Muss ich einspringen? Warum die Antwort meistens Nein! lautet

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In der Pflegebranche kommt es immer wieder vor, dass Pflegefachkräfte an freien Tagen angerufen werden, um einzuspringen. Die meisten von ihnen fühlen sich unter Druck gesetzt, Ja zu sagen. Sei es aus schlechtem Gewissen, seine Kolleg:innen und Patient:innen im Stich zu lassen oder aus Angst, den Arbeitgeber zu verärgern. Doch Personalmangel darf kein Grund dafür sein, Pflegepersonal eine ständige Verfügbarkeit abzuverlangen. Wir erklären, welche Rechte dir zustehen und wie du sie geltend machst.

Es ist eine Situation, wie sie in der Pflege täglich vorkommt: An deinem freien Tag klingelt das Telefon und mit dem Hinweis auf eine Notfallsituation wirst du gebeten, für eine erkrankte Kollegin einzuspringen. Gehörst du zu denjenigen, die sich sofort verpflichtet fühlen, die Schicht anzutreten? Oder bestehst du auf deinen freien Tag und sagst deiner Stationsleitung ab? Plagt dich dann das schlechte Gewissen? Das muss es nicht, denn deine Erholung ist für die Leistungsfähigkeit bei deiner Arbeit wichtig und kommt deinem Arbeitgeber und den Menschen, für die du verantwortlich bist, zugute. Doch Nein sagen ist für Pflegekräfte oft gar nicht so einfach. Wir geben dir hilfreiche Tipps und klären dich zur rechtlichen Lage auf.

Einspringen aus dem Frei gehört in der Pflege zum Standard

Dass es für Pflegefachkräfte zum Arbeitsalltag zählt, in ihrer Freizeit regelmäßig Schichten von kranken Kolleg:innen zu übernehmen, zeigt eine Umfrage der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2019.

Demnach springen 65 Prozent der im Schichtdienst arbeitenden Pflegekräfte häufig bis sehr häufig in ihrer Freizeit kurzfristig ein. Bei Beschäftigten außerhalb des Schichtdienstes sind es 57 Prozent der knapp 2.700 Befragten.


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Das hat zur Folge, dass 97 Prozent aller Pflegefachkräfte regelmäßig Überstunden anhäufen und 56 Prozent der Befragten Beruf und Familie schwer zu vereinbaren finden. Kein Wunder also, dass so viel Pflegepersonal mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden ist. 71 Prozent der Beschäftigten im Schichtdienst liebäugeln deshalb damit, ihre Vollzeitstelle zu reduzieren.

Es wird Zeit, für dich und deine Kolleg:innen einzustehen. Diese Arbeitsbedingungen musst du nicht hinnehmen und beim Thema Einspringen aus dem Frei sitzen Arbeitnehmer:innen am längeren Hebel.

Dienstplan als Maßstab für die Rechte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Grundsätzlich hat der Arbeitgeber ein Weisungsrecht. Er darf Arbeitsort und Arbeitszeit seiner Mitarbeitenden im Dienstplan festlegen. Im besten Fall erfolgt die Erstellung des Dienstplanes mit ein wenig Vorlaufzeit, zum Beispiel vier Wochen vor Beginn des Monats, in dem er gelten soll. In vielen Pflegeeinrichtungen werden Dienstpläne leider oft kurzfristiger geschrieben. Sobald der Dienstplan unterschrieben und dem Pflegeteam zur Verfügung gestellt wurde, gilt er als verbindlich.

Sehr kurzfristige Änderungen, zum Beispiel indem du aus deinem freien Tag geholt wirst oder spontan Überstunden angeordnet werden, darf deine Einrichtung nicht vornehmen. Es sei denn, du bist einverstanden. Für angemessen halten Arbeitsgerichte eine Vorankündigungsfrist von vier Tagen. Das heißt, diese Frist muss in der Regel eingehalten werden, wenn deine Einrichtung eine Änderung des Dienstplans vornehmen oder Überstunden anordnen möchte.

Diese Regelungen gelten ebenfalls für Auszubildende. Da sie ihren Job erst noch lernen, sollen sie nicht als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden.

Arbeitsrecht: keine Pflicht einzuspringen

Das Gesetz schiebt dem Holen aus dem Frei am selben Tag also einen Riegel vor. Du bist nicht grundsätzlich verpflichtet, für Kolleginnen aus deiner Freizeit heraus einzuspringen.

Gleiches gilt auch für einen Urlaub, der bereits genehmigt wurde. Denn diesen kann der Arbeitgeber laut Bundesurlaubsgesetz nicht einfach wieder zurücknehmen, wenn er bereits freigegeben wurde. Lediglich dringende betriebliche Gründe (wie eine existenzielle wirtschaftliche Bedrohung) könnten einen Widerruf rechtfertigen, was in der Praxis aber nur selten vorkommt.

Arbeitnehmer:innen sind nicht dafür verantwortlich, Personalknappheit im Unternehmen auszugleichen. Der Arbeitgeber muss Ausfälle des Personals im Rahmen der Krankheitsquote kompensieren können.



Einspringen aus dem Frei: Pro und Contra abwägen

Bist du dir unsicher, ob du bei einem Anruf deiner Stationsleitung zu- oder absagen sollst? Dann wäge genau ab, ob der Wunsch die Ausnahme ist oder schon zur Regel wird. Zwar möchtest du sicherlich nicht, dass in Zeiten hoher Personalausfälle deine Patient:innen auf der Strecke bleiben oder Kolleg:innen Mehrarbeit haben, weil du nicht einspringst. Dennoch ist es wichtig, dass du auf dich und deine Work-Life-Balance achtest und dich in deiner Freizeit uneingeschränkt erholen kannst, ohne ständig auf Abruf sein zu müssen.

Wird das Einspringen bei Ausfällen in deiner Einrichtung kompensiert und die Einsatzbereitschaft der Angestellten mit Bonus-Zahlungen, Zulagen zum Stundenentgelt oder anderen Aufmerksamkeiten belohnt? Oder erhältst du lediglich den normalen Arbeitslohn? Wenn der Arbeitgeber dem Pflegepersonal gegenüber Wertschätzung zeigt, fällt es oftmals leichter, die ein oder andere Extraschicht zu übernehmen, und lohnt sich dann sogar finanziell.

Gerade in der Altenpflege wird der spontane Einsatz oft nicht kompensiert. Im Gegensatz dazu haben sich einige Kliniken in den letzten Jahren Konzepte überlegt, um das Einspringen angenehmer zu machen. Neben der Extra-Vergütung nutzen Krankenhäuser zum Beispiel diese Maßnahmen für ihr Ausfallmanagement:

  • Springerpools
  • Teams, die an verschiedenen Standorten eingesetzt werden können
  • freiwilliges Eintragen von Verfügbarkeiten für spontane Dienste
  • einen Rufdienst mit Wege-Vergütung an einem frei wählbaren Tag pro Halbjahr
  • Jahresdienstpläne mit Überstundenausgleich (z. B. in Form von zusätzlichen Urlaubstagen)



Wie schaffst du es, Nein zu sagen?

Dieser Punkt ist einer der schwierigsten. Denn vor allem dann, wenn deine Kolleg:innen immer einspringen, wenn es von ihnen verlangt wird, könntest du dich schnell unbeliebt machen, solltest du dieser Bitte deines Arbeitgebers nie nachkommen.

Kommuniziere deshalb im Team klar und deutlich, warum du in deiner Freizeit nicht angerufen werden willst und stehe zu deiner Entscheidung. Ermutige die anderen Pflegekräfte, ihre Rechte ebenfalls wahrzunehmen und setze dich gemeinsam mit ihnen dafür ein, dass an deinem Arbeitsplatz für ein geeignetes Ausfallmanagement und eine ausreichend hohe Personaldecke gesorgt wird. Je mehr Menschen aus dem Kollegium zusammenstehen, desto größer sind die Chancen, bei der Klinik- oder Heimleitung etwas zu erreichen.

Verdeutliche deinen Kolleg:innen, dass sie keine Konsequenzen zu befürchten haben und dass es in der Verantwortung des Arbeitgebers liegt, seinen Angestellten ausreichende Erholungszeiten zu gewähren. Das liegt auch im Interesse der Pflegeeinrichtung, in der du arbeitest. Denn schließlich bringt es niemandem etwas, wenn das Pflegepersonal ständig Zusatzschichten schieben muss, krank wird, und es dadurch immer wieder zu erneuten Ausfällen auf der Station kommt.



Freundinnen treffen sich zum Kaffee und sprechen


Sonderregeln für Schwangere und Schwerbehinderte in der Pflege

Davon abgesehen, dass es unzulässig ist, Arbeitskräfte aus ihrem Frei zu holen, gibt es nochmals einen besonderen Schutz für Schwerbehinderte, Schwangere und stillende Mütter.

Dass diese Personengruppen privilegiert sind, hängt unter anderem damit zusammen, dass es sich beim Einspringen um eine Form der Mehrarbeit handelt. Das Sozialgesetzbuch ermöglicht es aber beispielsweise Schwerbehinderten, sich davon komplett freistellen zu lassen.

Für Schwangere und Stillende in der Pflege gilt, dass sie maximal 8,5 Stunden täglich beschäftigt werden dürfen und für den Einsatz in Nachtschichten eine ärztliche Zustimmung benötigt wird.

Muss ich einspringen? Faktencheck für dich zusammengefasst

Auch wenn dein Arbeitgeber mit dem Argument kommt, es läge eine Notfallsituation vor: Du hast ihm gegenüber klare Rechte und musst Folgendes nicht tun oder sein:

  • Dienste, die plötzlich ungeplant im Dienstplan stehen, annehmen. Du kannst sie verweigern.
  • In deiner Freizeit für deinen Arbeitgeber erreichbar sein, ans Telefon gehen oder zurückrufen.
  • An deinem freien Tag Dienstgespräche mit deiner Stationsleitung führen.
  • In deiner Freizeit fahr- oder dienstüchtig sein.

Wirst du von deinem Chef oder deiner Chefin in deiner Freizeit öfter gestört, als dir lieb ist? Und hast du dadurch das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen und dich nicht erholen zu können? Dann wird es höchste Zeit, Grenzen zu setzen. Dir, deinen Patient:innen und deinem Arbeitgeber zuliebe. Denn du kannst nur dann 100 Prozent für die Patient:innen oder Bewohner:innen geben, wenn deine Akkus voll sind. Trau dich und mache den ersten Schritt. Das könnte bedeuten, an deinen freien Tagen einfach mal nicht erreichbar zu sein. Du wirst sehen, wie gut es dir tut, bewusst abzuschalten und für deine Rechte einzustehen.

Katharina Klein

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