Akteure zusammen hat. Man braucht viele Befürworter im Haus und muss Allianzen schmieden. Wir hoffen, dass wir mit unserem Buch klarmachen können, dass es funktioniert und auch eine Blaupause zur Verfügung stellen können.

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Können Sie typische Situationen aus dem klinischen Arbeitsalltag nennen, in denen es oft Konflikte gibt und die durch kleine Änderungen entschärft werden können?

Anna Mahnke: Ein Beispiel ist das gemeinsame Morgen-Briefing auf der Intensivstation. Das stimmt sowohl Ärzt:innen als auch Pfleger:innen auf den Tag ein. Den Tag gemeinsam zu strukturieren, hilft allen Beteiligten. Man guckt, wie ist der Stand bei allen, welche Themen müssen erledigt werden, wie geht es den Patient:innen? Und auch: Wie geht es dem Personal? Es sind viele Schicksale, die die Kolleg:innen jeden Tag zu bewältigen haben. Viele sagen, das ist zu viel zeitlicher Aufwand, aber es muss ja gar nicht lange sein.

Prof. Dr. Müller-Schilling: Das Morgen-Briefing auf der Intensivstation dauert eine halbe Stunde und läuft mit Checklisten, die wir entwickelt haben, um einen effizienten Austausch zu etablieren. Auf der Ausbildungsstation der Normalstation haben wir außerdem ein gemeinsames Zimmer für Ärzt:innen und Pfleger:innen. Das kann man überall, in jeder Klinik, räumlich sofort umsetzen und da kommt die Frage nach den Kurven beispielsweise gar nicht erst auf. Man muss den anderen nicht suchen, ist viel entspannter und immer in einer direkten Kommunikationssituation.

Das Regenburger Modell zeigt beispielhaft, dass interprofessionelle Zusammenarbeit in der Pflege und Medizin nicht nur funktioniert, sondern auch bedeutende Vorteile bringt – von der Versorgungsqualität, über ökonomische Verbesserungen bis hin zur größeren Zufriedenheit von ärztlichem und pflegerischen Personal.

Interview: Friederike Bloch

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