Coaching für Pflegekräfte: Anni und Sarah von Soul Nurse im Interview

Judith beleuchtet in ihren Artikeln aktuelle Themen und Nachrichten der Pflegebranche. Außerdem informiert sie Pflegekräfte über Karrierechancen, teilt Wissen zum Thema Gesundheit und gibt Tipps für den Pflegealltag.

Judith Marlies Barth


Anni Hilbert und Sarah Königsmann haben eine Mission: Sie unterstützen Pflegekräfte in ihrem persönlichen Wachstum und stärken sie mental. Das erreichen die beiden Coaches mit ihrem zehnwöchigen Online-Programm „Soul Nurse Uni”, das darauf ausgerichtet ist, Selbstbewusstsein und Gelassenheit zu trainieren. Außerdem hosten die beiden den Podcast „Gepflegter Austausch”.

Jeden Sonntag sprechen sie über alles, was das Pflegeherz bewegt. Von spannenden Interviews über Verbesserungsmöglichkeiten der Branche, Tipps für bessere Zusammenarbeit im Team bis hin zu Pflegehumor auf Social Media ist für jede:n etwas dabei. Im Interview erzählen uns Sarah und Anni, was momentan die größten Herausforderungen für Pflegekräfte sind, warum wir mehr Männer im Beruf brauchen und was du tun kannst, um in Krisenzeiten positiv zu bleiben.

Wie seid ihr dazu gekommen, Pflegekräfte durch Angebote wie eure „Soul Nurse Uni” oder den „Gepflegten Austausch” zu unterstützen?

Sarah: Anni und ich haben uns über Social Media kennengelernt. Uns fiel auf: Unsere Accounts gehen thematisch total in die gleiche Richtung. Wir haben dann mit einem kollegialen Austausch angefangen und gemerkt, wie stärkend das ist. Irgendwann haben wir gesagt: Das, was wir hier für uns besprechen, könnten wir auch in einen Podcast packen. Vor gut einem Jahr haben wir den „Gepflegten Austausch” gestartet, der auf Zuspruch gestoßen ist. Wir haben immer mehr Nachrichten und Erfahrungsberichte bekommen. Die mentale und emotionale Gesundheit in der Pflege ist so ein relevantes und wichtiges Thema. Pflegekräfte werden in fachlicher Hinsicht super viel geschult, es nützt aber nichts, wenn sie psychisch nicht mehr stabil sind. Wir fanden, es muss ein Angebot zur Prävention und zur Unterstützung der mentalen Gesundheit in der Pflege geben. Das war die Geburtsstunde von Soul Nurse.

Anni: Ich bin jetzt schon 15 Jahre in der Pflege, habe selbst eine Pflegeausbildung gemacht und viele Erfahrungen gesammelt – nicht nur negative, sondern auch positive. Seit 15 Jahren geht es nur um den Pflegenotstand. Irgendwann kam der Punkt, wo ich dachte: „Jetzt ist Schluss, ich kann’s nicht mehr hören!” Ich habe Medizinpädagogik studiert und in diesen sieben Jahren Arbeiten geschrieben, in denen es darum ging, Achtsamkeitstraining in die Pflegeausbildung zu implementieren. Es gibt viele Dissertationen und Studien, die erklären, warum Veränderung für Pflegende so schwer ist. Wir wollen das Problembewusstsein schärfen und dafür sensibilisieren, dass es Wege gibt, die Pflegende gehen können, um sich nicht mehr diesen prekären Rahmenbedingungen ausgeliefert zu fühlen. Wir möchten neue Türen öffnen und zeigen, dass Veränderung möglich ist.

Vor welchen mentalen Herausforderungen stehen Pflegekräfte heute?

Sarah: Wir sehen die größten Herausforderungen im emotionalen und moralischen Konflikt. Zeitmangel, Personalmangel, Druck und Hierarchien erschweren die Kooperation im Team. Wenn wir es schaffen, dass Pflegekräfte innere Stärke aufbauen durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und ihrem Pflege-Warum, können sie sich darauf stützen.

Anni: Kommunikations- und Kooperationsschwierigkeiten sind sehr verbreitet. Wenn wir uns die Mobbingzahlen in allen Berufen anschauen, ist Pflege ganz weit oben, was wir persönlich nicht verstehen, denn die größte Ressource der Pflege ist ja gerade das Miteinander.



Über welche Stärken verfügen Pflegekräfte, die andere Berufsgruppen in diesem Ausmaß nicht haben?

Sarah: Die größten Stärken der Pflegekräfte sind die Liebe zum Menschen, Menschlichkeit und Empathie. Das Problem ist, dass die Herausforderungen, über die wir gerade gesprochen haben, wie ein Schleier vor diesen wirklich krassen Stärken hängen. Wir wollen diesen Schleier zur Seite schieben, damit Pflegende die Klarheit darüber zurückerlangen, warum sie in der Pflege arbeiten und warum es ihr Traumberuf ist.

Anni: Zusammen können wir viel erreichen. Hier und da wird Veränderung bereits sichtbar und spürbar. Auf Social Media ist zu beobachten, dass Leute den Mund aufmachen. „Mund aufmachen” ist das Stichwort, denn in der Pflege muss man für sich gesunde Grenzen setzen und gut für sich sorgen. Pflegekräften muss klar sein, dass sie erst dann für andere da sein können, wenn sie auf sich selbst achten. Wir sagen: „Sieh die Pflege, wie sie ist, aber mach sie nicht schlimmer als sie ist.” Wenn man immer wieder nach Außen kommuniziert, wie schlimm alles ist, dann darf man sich auch nicht wundern, dass keiner in die Pflege kommen will. Die junge Generation möchte sich heute entfalten und will etwas bewirken. Das ist auch eine tolle Ressource: die Neuankömmlinge, die wirklich etwas bewegen und die Segel neu setzen können.

Laut dem statistischen Bundesamt sind 75,6 Prozent des Gesundheitspersonals in Deutschland weiblich. Warum ist Pflege trotzdem keine Frauensache?

Sarah: Es ist wichtig, dass mehr Männer in der Pflege arbeiten. Einer der Gründe, dass Männer schwerer Zugang zum Beruf finden, ist der Wegfall des Zivildienstes. Paradoxerweise ist es ist es in der Führungsebene genau umgekehrt. Da sind mehr Männer, die entscheiden. Ich finde Balance total wichtig und dass auch mehr Frauen in Entscheidungspositionen sind, damit die weibliche und die männliche Energie gleichermaßen wirken.

Anni: In der Pflege geht es um Würde und Menschlichkeit. Das ist weder etwas, was nur für Frauen bestimmt ist noch nur für Männer. Ich habe sehr gern auch mit Männern zusammengearbeitet. Die andere Perspektive kommt vielen Teams zu Gute. Gerade, wenn es um Konflikte geht, bringen Männer einen anderen Blick rein. Wir Frauen zerreden und zerdenken ja auch viel. Männer klären das anders: Sie sprechen die Dinge kurz an und dann ist das Thema durch. Ich glaube, davon kann man schon profitieren. Ich glaube, es gibt keinen anderen Beruf mit so vielen Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Da sind Frauen gut aufgehoben und auch Männer.

Bei welchen Anliegen könnt ihr Pflegekräften im Coaching oder in der „Soul Nurse Uni” unterstützen?

Sarah: Coaching ist ein wunderbares Tool, um Schritt für Schritt seine individuellen Ziele in Bezug auf Glück, Finanzen oder Karriere zu erreichen. Im Einzelcoaching ist dieser Weg individuell begleitet. Die „Soul Nurse Uni” ist ein zehnwöchiger Online-Kurs mit acht Modulen. Innerhalb dieser Module, in denen unter anderem Wertearbeit stattfindet, wird auch Gruppenaustausch angeboten. Wir bieten den Raum für Wachstum und die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Anni: Wir ermöglichen Pflegen und Leben über den Tellerrand hinaus. Wir glauben, dass sich die persönliche Lebens- und Pflegequalität erst dann nachhaltig verbessern kann, wenn wir uns neue Fragen stellen.



Wo könnt ihr nicht unterstützen?

Anni: Coaching ist keine Therapie, auch unsere Soul Nurse Uni ist auf keinen Fall eine Form von Therapie. Wenn man schon in einem therapeutischen Setting ist, empfehlen wir, auf jeden Fall mit dem Therapeuten zu sprechen. Denn es geht bei uns auch um emotionale Themen, Glaubenssätze und tiefe Überzeugungen, die in unserer Identität verankert sind.

Ihr sprecht im Podcast viel über Eigenverantwortung. Birgt das nicht die Gefahr, dass sich gesellschaftliche Probleme in den privaten Raum verlagern? Ich denke daran, dass Pflegekräfte Arbeitsbedingungen ertragen, die ihnen schaden und mit Tools wie Meditation oder Achtsamkeitsübungen gegensteuern, die Ursache des Problems aber nicht angehen. Wie kann man verhindern, dass Coaching reine Symptombekämpfung ist?

Anni: Wir arbeiten mit verschiedenen Unternehmen zusammen. Es kommt manchmal so rüber, dass sie Achtsamkeit und Persönlichkeitsentwicklung einsetzen wollen, um die Leute noch mehr zu verheizen. Da sagen wir: „Passt auf, so funktioniert das nicht.” Coaching soll ein Unterstützungstool sein und auf Freiwilligenbasis geschehen. Nur, wer die Probleme selbst erkennt und wirklich etwas verändern will, für den ist das auch was. Es gibt bestimmt Menschen die sagen: „Ich kann mit Coaching nichts anfangen” – völlig okay. Gerade in unserer schnellen Welt gilt: Es muss auch nicht immer unbedingt etwas verändert werden. Nicht jede Pflegekraft ist überfordert oder gestresst. Da müssen wir eine klare Grenze ziehen. Für sich einzustehen und Grenzen zu setzen, ist nicht egoistisch. Selbstwert ist in unserer heutigen Welt wichtig. Pflegeazubis bekommen in der Ausbildung gesagt: „Achte gut auf dich, dann kannst du erst auf andere achten.” In der Praxis sieht es dann komplett anders aus. Da scheint etwas untergegangen zu sein. Sie haben nicht gelernt, mit bestimmten Situationen umzugehen. Dann ist die Schicht zu Ende, man geht nach Hause, schaltet Netflix an, aber hat man die Situation wirklich verarbeitet?

Was muss sich politisch ändern, um Pflegekräfte mental zu unterstützen und ihnen persönliches Wachstum zu ermöglichen?

Sarah: Ich wünsche mir eine Plattform, die die Möglichkeit bietet, Dinge laut zu machen. Außerdem, dass Pflegekräften die Möglichkeit gegeben wird, an Baustellen zu arbeiten und mit finanzieller Unterstützung an Programmen wie unserem teilnehmen zu können.

Anni: Gerechte Gehälter, moderne Arbeitszeitmodelle und vernünftige Personaluntergrenzen. Das wichtigste ist: Bezieht bei politischen Entscheidungen die Pflegenden mit ein. Die haben so tolle Ideen, die sind an der Basis, die wissen genau, wie es geht. Das läuft momentan noch schief. Sie dürfen nicht mitentscheiden. Außerdem müssen wir gesundheitspolitisch Räume eröffnen, um die Pflege voranzubringen und schon in der Ausbildung dafür sensibilisieren, dass Pflegende sich berufspolitisch organisieren sollten.

Was könnt ihr Pflegekräften in dieser angespannten Situation mit auf den Weg geben?

Sarah: Schafft euch einen Ausgleich. Ganz oft kommt dann: „Ich hab keine Zeit!” Es geht aber nicht um die Quantität, sondern um die Qualität. Nutzt die Zeit, die ihr habt, so achtsam wie möglich und haltet sie wie einen kleinen Schatz in den Händen. Fragt euch: Was kann ich tun, um meine Energiereserven aufzufüllen? Das muss nicht gleich ein halber Tag im Wellness Retreat sein, das können auch fünf Minuten Innehalten sein. Fragt euch: Was brauche ich gerade?

Anni: Leben ist, was du daraus machst. Wir haben es in der Hand und wir sind frei. Wir müssen das aber auch erkennen und uns erlauben. Das ist ein wichtiger Punkt. Sich selbst zu erlauben, dass man glücklich sein darf, dass das Leben leicht sein darf. Gemeinsam können wir verändern und gestalten.



Anni und Sarah von Soul Nurse zeigen vollen Einsatz, um Pflegekräfte auf ihrem Weg hin zu mentaler Stärke zu begleiten. Die beiden Coaches vermitteln eine klare Botschaft: Nur gemeinsam können wir die Pflege verändern und Rahmenbedingungen schaffen, die wertschätzend und motivierend sind.

Interview: Judith Marlies Barth


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