Pflegeethik und ethische Prinzipien in der Pflege – Überblick & Beispiele

Inspiriert von der faszinierenden Welt der Medizin und Pflege, möchte unser Redaktionsteam sich mit Fachkräften austauschen, Perspektiven aufzeigen mit Interviews und Reportagen, um die Vielfalt des Pflegealltags zum Ausdruck bringen.

Ethik beinhaltet ein sehr weites Spektrum an Fachwissen. Für die Pflege bestehen eigens ethische Prinzipien. Hier erfährst du, warum diese Kompetenzen für den Pflegealltag mehr als nur notwendig sind und was genau Pflegeethik bedeutet.

Die Arbeit in der Pflege ist nicht selten mit großen Herausforderungen verbunden. Kein Tag ist wie der andere. Als Pflegefachperson hat man es mit den verschiedensten Menschen und Pflegesituationen zu tun. Für viele liegt genau hier der Reiz, diese umfangreiche Profession auszuüben. Dabei werden Pflegekräfte häufig mit Grenzsituationen konfrontiert. Nicht immer ist dabei sofort klar, wie mit den jeweiligen Situationen umzugehen ist. Verwirrte Menschen, Vernachlässigung, Aggression und Gewalt in der Pflege sind nur einige Beispiele hierfür.

Pflegefachpersonen müssen oft ethische Entscheidungen treffen. Viele fühlen sich damit überfordert. Die Pflegeethik stellt Prinzipien und Methoden zur Verfügung, die ein Entscheidungshandeln in der Pflege unterstützen. Aber wie definiert sich Pflegeethik eigentlich? Nach welchem Kodex und welchen Prinzipien soll gehandelt werden? Ethische Prinzipien neue Erkenntnisse sowie Fragestellungen mit sich. Der folgende Artikel widmet sich der Pflegeethik – einem enorm wichtigen Fachgebiet für alle Pflegefachpersonen.

Die Grundlagen der Ethik

Wie verhalte ich mich richtig? Wie sollte ich in dieser Situation reagieren? Kaum ein Beruf bringt im Praxisalltag so häufig diese Fragen mit sich wie die Pflege. Der Umgang mit dementen Menschen, die ihre Medikamente nicht nehmen wollen. Die Verweigerung von Therapien. Panische Angst vor dem Schutzhosenwechsel. Die Liste der Pflegesituationen, in denen Pflegende sich in einem ethischen Dilemma wiederfinden, ist praktisch grenzenlos. Zwischen Fürsorge und dem Praxisalltag müssen Entscheidungen getroffen werden.

Ethische Probleme und Fragen erfordern eine gewisse ethische Kompetenz. Aber was bedeutet das eigentlich? Ethisches Handeln bedeutet im Kern, dass Handlungsgrundlagen nicht nur auf die eigenen Interessen ausgelegt sind. Sie orientieren sich vielmehr an den Interessen aller Beteiligten. Ethisches Handeln setzt daher moralische Vorstellungen, Sachkenntnis und Selbsterkenntnis voraus. Es geht speziell in der Pflege also darum, das eigene Verhalten einerseits an Regeln und Vorgaben auszurichten. Andererseits, diesen Vorgaben nicht blindlings zu folgen, sondern sie zu reflektieren. Hierfür ist es wichtig, die Definition einiger Grundbegriffe der Ethik zu kennen:

  • Werte: Jeder Mensch, bzw. jede Gruppe, hat Grundüberzeugungen und Zielvorstellungen, beispielsweise Ehrlichkeit und Toleranz.
  • Normen: Normen sind Regeln des menschlichen Verhaltens. Sie werden aus Gesetzen oder Werten abgeleitet. Durch sie entstehen gewisse Erwartungen oder Anforderungen. Beispiele hierfür sind, dass man ehrlich oder pünktlich sein soll.
  • Moral: Moral ist die Summen der Werte und Normen, die für einzelne Gesellschaftsmitglieder oder eine Gruppe von Menschen als verbindlich gelten. Moralisch ist ein Verhalten dann, wenn es dem Anspruch der Gruppennorm entspricht. Tut es dies nicht, gilt es als unmoralisch.
  • Kultur: Kultur bezeichnet die Summe dieser Moralvorstellungen in einer Gemeinschaft oder einer Gruppe.
  • Gewissen: Hier geht es um eine persönliche Instanz im Menschen. Diese steht im Zusammenhang mit eigenen Überzeugungen. Werden diese missachtet, kommt es zu einem unguten Gefühl – etwas fühlt sich nicht richtig an. Das Gewissen steht meist im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Normen und den individuellen Einstellungen.

Was ist Pflegeethik?

Der richtige Umgang mit ethischem Handeln setzt also einiges an Fachkenntnissen voraus. Um Fragen und Grundsätzen in den verschiedenen Fällen und Fallbesprechungen nachgehen zu können, bedarf es verschiedener ethischer Theorien, Prinzipien und Dimensionen.Die Pflegeethik ist ein Teil hiervon. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit Entscheidungen, welche gegenüber zu pflegenden Menschen, aber auch im Zusammenhang mit organisatorischen Aspekten getroffen werden müssen.

Die Pflegeethik stellt Pflegenden Wissen zur Verfügung, damit sie „nicht aus dem Bauch heraus“, sondern anhand von fundierten Kenntnissen handeln können. Es geht um „gute“ Vorgehensweisen. Also um das „Gute“ in der Pflege. Hiermit ist ein Gütemaß gemeint, das sich aus den Bedürfnissen eines zu pflegenden Menschen sowie aus den berufsethischen Regeln und gesetzlichen Bestimmungen ergibt. Ein Beispiel hierfür: Eine demente ältere Dame trägt eine Schutzhose und hat hier hinein Stuhlgang abgeführt. Trotz guten Zusprechens weigert sie sich, die Schutzhose zu wechseln. Dies zieht sich über einen sehr langen Zeitraum. Zum einen gibt die Frau ganz klar zu verstehen, dass sie keine frische Schutzhose will. Dies ist ihr Wille und ihr Bedürfnis, welches sie klar und deutlich äußert. Zum anderen ist den Pflegefachpersonen bewusst, dass die Frau an Demenz leidet und ein Unterlassen der Körperpflege zu schweren Hautschädigungen führen kann.

Das Gute im Pflegeprozess ist also nicht immer so leicht durchzuführen. Wichtig ist, dass es in solchen Fällen selten ein „schwarz und weiß“ gibt. Professionelles Pflegehandeln erfordert Aushandlungsprozesse zwischen Pflegekräften und zu pflegenden Menschen. Dabei müssen relevante Strukturen eines jeden einzelnen Falles berücksichtigt werden. Pflegewissen und Verständnis für den einzelnen Menschen müssen sich ergänzen. Dieses Vorgehen ebnet den Weg zum sogenannten Guten in der Pflege.


Pflegekraft misst Blutdruck bei traurigem Patienten


Pflege und ethische Prinzipien

Die Philosophen und Ethiker Tom L. Beauchamp und James F. Childress haben für den medizinischen und den pflegerischen Bereich vier ethische Prinzipien verfasst („Principles of Biomedical Ethics“). Diese vier Prinzipien haben sich weltweit etabliert und sind zum Standardmodell der Prinzipienethik geworden:

  • Autonomie
  • Schadensvermeidung
  • Fürsorge
  • Gerechtigkeit

Das Prinzip der Autonomie, also der Selbstbestimmung, resultiert aus der Anerkennung gegenüber dem Pflegebedürftigen. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Dies beinhaltet, dass auch juristisch Rechte zugestanden werden. In Bezug auf das Lebensende ist beispielsweise die verbindliche Patientenverfügung zu nennen. Ebenso geht es im Pflegealltag um ein informiertes Einverständnis. Jede pflegerische, therapeutische oder diagnostische Maßnahme erfordert das klare Einverständnis von Seiten der Patient:innen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit der Autonomie eines zu pflegenden Menschen betrifft die Bedingungen für eine autonome Willensbekundung. Hier gilt es in manchen Fällen kritisch zu hinterfragen, ob autonome Wünsche und Entscheidungen selbstständig getroffen werden können. In vielen Fällen hat es das medizinische und pflegerische Personal mit komplexen Herausforderungen zu tun. Zum Beispiel, wenn ein an Demenz erkrankter Mensch aufgrund einer akuten Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert wird und alle therapeutischen Maßnahmen ablehnt. In solchen Fällen muss die Einsichtsfähigkeit in Frage gestellt werden.

Bei der Schadensvermeidung liegt der Fokus darauf, physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Schaden von dem zu pflegenden Menschen abzuwenden. Kurz gesagt, durch pflegerisches Handeln darf keinem Menschen Schaden zugefügt werden. Hier muss sehr genau abgewogen werden, welche Form der Pflege durchzuführen ist. Denn ein Unterlassen der Pflegehandlung könnte dem Pflegebedürftigen eventuell Schaden zufügen (Beispiel Kot in der Schutzhose). Doch auch die Durchführung von Pflegehandlungen gegen den Willen könnte zu einem psychischen Schaden führen.

Das Prinzip der Fürsorge hat das Ziel das individuelle Wohlfühlen zu fördern. In welcher Situation befindet sich der Mensch aktuell? Wie sieht die Biografie aus? Und wie kann der Pflegebedarf hiermit in Einklang gebracht werden? Das Prinzip der Fürsorge sollte vor allen pflegerischen Handlungen angewendet werden, wie das Beispiel der dementen Dame mit der verschmutzten Schutzhose zeigt. Vielleicht hat die Frau Angst, da sie im Krankenhaus nicht in ihrer gewohnten Umgebung ist. Fürsorge von Seiten der Pflegenden könnte darin bestehen, Vertrauen aufzubauen. Für Pflegefachpersonen besteht die Möglichkeit durch Worte oder andere Hilfsmittel für eine angenehme und beruhigende Atmosphäre zu sorgen (je nach Vorliebe vielleicht beruhigende Musik oder Dufttherapie). Es gibt zahlreiche Optionen verängstigte Menschen zu beruhigen. Meistens lassen sich so viele therapeutische und pflegerische Maßnahmen viel besser umsetzen.

Das Prinzip der Gerechtigkeit zielt auf eine gerechte Verteilung der Ressourcen im Pflegealltag ab. Pflegekräfte werden dazu aufgefordert, alle zu pflegenden Menschen in ihrer Individualität wahrzunehmen. Alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht, Alter, Bildung oder sozialem Status werden gleich behandelt.


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Der ICN-Ethikkodex für Pflegende

Ein Berufskodex legt fest, wie und woraufhin Aufgaben zu erfüllen sind. Für die professionelle Ausübung der Pflege besteht der ICN-Ethikkodex für Pflegende des International Council of Nurses. Dieser wurde bereits 1953 verabschiedet und seitdem mehrfach überarbeitet – zuletzt 2021.

Im Kodex festgehalten sind die Aufgaben und Pflichten Pflegender. Sie sind die Grundlage der Rahmenberufsordnung des Deutschen Pflegerats (DPR). Dieser Berufskodex ist in gewisser Form ein Versprechen der Pflegefachpersonen gegenüber den zu pflegenden Menschen, für eine sichere Pflege einzustehen.

Der ICN-Ethikkodex ist für alle einzusehen und sollte von Pflegefachpersonen unbedingt ernst genommen werden. Er beinhaltet unter anderem praktische Anwendungsvorschläge für diverse Pflegesituationen. Sein Zweck wird im Kodex selbst wie folgt beschrieben:

„Der ICN-Ethikkodex für Pflegefachpersonen ist eine Erklärung der ethischen Werte, Verantwortlichkeiten, und beruflichen Rechenschaftspflicht von Pflegefachpersonen und Studierenden/Lernenden der Pflege. Er definiert und leitet die ethische Pflegepraxis innerhalb der verschiedenen Pflegerollen. Er ist kein Verhaltenskodex, sondern kann als Rahmen für eine ethische Pflegepraxis und Entscheidungsfindung dienen, um die von den Aufsichtsbehörden festgelegten professionellen Standards zu erfüllen.“

Die Ausübung des Pflegeberufs konfrontiert Pflegefachpersonen mit zahlreichen Fragen und ethischen Herausforderungen. Ethisches Handeln gehört für die Pflege zur Tagesordnung. Wichtige Entscheidungen müssen so getroffen werden, dass sie den beruflichen Vorgaben, den eigenen Werten und Moralvorstellungen und nicht zuletzt dem Wohlergehen der zu pflegenden Menschen dienen. Leichter gesagt als getan. Denn es bedarf spezieller Kompetenzen und vor allem Fachwissen bezüglich ethischen Handelns.

Ethische Grundlagen, die Pflegeethik, ethische Prinzipien sowie der Berufskodex für Pflegende unterstützen dabei, Entscheidungen fachlich fundiert zu treffen. Sie ermöglichen Pflegekräften, sich wichtiges Wissen anzueignen. Wissen, das für den Pflegealltag eine enorm hohe Priorität haben sollte. Für alle, die sich tiefer mit ethischem Handeln in der Pflege auseinandersetzen möchten, bestehen diverse Fortbildungen und Studiengänge.

Sarah Micucci


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