Mittlerweile sind Tätowierungen und Piercings normal. Trotzdem fragen sich manche Pflegekräfte, ob ihnen Arbeitgeber:innen ihren Körperschmuck möglicherweise verbieten dürfen und welche hygienischen Regeln gelten. OP-Pflegerin Jeanine muss es wissen. Sie hat eine ganze Menge Tattoos und Piercings. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen als „bunte“ Pflegekraft.
„Ein Oberarzt hat einmal zu mir gesagt, dass nur Prostituierte und Kriminelle tätowiert sind.“ Dieser doch sehr weltfremde Kommentar ist zum Glück die einzige negative Reaktion, die Jeanine Ruths auf ihre Tattoos erhalten hat. Die 43-Jährige arbeitet als OP-Schwester und stellvertretende OP-Leitung im Marienhospital Erwitte. Ihre Tätowierungen – die ihre Hände, Arme und ihren Hals bedecken – sind ihr Markenzeichen. Und damit ist sie in der Pflege nicht allein. Im Interview mit uns erzählt Jeanine, warum sie mit dem ersten Tattoo lange gewartet hat, sie ihren Körperschmuck beim Vorstellungsgespräch nicht versteckt und nicht jedes Motiv eine Bedeutung haben muss.
Ich habe eine Leidenschaft für Rock ’n’ Roll und Rockabilly. Der Einfluss kam durch diese Musik, Freunde und meinen Lebensstil. Bei anderen habe ich Tattoos immer bewundert und wollte auch welche. Ich wusste, dass ich ein ganz einheitliches Bild wollte. Nicht ein Tattoo hier und da, sondern eine großflächige bunte Bemalung.
Ja. Ich habe einen Tätowierer gesucht, der mir zusagte und gute Referenzen hatte. Dann bin ich hingegangen und habe gesagt, ich möchte einen „Sleeve“, also den Arm komplett. Es ist ein bestimmter Stil, den ich habe, das nennt sich Old School. Das ist alles, was an die alte Schule der Tätowierung angelehnt ist und diese Motive habe ich beibehalten.
Sie basieren auf den alten Seefahrer-Tätowierungen. Wenn die Matrosen zur See gefahren sind, hatten sie nicht nur in jedem Hafen eine Braut, sondern auch meistens einen Tätowierer und haben sich ein Andenken stechen lassen. Diese Motive sind sehr prägnant und haben sehr starke „Outlines“. Es sind klassische Bilder wie Anker, Rosen oder Karten.
Ich war 28. Der Grund, warum ich erst spät angefangen habe, war, dass ich beruflich erst einen bestimmten Stand haben wollte. Ich wollte mir erarbeiten, mir aufgrund meiner fachlichen Qualifikation zu erlauben, mich zu modifizieren und nicht ganz mit der Norm zu gehen.
Wenn du anfängst, ist es meistens so, dass das Tattoo eine Bedeutung haben muss. Dadurch dass ich in Bands gesungen habe, habe ich mit einem Mikrofon angefangen. Dann habe ich die Namen meiner Kinder verewigt und eine Sanduhr für das Bewusstsein, dass für jeden die Zeit abläuft und man jeden Tag bewusst leben soll. Aber irgendwann gehen dir bei der Menge der Tätowierungen die Ideen aus und ich habe Motive gewählt, die ich einfach schön und passend fand.
Ich sage immer, allein mein rechter Arm ist sechs Wochen Luxuskabine auf einem Kreuzfahrtschiff. Wenn man einen guten Tätowierer und vernünftige Tattoos haben will, dann kostet es eben ein bisschen mehr und man wartet auch mal länger auf einen Termin.
Ich kenne schon viele Pflegekräfte, die tätowiert sind. Zum einen arbeiten wir oft mit kurzen Ärmeln, sodass man viel von der Haut sieht. Ich denke auch, dass Menschen in sozialen Berufen generell eine offenere Einstellung haben und häufiger tätowiert sind. Vielleicht, weil es dort akzeptierter ist. Bei der Bank oder der Polizei ist es ja teilweise verboten, sichtbar tätowiert zu sein. In der Pflege eben nicht. Wenn man dann noch den Aspekt des Pflegenotstands hinzuzieht, glaube ich, dass eine Pflegedienstleitung das eher toleriert. Wir müssen über jeden Menschen, der sich in den pflegerischen Bereich begibt, dankbar sein.
Ich bin zu meinem letzten Vorstellungsgespräch in einem Kleid mit kurzen Ärmeln gegangen und habe kein Piercing rausgenommen. Die PDL ist erstmal hinten übergefallen und ich wurde auch darauf angesprochen. Ich habe gesagt, ‚ich habe mein ganzes Leben in der Pflege gearbeitet mit Menschen verschiedener Religionen und Hautfarben. Meine Hautfarbe ist bunt und ich möchte nach meinen fachlichen Qualitäten bewertet werden.‘ Das hat überzeugt. Man muss nach dem beurteilt werden, was man im Herzen und im Kopf hat und nicht auf der oder in der Haut.
Eigentlich mache ich nur gute Erfahrungen. Wenn jemand sagt, ‚Sie sind aber bunt‘, antworte ich ‚ja, aber das ist nicht wichtig. Ich bin dadurch nicht besser oder schlechter. Ich habe ein großes Herz und kümmere mich jetzt um Sie.‘ Ich bringe ein bisschen Farbe in den tristen Alltag. Die Tattoos sind immer ein guter Aufhänger und man kommt schnell in Kontakt. Für Kinder zum Beispiel sind meine Tätowierungen eine ganz tolle Ablenkung.
Wie in den meisten Branchen werden auch Arbeitgeber:innen in der Pflege immer toleranter gegenüber bunten Tattoos, Körperschmuck und alternativen Erscheinungsbildern. Vergangenes Jahr versprach ein hessischer Pflegedienst sogar, Bewerber:innen bei erfolgreicher Einstellung ein Tattoo ihrer Wahl zu bezahlen. Mit Erfolg, wie die Leiter gegenüber RTL berichteten. Für sieben Pflegefachkräfte sei die Aussicht auf ein Tattoo der ausschlaggebende Punkt gewesen, sich bei dem Pflegedienst anstellen zu lassen.