
Marc Bennerscheidt möchte der Pflege ein besseres Image verschaffen. Im Interview erklärt der Krankenpfleger, wie er das anstellt und warum Dankbarkeit nicht der erste Grund für die Berufsentscheidung sein sollte.
Den Pflegeberuf kennt Marc Bennerscheidt aus erster Hand. 1994 absolvierte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger, später wurde er Pflegedienstleiter und Inhaber eines eigenen Intensivpflegedienstes. Mittlerweile coacht er Pflegekräfte und Führungspersonen des Gesundheitswesens, in der Pandemie half er zusätzlich in einer Pflegeeinrichtung aus. Doch der 47-Jährige will noch mehr für die Pflege tun. Deshalb startete er im Mai 2021 ein YouTube-Format, für das er Pflegekräfte an den unterschiedlichsten Arbeitsplätzen trifft. Ihre Gemeinsamkeit: Sie alle lieben ihren Beruf und das ist in der Pflege wahrlich nicht selbstverständlich. Im Interview erzählt uns der Kölner, wie und warum er sich so für die Pflege einsetzt.
Auf Ihrer Website schreiben Sie, die Pflege sei der beste Job der Welt. Das klingt beinahe ironisch, angesichts der Arbeitsumstände.
Es sind ja nicht die Inhalte, die ein Problem darstellen, sondern eben die Umstände. Es gibt zu wenige Menschen in dem System. Und das muss sich ändern. Aber per se heißt das nicht, dass der Job schlecht ist. Die meisten Pflegekräfte, mit denen ich spreche, sagen mir nicht, der Job macht keinen Spaß, weil der Inhalt so doof ist.
Was genau macht die Pflege zum besten Job der Welt?
Zum Einen haben Sie viele Einsatzmöglichkeiten. Wenn ich mir die drei Säulen angucke – Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege –, gibt es innerhalb dieser drei Bereiche extrem viele Möglichkeiten, tätig zu werden. Ich kann mich entscheiden, mit Demenzkranken zu arbeiten, ich kann mich aber genauso entscheiden, auf eine Intensivstation zu gehen. Ich kann mit Babys arbeiten oder in die Onkologie wechseln. Das macht den Job für mich so reizvoll.
Ich hätte gedacht, Sie sprechen zuerst die Dankbarkeit, die man erfährt, an und die Sinnhaftigkeit, vielen Menschen zu helfen.
Ich finde Sinnhaftigkeit total wichtig, aber schwierig, es mit Dankbarkeit zu rechtfertigen. Dankbarkeit erwartet auch die Verkäuferin beim Bäcker oder der Lokführer. In meinen Coachings und in meinem YouTube-Format frage ich die Menschen: ‚Wann gehst du glücklich von der Arbeit nach Hause?‘ Die häufigste Antwort ist: ‚Wenn ich meine Ziele erreichen konnte‘. Auf der Intensivstation kann das bedeuten, den Patienten stabil zu versorgen oder im Altenheim, sich eine Stunde mit den Bewohner:innen beschäftigen zu können. Der zweite Teil der Antwort lautet oft: ‚Wenn ich mit meinen Kollegen guten Kontakt hatte und wir etwas geschafft haben.‘ Das sind zwei wesentliche Dinge, die uns aufwecken sollten, wenn wir über diesen Beruf nachdenken. Ich entscheide mich für einen Beruf, weil er mir inhaltlich Spaß macht und er mich emotional, aber auch auf einer kognitiven Ebene anspricht. Ich finde es wichtig, nicht immer nur davon auszugehen, dass Pflegekräfte ihren Beruf aus reiner Nächstenliebe machen. Sinnhaftigkeit hat auch viel mit dem Inhalt zu tun.
Sie haben im Mai ein Videoprojekt auf YouTube gestartet, in dem Sie Pflegekräfte besuchen und in ihrem Berufsalltag begleiten. Für wen sind diese Videos und was sollen sie bezwecken?
Als ich angefangen habe, hatte ich drei Zielgruppen: Junge Menschen, die noch nicht wissen, was sie machen wollen und bei Pflege eher die Tür zumachen würden. Denen würde ich über das Format gerne sagen, ‚guck doch erstmal‘. Dann die Menschen, die schon in dem Job sind. Weil ich denke, es ist manchmal ganz gut, aus dem Jammern rauszukommen und zu sehen, dass es Arbeitsumfelder gibt, die Menschen glücklich machen. Das ist auch ein klassischer Teil des systemischen Coachings. Du kannst nicht die anderen und das Umfeld verändern, du kannst nur dich verändern. Der dritte Teil ist ein sehr liebevoller Tritt in den Hintern an die Arbeitgeber:innen. Die können für andere Umstände sorgen und etwas dafür tun, dass Menschen glücklich und zufrieden sind. Jetzt verlagert sich das Projekt ein wenig und ich nehme noch stärker das Glück in den Fokus. Es sollen noch mehr Leute motiviert werden, in diesen Beruf zu gehen, denn das ist der Kernpunkt unseres Problems.
In den YouTube-Videos widmen Sie sich auch Vorurteilen über die Pflege. Eigentlich ist der Beruf allgegenwärtig und jeder kommt früher oder später damit in Berührung. Warum gibt es trotzdem noch so viele Klischees?
Wir kommen zwar damit in Berührung, aber so richtig nah ran gehen wir nicht. Es liegt auch daran, dass wir extrem viele Negativbilder gezeichnet bekommen. Vorurteile haben häufig etwas mit eigenen Ängsten zu tun. Die Psychiatrie zum Beispiel. Das ist einfach etwas unglaublich Merkwürdiges und Unberechenbares. Der Besuch dort hat mich selber überrascht. Ich gehe auch als Pfleger mit meinen Vorurteilen in die Bereiche. Heute ist psychiatrische Arbeit ganz anders, das fand ich sehr spannend. Die Pflege arbeitet viel co-therapeutischer und hat eine hohe Verantwortung.
Welche Reaktionen bekommen Sie auf die Videos?
Auf das Video von der Psychiatrie habe ich ganz viele Rückmeldungen von Psychiatriepfleger:innen bekommen. Sie fanden toll, dass ich es gezeigt habe, weil ihr Bereich oft wie ein Randbereich dargestellt wird, der total furchtbar ist. Zu den anderen Folgen habe ich ebenfalls viele positive Reaktionen von Pflegekräften bekommen. Bei der Folge über die Pflege todkranker Kinder haben mir Eltern geschrieben, die froh waren, dass gezeigt wurde, wie es ihnen geht und was es bedeutet, ein Kind in eine Pflegeeinrichtung zu geben.
Sie haben lange in der Pflege gearbeitet, mittlerweile sind Sie aber vorwiegend als Coach für Gesundheitsberufe tätig. Wie kam der berufliche Wandel?
Als Pflege-Unternehmer und Führungskraft habe ich mich immer damit beschäftigt, wie man Lösungen für Konflikte entwickeln kann. Dafür habe ich viele Weiterbildungen besucht. 2018 habe ich mein Unternehmen verkauft. Ich wollte mit den Händen arbeiten, war aber unschlüssig, ob ich wieder in die Pflege gehen sollte. Dann hat mein Partner mir gesagt, ich könne auch durch Coachings wieder näher an die Menschen rangehen. Also habe ich damit angefangen. Durch mein Format sind großen Kliniken und Heimbetreiber auf mich zugekommen. Sie wollten, dass ich auf Kongressen Vorträge halte und die Leute motiviere. Ich habe gesagt, das mache ich nicht, aber wir können ein echtes Coaching mit echten Fällen machen.
Was sind die größten Schwierigkeiten für Pfleger:innen und Führungskräfte, denen Sie bei Ihren Coachings begegnen?
Ganz oft frage ich mich, wieso die Geschäftsführer oder Pflegedirektoren nicht einfach mal zuhören. Dass die Leute nicht mehr miteinander reden, halte ich für das größte Problem. Gerade durch Corona wo es noch mehr Stresssituationen und eine hohe Belastung gab, sind die Leute sehr verstummt. Dann komme ich dort hin und wir fangen an zu reden.
Die Bundesregierung versucht, den Pflegeberuf aufzuwerten. Es gibt die Ausbildungsoffensive Pflege und (Video-)Kampagnen, allerdings mit wenig oder teilweise negativer Resonanz. Auch die Konzertierte Aktion Pflege hatte bisher nur mäßigen Erfolg. Haben Sie Hoffnung, dass die nächste Regierung endlich grundlegende Verbesserungen für die Pflege voranbringt?
Ich hoffe, dass da auf jeden Fall etwas passiert. Im Moment rede ich mit Arbeitgeberverbänden der Pflege, die mein Projekt unterstützen. Sie brauchen eben Pflegekräfte, aber haben nichts von irgendeiner „Ehrenpflegas“-Kampagne, die wirklich eine Frechheit war. Ich warte aber auch nicht auf die Regierung, sondern nehme die Dinge selbst in die Hand.
Die Forderungen an die Politik sind klar – bessere Personalbemessung und Vergütung, mehr Mitspracherechte, weniger Kostendruck für die Einrichtungen usw. Was kann oder muss jede einzelne Pflegekraft tun, um diese Forderungen durchzusetzen?
Ich finde, laut werden ist wichtig – aber konzentriert. Und für den Beruf zu werben. Deutlich machen, dass die Pflege etwas Organisiertes ist und Pflegekräfte für ihre Rechte kämpfen, weil sie den Beruf super finden.
Marc Bennerscheidts YouTube-Projekt begeistert nicht nur die Pflege-Community. Er konnte schnell prominente Gesprächspartner wie den Choreografen Bruce Darnell, die Komikerin Mirja Boes oder den Schauspieler Kai Schumann gewinnen, die ihm von ihren eigenen Erfahrungen mit der Pflege erzählen. Die Videos sind ebenfalls auf dem YouTube-Kanal des ehemaligen Krankenpflegers zu sehen. Die prominenten Paten unterstützen auch sein neuestes Projekt: das ART.CARE.LOVE-Festival am 12. September, das die Arbeit der Menschen im Gesundheitswesen sichtbar machen und würdigen soll. Marc Bennerscheidt brennt für die Pflege und nutzt jede Chance, Überzeugungsarbeit zu leisten. Für ihn ist die Pflege eben der beste Job der Welt.
Friederike Bloch


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