Pflegekräfte kennen das: Morgens ohne Frühstück in die Schicht starten und dann die Hungerattacke in der Kaffee- oder Teeküche. Dort steht oft der Rührkuchen aus dem Supermarkt bereit, außerdem die Schokoladenkekse, die die Kollegin mitgebracht hat und die süßen Geschenke von Angehörigen und Patient:innen. Nicht zuzugreifen, fällt schwer. Wir haben Tipps, worauf Pflegekräfte bei ihrer Ernährung im Arbeitsalltag achten sollten.
Dass ungesunde Snacks keine gute Idee sind, zeigt sich leider gerade jetzt in der Sommersaison. Ständiges Snacken tut der Figur nichts Gutes, aber auch der Gesundheit nicht und schon gar nicht der Energie im Job. „Power kommt nur von powerful Lebensmitteln und dem richtigen Verhalten”, weiß Ernährungsexperte Sven-David Müller. Er hat selbst zehn Jahre an der Uniklinik Aachen gearbeitet und weiß, wie viel Energie in der Pflegekräfte brauchen, weil der Job körperlich und geistig sehr fordernd ist. Er kennt aber auch die Ausrede, dass man im stressigen Pflegejob keine Zeit hätte, sich gesund zu ernähren. Uns hat er erklärt, worauf es ankommt.
Menschen in Pflege- und medizinischen Berufen sind sehr gefordert in ihrem stressigen Alltag. Mit der Folge, dass sie in den Pausen das nachholen, wozu ihnen sonst die Zeit fehlt: schnelle Nahrungsaufnahme. Und das erfolgt dann meist mit zuckerreichen Snacks wie Keksen oder Kuchen, die rasch für Energie sorgen sollen. „Das sind fast immer Lebensmittel, die einen hohen Kaloriengehalt haben, aber wenig Sättigungswert”, erklärt Ernährungsexperte Müller. Mit dem Ergebnis, dass man nicht einen Keks isst, sondern gleich die ganze Packung mampft. Die Gewichtszunahme lässt so nicht lange auf sich warten. Deshalb gilt auch bei Zeitdruck im Pflegejob: Wähle deine Lebensmittel bewusst aus und lasse nicht den Stress, sondern den Verstand über deine Ernährung bestimmen.
Die meisten klassischen Zwischenmahlzeiten vieler Pflegekräfte sind reich an Zucker und rasch verwertbaren Kohlenhydraten wie Weißmehl. Weiterhin enthalten sie in der Regel noch minderwertige Fette wie Butter, Schmalz oder andere tierische Fette, die einen hohen Anteil gesättigter Fettsäuren haben. Diese erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Übergewicht und ernährungsbedingten Erkrankungen wie Diabetes. Salzige Snacks wie Chips, sind schlecht zusammengesetzt, auch wenn sie meist weniger Zucker enthalten. Von „leeren” Kalorien spricht man, wenn diese Lebensmittel uns rasch Kalorien liefern, aber weder langanhaltend Energie, noch ein echtes Sättigungsgefühl.
Satt machen vor allem gesunde Ballaststoffe, wie man sie in Obst oder Vollkornbrot findet. Aber dazu greifen die meisten Pflegekräfte nicht in der Kaffeeküche. „Ehrlich, viele Beschäftigte essen ja in erster Linie keinen geriebenen Apfel in der Pause, sondern wieder den Keks, der aus Weißmehlprodukten besteht. Durch die rasche Blutzucker-Wirksamkeit schüttet der Körper dann Insulin aus. Das ist ein Hormon, was wiederrum Hunger auslöst. Ich esse einen Keks, dann ruft der Patient, mein Blutzucker ist gestiegen, Insulin wird ausgeschüttet, ich bekomme Hunger und wenn ich das nächste Mal in die Pause gehe, esse ich die Packung leer”, erklärt Müller den Teufelskreis. Was den Blutzucker hingegen langsam ansteigen lässt und so die Leistungsfähigkeit im Pflegejob steigert, ist vor allem Vollkornbrot. Das darf gern mit einer Scheibe Käse oder Schinken belegt werden. Zustätzliche Aromen wie Senf, Meerrettich oder Tomatenmark bereiten den Körper ideal auf die Nahrungsaufnahme vor, weil sie die Verdauung anregen. Pflegekräfte, die süße Snacks bevorzugen, sollten zu frischem Obst greifen. Das muss nicht immer nur ein langweiliger Apfel sein. Die Auswahl im Supermarkt ist vielfältig, in der Sommersaison sind beispielsweise frische Erdbeeren mit Quark schnell zubereitet und schmecken lecker.
Gegen eine Tasse Kaffee im Schwesternzimmer spricht nichts, aber gegen Unmengen Zucker und fettreiche Milchprodukte, die oft in den Kaffee kommen. Besonders schlimm sind viele To-Go-Varianten. Ein großer Karamell-Macchiato mit Sirup hat durchaus soviele Kalorien wie ein Frikadellenbrötchen. Mit dem Unterschied, dass das Brötchen immerhin satt macht. „Da sind in der Regel rasch wirksame Zucker drin, die dann wieder Hunger auslösen. Ich nehme also viele Kalorien zu mir mit dem Getränk – und bekomme davon noch mehr Hunger auf Kekse”, so Müller. Ebenso schlecht: stark gezuckerte Instant-Tee-Getränke oder Colagetränke. Besser: Kaffee mit Magermilch, ungezuckerte Tees oder Mineralwasser. Es gibt auch gesunde Self-made-Drinks, die den Körper mit Vitaminen versorgen und Pflegekräften neue Energie bringen.
Im Berufsalltag sollten Pflegekräfte nicht aus Zeitmangel hungern. Deshalb ist es wichtig, regelmäßige Mahlzeiten einzuhalten, vor dem Dienst zu frühstücken oder eine Frühstücks- bzw. Mittagspause zu machen. „Die Leistungsfähigkeit geht sonst nämlich deutlich zurück. Ausserdem bekommt man so leichter Fressattacken, nach denen man noch weniger mit seiner Energie haushalten und dann eben nicht mehr leisten kann”, erklärt Müller. Regelmäßige Pausen und gesunde Ernährung sind daher im Sinne der Pflegekräfte und der Arbeitgeber.
Es macht mehr Sinn, im Team die Ernährung umzustellen, als alleine. Ganz einfach, weil Kuchen und Co generell nicht mehr verfügbar sein sollten. Was nicht da ist, kann auch nicht zum Hingreifen verführen. „Inspizieren Sie gemeinsam die Teeküche. Was ist da eigentlich alles? Worauf können wir uns einigen? Wenn das bisher Gummibärchen waren, Lakritz und saure Schnecken, dann kann ich da nicht plötzlich ausschließlich Äpfel hinstellen. Überlegen Sie gemeinsam, welche Kompromisse es gäbe. Vielleicht besteht ja doch Interesse an frischem Obst”, so Müller. Bringdienste können dafür sorgen, dass in der Kaffeeküche regelmäßig geschnitte Früchte knackig frisch verfügbar sind, exotisches Obst wie Melonen, Trauben oder Ananas, für Abwechslung sorgt oder geschnittenes Gemüse mit Kräuterquark für das Pflegepersonal bereitsteht.
Wer im Pflegeteam beschlossen hat, die Ernährung umzustellen, sollte den Arbeitgeber ins Boot holen. „Sprechen Sie mit dem Betriebsrat, der Geschäftsführung oder der Personalleitung, welche Unterstützung hier erfolgen kann. Schließlich wird die Leistungsfähigkeit der Pfleger:innen dadurch massiv erhöht. Es handelt sich hier um eine betriebliche Gesundheitsföderung”, sagt Müller. Der Arbeitgeber kann etwa das Obst oder Gemüse zur Verfügung stellen oder Mineralwasser und frischgepresste Säfte. Gibt es Zweifel unter den Kolleg:innen, kann man eine Diätassistentin aus dem Team bitten, zu informieren und zu unterstützen. Auch über die Krankenkassen kann man jemanden organisieren, der mit dem Team einen Plan und Ziele erarbeitet. „Am Ende ist es tatsächlich selten so, dass dass die Pflegekräfte weiterhin nur Nougatpralinen wollen”, weiß der Ernährungsexperte aus Erfahrung.
Übrigens, Pflegekräfte können auch Patient:innen sagen, dass sie ab jetzt lieber ein Pfund Trauben mitbringen sollen statt Keksen oder Kuchen für die Kaffeeküche.
Julia Wagner